Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1. Tobias Fischer

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Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1 - Tobias Fischer Veyron Swift und der Schattenkönig

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Luft in seine Lungen und rief aus ganzer Leibeskraft: »Hallo! Hallo? Hört mich jemand? Ist da noch irgendwer? Ich bin Hendrik Marten, Steuermann der De Stern! Ist da wer?«

      Eine unwirsche Stimme antwortete ihm: »Hör schon auf zu flennen, Marten. Außer mir hört dich keine Seele.«

      Es war Fokke.

      Unverletzt, abgesehen von einer blutigen Schramme im Gesicht, stand der Kapitän auf einem Felsvorsprung, keine dreißig Fuß von Marten. Er hielt die Fäuste in die Hüften gestemmt, und sein Umhang bauschte sich im Wind. Marten kämpfte sich auf die Beine und eilte zu ihm hinüber.

      »Kapitän! Gibt’s noch andere Überlebende? Vanderdecken, van Diemen – was ist mit ihnen geschehen?«, rief er Fokke an. Beide hatten neben ihm gestanden, als es zum Aufprall kam.

      Der grimmige Hüne reagierte nicht gleich. Nach einer Weile begann er laut zu lachen. »Vanderdecken, van Diemen, van Evert und van Halen hat der Teufel geholt. Die tauchen jetzt mit den Heringen um die Wette. Genau wie die anderen zweihundert Mann und die einhundert Soldaten an Bord. Keiner ist mehr übrig außer uns beiden und – welche Gnade des Herrn – unserem lieben Unterkaufmann.« Das Lachen des Kapitäns ging in ein Glucksen über, und er wandte sich von Marten ab, hustete kurz und sprang dann von seinem Felsen herunter.

      Dann ballte er die Fäuste und rief: »Verflucht seien die Seekarten! Warum waren diese Felsen nicht eingezeichnet? Was ist das überhaupt für ein Ort? Das ist nicht der Tafelberg, ganz sicher nicht. Kapstadt kenn ich auswendig, und ich will ein Pickel am Arsch Satans sein, wenn dies hier eine der Küsten Südafrikas ist!« Mit wütender Entschlossenheit stapfte er über den schwarzen Sand des Ufers und marschierte am Rand des steil aufragenden Felsens entlang.

      Marten, der keine Ahnung hatte, was er sonst tun konnte, folgte seinem Kapitän voller Furcht.

      Nach einem kurzen Marsch machte Marten in der benachbarten Bucht eine Gestalt am Ufer aus, die stumpf vor sich hinbrütete. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Unterkaufmann Tyn van Straten. Der sonst stets makellos gekleidete und glatt rasierte junge Mann von gerade mal zweiundzwanzig Jahren bebte vor Furcht und Kälte. Sein kostbares Gewand hing in Fetzen um seinen schmächtigen Leib.

      Aufblickend entdeckte er sie und hob einen anklagenden Finger. »Hier werden nur Leichen an den Strand gespült, Kapitän. Das ist allein Eure Schuld! Ihr werdet Euch vor Gericht verantworten müssen! Diese Katastrophe geht auf Euer Gewissen«, heulte er los.

      Marten bewunderte seinen Mut. Dass dieses Würmchen es wagte, dem gefühlt doppelt so großen Fokke derartige Unverschämtheiten an den Kopf zu werfen!

      »Haltet Euer dummes Maul, van Straten! Sonst stopfe ich es Euch«, herrschte Fokke den Unterkaufmann an. »Am besten jetzt auf der Stelle!« Er machte einen Satz nach vorn, die Pranken ausgestreckt.

      Van Straten wich zurück, stolperte und landete mit dem Gesäß im Sand. Flehend hob er die Hände. »Bitte, tut mir nichts, Fokke! Ich berufe mich lediglich auf die Dienstvorschriften«, winselte das schmächtige Kerlchen.

      Fokke brachte seinen Zornesausbruch wieder unter Kontrolle. »Habt Ihr wenigstens was Nützliches entdeckt, Unterkaufmann? Oder wisst Ihr nichts anderes zum Besten zu geben, als dass ein Unglück geschehen ist?«

      Der Unterkaufmann wedelte mit der Rechten in Richtung der Felsen. »Da gibt es eine Treppe, recht grob in den Fels gehauen, alt und abgeschliffen, aber begehbar. Ich bin ein paar Schritte hinaufgegangen, ehe ich hierher zurückkam«, erklärte er rasch.

