Codename Travertin. T.D. Amrein

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Codename Travertin - T.D. Amrein Krügers Fälle

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sich auf den Weg machen, ohne die Zelte hier ganz abzubrechen. Ein paar Stunden mit der Bahn, so weit weg lag das nicht. Und wenn ihm die Gegend gefallen sollte, konnte er immer noch umziehen. Bei „Umzug“ musste er unwillkürlich grinsen. Ein Wort, welches eigentlich nur existierende, sesshafte Menschen kannten. Wie sollte er es für sich nennen? Treibgut fiel ihm ein. Das passte schlecht. Obschon es irgendwie an vertrieben erinnerte. Aber er war kein Vertriebener. Eher ein Überflüssiger.

      Mit einem kühlen Bier versuchte er die aufkommenden schlechten Gedanken, zu verscheuchen. Irgendwann würde er auffliegen. Er konnte auf der Straße zusammenbrechen und in eine Klinik gebracht werden. „Wer sind Sie? Ihr Wohnort und welche Krankenversicherung?“

      „Niemand und nirgends“, würde er antworten müssen.

      Vermutlich würde jemand die Polizei rufen. Oder ihn gleich in die Klapse einliefern. Am Ende vielleicht die bessere Lösung?

      ***

      Schläfrig saß Michael Gerteis vor dem Monitor, der ihm Bilder des Gedränges auf der Treppe im Bahnhof direkt in die Wohnung brachte. Es kam ihm wie ein Blitz vor. Ein Gesicht, welches ganz kurz aufleuchtete. Das war Lehmann gewesen. Heinrich Lehmann. Einer seiner früheren Spione.

      Gerteis rieb sich die Augen. War es eine Einbildung gewesen oder hatte er gerade einen unglaublichen Treffer gehabt. Die Zweifel wuchsen schnell. Lehmann war nicht nur kaum auf diese Weise zu finden, sondern auch noch tot. Er musste sich geirrt haben. War ja auch kein Wunder, wenn man sich stundenlang nur vorbeiziehende Gesichter ansieht, dachte er. Einmal musste das Gehirn die Notbremse ziehen.

      Das Standbild ruckelte Stück für Stück zurück. Keine Spur von Lehmann. Gerteis winkte geistig schon ab. Nur Einbildung. Nur noch ein kleines Stück zurückfahren, um sicher zu sein. Wenn Fleischer wüsste, wie viel Film im Halbschlaf an ihm vorbeizog. Aber er schaffte einfach nicht mehr. Diese Masse von Gesichtern ohne jede Handlung schläferte jeden … Da! Da war es wieder gewesen. Lehmann. Gerteis war inzwischen so nervös, dass er es kaum noch schaffte, den Film an der richtigen Stelle anzuhalten. Er kannte viele Menschen, die sich im Laufe der Jahre deutlich verändert hatten. Aber Lehmann sah immer noch genauso aus, wie er ihn in Erinnerung hatte. Es konnte sich höchstens um einen Zwilling handeln. Aber der existierte nicht. Gerteis wusste fast alles über Lehmann. Zumindest über den Lehmann von früher.

      Tausend Dinge fielen ihm ein. Er musste sofort Fleischer informieren. Waldtraut musste so schnell wie möglich aus der Öffentlichkeit verschwinden. Bevor Lehmann sie erkannte.

      Waldtraut verschwinden zu lassen war nicht möglich. Sie stand in der entscheidenden Phase des Wahlkampfes, fiel ihm ein. Es blieb nur die Alternative. Lehmann musste verschwinden. Und er gefährdete nicht nur Waldtraut. Sondern auch Gerteis selbst. Und mit ihm einige hundert pensionierte Genossen, die einen sorglosen Ruhestand genossen. Darüber hatten sie oft gelacht. Dass ausgerechnet der Klassenfeind sie zu dem werden ließ, wofür sie sich früher gehalten hatten.

      Gerteis versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er konnte immer noch so tun, als sei nichts gewesen. Wenn er alles abhob, was auf seinen Konten lag, würde es für ein paar Jahre in Kanada oder irgendwo in Südamerika reichen.

