Die Kameliendame. Alexandre Dumas

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Die Kameliendame - Alexandre Dumas

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es Freude, die einzelnen Gegenstände näher zu betrachten. Dabei stellte ich fest, daß sie alle aufs wundervollste mit den verschiedensten Initialen und Kronen graviert waren.

       Ich bewunderte alle diese Kostbarkeiten, von denen jede einzelne eine Preisgabe des armen Mädchens bedeutete, und ich sagte mir, daß Gott sehr gütig zu ihr gewesen sei, weil er nicht gewollt hatte, daß sie eine der üblichen Folgen ihrer Lebensweise erdulde. Er hatte sie in ihrem Luxus und in ihrer Schönheit sterben lassen, bevor das Alter, dieser erste Tod der Kurtisanen, nahte.

       Gibt es wohl etwas Trostloseres, besonders für diese leichtlebigen Frauen, als das Alter? Ihre Reize schwinden, und sie entwürdigen sich immer mehr. Und die beständige Reue, nicht etwa wegen des schlechten Lebenswandels, sondern wegen der falschen Berechnungen und des unklug angelegten Geldes, ist eines der betrüblichsten Dinge, die es für sie gibt. Ich kannte eine einstmals sehr freigebige Dame, der von ihrer Vergangenheit nichts geblieben war als eine Tochter, die, wie ihre Zeitgenossen sagten, ebenso schön war, wie die Mutter es einst gewesen sei. Zu diesem armen Mädchen sagte die Mutter dann immer nur: »Du bist meine Tochter«, wenn sie von ihr forderte, daß sie im Alter von ihr versorgt werde, wie sie einst das Kind versorgt hatte. Das arme Wesen, es hieß Louise, gehorchte der Mutter und gab sich hin, ohne eigenen Willen, ohne Leidenschaft und ohne Freude, wie sie einen Beruf ausgeübt hätte.

       Diese beständige und allzu frühe Ausschweifung, geschürt durch eine immerwährende Kränklichkeit des Mädchens, hatten in ihr das Gefühl für Gut und Böse ersterben lassen, das Gott auch ihr sicher mitgegeben hatte und das bei ihr zu suchen niemand auf den Gedanken kam. Immer wieder muß ich an dieses junge Mädchen denken, das fast täglich zur gleichen Stunde auf den Boulevards zu sehen war. Ihre Mutter begleitete sie stets ebenso beharrlich, wie eine wahrhaft liebevolle Mutter ihre Tochter begleiten würde. Ich war damals noch sehr jung und bereit, für mein Teil die lockere Moral meines Jahrhunderts gutzuheißen. Ich erinnere mich indessen, daß derAnblick dieser skandalösen Überwachung mir Verachtung einflößte und mir eine häßliche Erinnerung hinterließ. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich niemals auf dem Antlitz eines jungen Mädchens einen ähnlich unschuldigen und zugleich melancholischen Ausdruck gesehen habe. Man hätte sagen können, sie war die Gestalt gewordene Resignation. Eines Tages leuchtete das Antlitz des jungen Mädchens auf. Unter all den Ausschweifungen, die ihr die Mutter zumutete, schien Gott der Sünderin ein Glück bereitzuhalten. Und warum sollte er, der sie zu einer Sünderin werden ließ, warum sollte er sie ohne Trost die leidvolle Last ihres Lebens tragen lassen? Eines Tages also stellte sie fest, daß sie in Hoffnung war, und alles noch Ehrbare in ihr zitterte vor Freude. Die Seele hat seltsame Schlupfwinkel!

       Louise beeilte sich, die für sie so beglückende Neuigkeit ihrer Mutter mitzuteilen. Was nun geschah, ist so schändlich, daß man wohl besser daran täte, es zu verschweigen, wenn es nicht notwendig wäre, diese bitteren Tatsachen von Zeit zu Zeit vom Martyrium dieser Wesen künden zu lassen; dieser Wesen, die man verdammt, ohne sie zu hören, die man verachtet, ohne ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist schändlich, aber die Mutter antwortete dem jungen Mädchen, sie hätten nicht einmal genug für zwei, und für drei würde es niemals reichen. Derartige Kinder seien unnütz, und eine Schwangerschaft bedeute nur verlorene Zeit.

       Am nächsten Morgen kam zu Louise eine sogenannte Hebamme, besser gesagt eine Freundin der Mutter. Als die Tochter nach einigen Tagen wieder das Bett verließ, war sie noch blasser und hinfälliger als zuvor. Drei Monate später verliebte sich ein Mann in Louise. Er hatte Mitleid mit ihr und wollte sie seelisch und körperlich heilen. Aber die letzte Erschütterung war zu heftig gewesen, und sie starb bald an den Folgen des erzwungenen Kindbettes. Die Mutter lebt noch. Warum? Das weiß Gott allein. Diese Begebenheit kam mir wieder in den Sinn, während ich die silbernen Gegenstände betrachtete. Offenbar war über diesen Gedanken geraume Zeit verstrichen, denn in der Wohnung waren nur noch ich und ein Wärter, der von der Tür aus aufmerksam beobachtete, ob ich nichts mitnahm. Ich näherte mich dem guten Mann, dem ich so verdächtig erschien.