      Fokke musterte ihn grimmig. »Und? Wo führt sie hin, Eure Treppe?«

      »Nach … oben? Ich bin ja nur ein paar Stufen hinaufgestiegen, weil …«

      »Weil Ihr Euch sonst in die Hosen gemacht hättet, ja, ja. Schon verstanden. Tyn van Straten, Ihr seid ein erbärmliches Würstchen. Also los, sehen wir nach, wo Eure Treppe hinführt. Vielleicht zu einem Leuchtturm. Treppen werden von Menschen gemacht, und wo Menschen sind, ist Hilfe nicht weit. Vorwärts!«

      In den schwarzen Fels gehauen führte van Stratens Treppe spiralförmig um den Berghang herum nach oben. Furchtlos schritt Fokke voran, gefolgt von Marten. Van Straten bildete das Schlusslicht – wahrscheinlich, um schnell verschwinden zu können, falls sie nichts Gutes erwartete.

      Es war jedoch kein Leuchtturm, den sie dort oben fanden. Den Gipfel des Felsens bildete ein flaches und beinahe kreisrundes Plateau, welches vielleicht neunzig Fuß im Durchmesser maß. Nichts anderes als Moos wuchs dort. Soweit sie es überblicken konnten, ragte der ganze Felsen wie eine Säule aus dem Meer, von weiteren Küsten war weit und breit nichts zu sehen. Ein Loch in der Mitte des Plateaus führte in eine kleine Höhle, die sie jedoch wegen der darin herrschenden Dunkelheit nicht weiter erkunden wollten. Sämtliche Lampen und Kerzen waren mit der De Stern untergegangen.

      »Eine Treppe ins Nichts«, murrte Fokke nach einer weiteren Tour über den flachen Gipfel. »Was für ein seltsamer Ort soll das nur sein?«

      Marten hatte darauf keine Antwort, und van Straten sowieso nicht. Zudem brach die Nacht nun recht rasch über sie herein. Der Rest von Abenddämmerung am Firmament verblasste, wich einer bedrohlichen Finsternis. Das letzte verbliebene Licht spendeten nun Mond und Sterne.

      Auf einmal fuhr der Unterkaufmann herum und rief: »D … d … da ist jemand! Hat also doch noch jemand überlebt?«

      Martens Herz machte einen freudigen Hüpfer. Vielleicht Vanderdecken? Doch die schwarz gekleidete Gestalt am Rand des Plateaus war ein Fremder. Er stand gefährlich nahe am Abgrund. Sein Umhang, ähnlich dem von Fokke, aber leichter und luftiger, bauschte sich in der Brise, die vom Meer heraufkam. Der Wind spielte auch mit dem langen, weißen Haar, das wie dünne Fäden von seinem Haupt hing.

      »Seltsam, ich hab den Kerl vorhin gar nicht gesehen«, meinte Marten halblaut.

      Auch Fokke schien einigermaßen verwundert, doch ohne Furcht schritt er auf den Fremden zu. Marten wäre es lieber gewesen, der Kapitän trüge seinen Säbel. Ihm gefiel diese schwarze Gestalt gar nicht. Mit verschränkten Armen stand der Fremde auf der Klippe, sein Blick auf das Meer gerichtet, so als wären sie gar nicht da.

      »Wer seid Ihr, Fremder? Ich bin Barend Fokke, Kapitän der Niederländischen Ostindiengesellschaft! Dreht Euch gefälligst um und redet!«, herrschte Fokke den Fremden an. Der reagierte gar nicht, was den Zorn des Kapitäns heraufbeschwor. Mit forschen Schritten ging er auf den Fremden zu, packte ihn an der Schulter und riss ihn herum.

      Marten keuchte auf, selbst Fokke schrak zurück. Da war nichts und niemand, kein Mensch, keine Gestalt, nicht einmal ein Schatten. Die drei Überlebenden blickten verdattert drein. Marten spürte schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, wie ihm im Schritt warm wurde. »Der Teufel«, wimmerte er. »Wir sind auf dem Felsen des Teufels gestrandet.«

      Fokke erwiderte diesmal nichts. Selbst ihm, dem furchtlosesten aller Seefahrer, hatte es die Sprache verschlagen. Van Straten wirbelte herum Richtung Treppe – und ging mit einem Schrei zu Boden. Die schwarz gewandete Gestalt erschien direkt vor ihm. Der Fremde trug in der Tat einen weiten Umhang, schwarz wie die Nacht, und sein Gesicht war nicht zu erkennen. Lediglich zwei weiße Punkte glommen in der schwarzen Fläche, wohl die Augen dieser … Kreatur. Die Hände steckten in schwarzen Panzerhandschuhen. Alles an ihm war irgendwie schwarz. Vielleicht nur Einbildung, dachte Marten. In der Nacht spielten einem die Sinne gerne einen Streich.

      »Ihr habt Euer Schiff verloren«, sagte der Fremde mit dunkler Stimme. »Und Ihr habt einen Durchgang zerstört.« Es war keine Frage, sondern eine bittere Feststellung.

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