Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 1. Tobias Fischer
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»Tom Packard ist mein persönlicher Assistent. Sie können vor ihm so frei reden wie vor mir, sofern Sie überhaupt dazu in der Lage sind, Mr. Moore. Falls ja, würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie mir endlich erzählen, was Sie hierher geführt hat.«
Moore atmete kurz tief durch, und warf einen forschenden Blick durch die altmodische Wohnzimmereinrichtung, dann begann er, von Neuem zu erzählen.
»Also, Gregson und ich, wir sind alte Freunde. Wir haben uns auf einem Fortbildungskurs kennengelernt. Ich hatte mal mit der Überlegung gespielt, zum CID zu wechseln, aber es dann doch sein lassen. Die harten Sachen, die sind nichts für mich. Ständig Mord und überall Leichen. Mir reichen die kleinen Einbrüche, die Ehedramen und die verwahrlosten Kinder zur Genüge. Aber dieser eine Fall, nun, der lässt mich einfach nicht mehr los. So etwas Ergreifendes und zugleich Bedrückendes habe ich noch nie erlebt. Ich meine, ich bin vollkommen hilflos. Wir, das heißt der Pater und ich, wir wissen uns einfach keinen Rat mehr. Natürlich wäre eine Nervenklinik eine Möglichkeit, aber das würde mir das Herz zerreißen. Dieses arme Mädchen, vermutlich von irgendeiner Anstalt geflohen. Jetzt weiß sie nicht mehr, wie sie zurückkehren soll. Sie hat überhaupt keine Ahnung wo sie ist, oder woher sie kam. Sie wartet unten im Wagen. Pater Felton kümmert sich um sie, darum habe ich ihn mitgebracht.«
Veyron schnaubte ungehalten und brachte Moore mit einer Geste zum Schweigen.
»Hören Sie mit diesem zusammenhangslosen Gequatsche auf, Moore! Erstatten Sie mir einen präzisen Bericht, bitte ohne Sentimentalitäten, wie Sie es gegenüber Ihrem Chefinspektor auch täten.«
Tom biss sich auf die Lippe. Es war Moore anzusehen, dass er die Zurechtweisungen Veyrons nicht mehr lange hinnehmen würde.
»Wie Sie meinen«, entgegnete der Inspektor, jetzt schon deutlich unfreundlicher im Ton. Pater Felton rutschte verlegen von einer Gesäßhälfte auf die andere.
»Vor zwei Wochen wurde eine junge Frau ins örtliche Krankenhaus gebracht. Es war draußen auf der Smalton Road, bei Congleton, wo diese durch ein Waldstück führt. Die junge Frau, sie nennt sich Julia - vermutlich osteuropäisch, so wie sie ihren Namen ausspricht – Iulia – ist aus diesem Wald aufgetaucht und einfach auf die Straße gerannt. Das war mitten in der Nacht, so gegen elf Uhr. Unglücklicher Weise war zum gleichen Zeitpunkt Roger Wetherlay mit seinem Auto unterwegs. Er hat sie noch rechtzeitig gesehen und eine Vollbremsung hingelegt, aber sie dennoch erwischt und sich eine Beule im Kotflügel eingefangen. Sie hat kurz nach dem Zusammenstoß das Bewusstsein verloren. Nachdem Wetherlay sofort den Rettungsdienst und die Polizei alarmiert hatte, wurde die junge Frau ins örtliche Krankenhaus gebracht und behandelt. Zum Glück nur ein paar Prellungen, nichts Ernstes«, berichtete Moore, nicht zur Gänze Veyrons Bitte entsprechend. Er wischte sich mit einem Taschentuch die schweißglänzende Stirn ab und fuhr dann fort.
»Wetherlay war vorbildlich langsam unterwegs, hat in allen Belangen richtig reagiert und die Unfallstelle ist aufgrund des dichten Strauchbewuchses am Straßenrand auch sehr unübersichtlich. Zudem war er sehr rührig und ehrlich betroffen. Es gibt für mich keinen Grund, gegen den armen Mann Anzeige zu erstatten.«
Veyron zuckte nur mit den Schultern. »Das ist alles ziemlich uninteressant und belanglos«, sagte er. »Warum sind Sie nun eigentlich hier? Der Weg von Congleton nach London ist ja kein Katzensprung und die Preise im Starrington Panorama Hotel sind nicht gerade billig.«
Moore schnappte überrascht nach Luft. »Wie können Sie wissen, dass wir dort unsere Zimmer haben?«, fragte er.