       »Können Sie mir sagen«, fragte ich ihn, »wer hier gewohnt hat?«

       »Fräulein Marguerite Gautier.«

       Ich kannte dieses Mädchen nicht nur dem Namen nach, ich hatte es auch gesehen.

       »Wie«, rief ich aus, »Marguerite Gautier ist gestorben?« »Ja, mein Herr.« »Und wann?« »Vor drei Wochen etwa.«

       »Und warum läßt man die Wohnung besichtigen?« »Die Gläubiger sind der Ansicht, es würde den Ertrag der Versteigerung erhöhen. Man kann im voraus die Wirkung der Stoffe und der Möbel sehen und kauft dann eher.« »Hatte sie denn Schulden?«

       »Oh, mehr als genug!« »Aber die Versteigerung wird sie decken?« »Mehr als das.«

       »Und wer bekommt den Überschuß?« »Ihre Familie.« »Hat sie denn Familie?« »Es scheint so.« »Ich danke Ihnen.« Der Wärter war beruhigt, denn mein Interesse erklärte mein langes Verweilen. Er grüßte mich, und ich verließ die Wohnung.

       Armes Mädchen, dachte ich, als ich nach Hause ging. Sie muß unter sehr traurigen Umständen gestorben sein, denn in ihrer Welt hat man nur Freunde, wenn man gesund ist. Ich weiß nicht weshalb, aber ich bedauerte den Tod Marguerite Gautiers.

       Vielleicht mag ich manchen Menschen lächerlich erscheinen, aber ich habe eine unerschöpfliche Nachsicht mit Kurtisanen. Ich gebe mir nicht einmal die Mühe, die Ursache dieser Nachsicht zu ergründen.

       Als ich mir einmal einen Paß auf der Präfektur holen wollte, sah ich, wie in einer Nebenstraße zwei Gendarmen ein Mädchen abführten. Ich weiß nicht, was dieses Mädchen verbrochen hatte. Ich kann nur berichten, daß es bitterlich weinte und ein Kind von einigen Monaten umarmte, weil sie durch die Verhaftung voneinander getrennt wurden. Von diesem Tage an habe ich niemals mehr eine Frau auf den ersten Blick verurteilen können.

       II

      Die Versteigerung war am Sechzehnten. Man hatte zwischen die Besichtigung und die Auktion einen Tag eingeschoben, damit die Tapezierer die Wandbespannungen und die Vorhänge abnehmen konnten. Ich war zu jener Zeit gerade von einer Reise zurückgekehrt. Daß mir meine Freunde Marguerites Tod nicht unverzüglich als eine der großen Neuigkeiten der Metropole der Sensationen erzählt hatten, war natürlich. Zwar war Marguerite sehr schön. Aber soviel Aufsehen auch das Leben dieser Frauen verursacht, sowenig beeindruckt ihr Tod. Sie sind wie die Sterne, die ohne viel Aufhebens untergehen, wie sie aufgegangen sind. Von ihrem Tod, wenn sie jung sterben, erfahren fast alle ihre Liebhaber gleichzeitig. Denn in Paris sind die Freunde dieser Mädchen fast alle gut miteinander befreundet. Einige Erinnerungen werden über sie ausgetauscht, und das Leben aller läuft weiter, ohne daß dieses Ereignis sie auch nur eine Träne kostet.

       Wenn man fünfundzwanzig Jahre alt ist, dann vergießt man kostbare Tränen nicht bei jeder Gelegenheit. Es will schon viel heißen, wenn man Eltern, denen man das Leben verdankt, beweint.

       Mich dagegen, obgleich meine Initialen sich auf keinem der Toilettengegenstände von Marguerite befanden, mich ließen meine angeborene Nachsicht und mein Mitleid viel länger an ihren Tod denken, als sie es vielleicht verdient hatte. Ich erinnere mich, daß ich Marguerite oft auf den Champs-Elysées begegnet war. Man sah sie dort bei jedem Wetter in ihrem kleinen, blau ausgeschlagenen Wagen mit den zwei wundervollen Pferden davor. Ich hatte damals eine Zurückhaltung bei ihr festgestellt, durch die sie sich von den anderen ihrer Art unterschied, was ihre außergewöhnliche Wirkung noch erhöhte. Im allgemeinen sind diese Geschöpfe bei ihren Ausfahrten nie ohne Begleitung. Da aber kein Mann es wagt, seine nahen Beziehungen zu ihnen

       der Öffentlichkeit preiszugeben, und sie wiederum die Einsamkeit fürchten, nehmen sie entweder weniger Glückliche, die keinen eigenen Wagen haben, oder irgendeine verblühte Kurtisane mit, deren Eleganz durch

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