Veyron gestattete sich für einen Sekundenbruchteil ein triumphierendes Lächeln. »Ihr Taschentuch ist mit dem Logo der Starrington Panorama-Kette bedruckt. Da Sie durchgehend schwitzen – selbst jetzt – liegt es auf der Hand, dass Sie einen enormen Taschentuschverschleiß haben. Folglich kann das aktuelle Tuch nur aus dem Starrington Panorama London kommen, da es nirgendwo zwischen London und Edinburgh ein anderes Starrington Panorama gibt. Sie haben Ihren letzten Urlaub, der erst kurz zurückliegt, allerdings nicht in Schottland verbracht, sondern im Süden, Spanien oder Portugal würde ich sagen. Das erkenne ich an der Bräunung Ihrer Haut, besonders stark im Gesicht und im Nacken. Folglich bleibt nur das Hotel in London übrig.«
Moore warf einen fast schon schockierten Blick auf das Taschentuch und steckte es rasch in die Hosentasche. Er brauchte einen Moment, um den Faden wieder aufzunehmen.
»Das ist ja erstaunlich, nein wirklich. Echt erstaunlich. Nun ja, der Fall ist eigentlich dieser: Die junge Frau redet nur wirres Zeug. Sie fantasiert die ganze Zeit. Offenbar liegt dem ein schweres Trauma zugrunde. Darum hat das Krankenhaus Pater Felton hinzugezogen. Er arbeitet dort als Seelsorger.«
Nun ergriff der weißhaarige Pater das Wort.
»Auch ich konnte der jungen Frau nicht weiterhelfen. Wir wissen nicht, woher sie kommt. Sie ist furchtbar aufgeregt, hat fast vor allem Angst, selbst vor Straßenlaternen oder Fahrrädern. Sie hat sich vor den Ärzten auf den Boden geworfen, als wären sie der leibhaftige Messias. Auf der Straße hält sie sich die Ohren zu, im Krankenhausgebäude versteckt sie sich unter dem Bett, wenn ein Flugzeug über uns hinwegfliegt. Ich fürchte, sie hat den Verstand verloren. Uns wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als sie in eine Anstalt zu bringen, wo man ihr helfen …«
»Kein einziges Irrenhaus in Großbritannien vermisst eine Frau, auf die ihre Beschreibung passt, es liegt nirgendwo eine Vermisstenanzeige vor, sie taucht auf keiner Fahndungsliste auf«, schaltete sich Moore wieder ein und würgte damit die Worte des Paters ab, der ihn daraufhin mit einem vorwurfsvollen Blick strafte.
»Deswegen hatte ich mit Gregson telefoniert. Sie wissen ja, die meisten Irren kommen aus Berlin oder Paris. Vielleicht war sie Opfer einer Entführung, ein Mädchenhandel vielleicht. Gregson weiß über solche Dinge eigentlich immer Bescheid. Ihr in London seid näher am Puls der Welt als wir oben in Congleton. Natürlich wollte Gregson mehr über den Fall erfahren, also schilderte ich ihm alles und …«
Nun gab der Pater das Kompliment zurück und fiel dem Inspektor ins Wort.
»Es gibt ein paar auffällige Wörter, welche unsere arme Miss ständig wiederholt: Simanui und Maresia. Sie sagt das immer wieder. Sie kommt aus Maresia und muss zu den Simanui«, versuchte er sein altes Thema wieder aufzugreifen.
Moore räusperte sich und musterte den Geistlichen scharf.
»Ist ja gut, Pater«, raunte er ungehalten. Er wandte sich wieder Veyron zu, der nicht nun nicht länger gelangweilt im Sessel lümmelte, sondern aufrecht und voller Anspannung dasaß. Tom erkannte, dass Veyrons Gehirn gerade zu Höchstleistungen warmlief.
»Als Gregson das hörte, schlug er vor, dass ich mich mit Ihnen treffen soll. Sie könnten mir weiterhelfen. Also, wie sehen Sie die Lage? Glauben Sie, Sie können dieses Mysterium aufklären?«, endete Moore und warf dem Monster-Ermittler einen ratlosen Blick zu.
Veyron legte die Fingerspitzen aneinander und schloss kurz die Augen. Blitzartig sprang er aus dem Sessel und begann hastig im Wohnzimmer auf und ab zu gehen.
»Zwei Wochen! Da haben Sie tatsächlich ganze zwei Wochen vertrödelt, ehe Sie zu mir kamen? Du liebe Zeit, nur selten habe ich solche Nachlässigkeit erlebt«, hielt er den beiden Herren in strengem Tonfall vor.
»Ich nehme an, die Lady befindet sich in Ihrer Begleitung? Lassen Sie sie bitte hereinrufen. Ich muss mich mit ihr unterhalten. Dann werde ich Ihnen sagen, woher sie kommt und wer sie ist.«
Moore zückte ein Funkgerät