      Weshalb musste ausgerechnet er sich darum kümmern? Hatte er nicht schon genug geleistet? Unwillkürlich ging ihm durch den Kopf, wie sehr er sich heimlich geschämt hatte, als er von der neuen Behörde mit seinen angeblichen Verdiensten in den Ruhestand verabschiedet wurde. Jetzt wäre der Moment, wo er sich das damalige Lob verdienen könnte.

      Aber wozu? Besser an sich denken und verschwinden. Jedoch sie würden ihn überall finden. Nicht die, die ihn für einen Ehrenmann hielten. Diejenigen, die er verraten würde, wenn er sich aus dem Staub machte.

      Der Tod eines Einzelnen konnte sich lange hinziehen, das wusste Gerteis nur zu gut. Und die würden genauso davon überzeugt sein, das Richtige zu tun, wie er es früher selbst gewesen war.

      Trotz beginnender heftiger Kopfschmerzen griff er zum Telefon. Fleischers aktuelle Nummer wusste er auswendig. Vor wenigen Tagen gelernt und sofort abrufbar. Genau wie Früher. Er konnte nur hoffen, dass er etliche dieser Eigenschaften noch besaß. Fleischer erwartete das. Also ging es um Pflicht. Und damit brauchte er keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden was richtig oder falsch war.

      Er würde funktionieren. Und nicht nur er. Ein letztes Mal konnte der Apparat anlaufen. Lehmann hatte keine Chance.

      ***

      Eine neue Spur brachte meistens in schleppende Ermittlungen neuen Schwung. Jedoch nicht im Fall Jürgen Leimer. Die Suche nach dem Wagen blieb zunächst erfolglos und die Befragung des Museumspersonals führte in eine Sackgasse. Jemand hatte offenbar die Vermutung gestreut, dass die alte Kiste endlich auf dem Schrottplatz gelandet sei, womit sich jede weitere Diskussion erübrigte. Der zuständige Verwalter des Fahrzeugparks hatte zudem erklärt, dass wirklich nur noch Leimer den Wagen benutzt hatte.

      Den Ablauf des Mordes konnte von Doktor Holoch anhand der Verletzungen ziemlich genau dokumentiert werden. Leimer hatte zuerst einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf erhalten, bevor ihm das Messer ins Herz gerammt wurde. Vor dem Schlag hatte er offenbar eine gebückte Haltung eingenommen. Wie wenn er in ein Behältnis geschaut hätte oder sich auch nur einen Schuh binden wollte. Den Schlag hatte er bestimmt nicht kommen gesehen. Keine sehr schwere Verletzung. Ob er davon nur benommen oder ohne Bewusstsein geblieben war, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.

      Kommissar Krüger spielte mehrere Varianten eines möglichen Treffens auf diesem Rastplatz durch. Ausgehend von Personen die sich verabredet und auch von solchen, die sich zufällig getroffen hatten. Das dichte Gebüsch konnte leicht als Versteck gedient haben, wenn es jemand darauf abgesehen hatte, einfach wahllos Reisende zu überfallen, die nur eine Rast einlegen wollten.

      Die Blutspuren an der Parkbank sprachen dafür, dass Leimer dort Platz genommen hatte. Ein im Sitzen erstochenes oder erschlagenes Opfer kannte normalerweise seinen Mörder. Wenn er sich nicht von hinten angeschlichen hatte.

      Wirklich neue Erkenntnisse ergaben sich kaum. Keine Variante erwies sich als sehr viel wahrscheinlicher als die andere.

      Deshalb entschloss sich Kommissar Krüger dazu, genauere Nachforschungen über Jürgen Leimer selbst anzustellen. Hatte er irgendwelche Geschäfte am Laufen gehabt, die ihn in Gefahr gebracht haben konnten?

      Polizeirat Vogel hatte zögernd zugestimmt, jedoch absolute Diskretion verlangt. Noch galt Jürgen Leimer als vorbildlicher Beamter und das musste so bleiben, bis absolut stichhaltige Beweise vorlagen.

      Wie auch immer. Desto mehr Zeit verstrich, desto unwahrscheinlicher wurde eine Aufklärung der Tat. Höchstens ein Zufall oder ein Hinweis aus unerwarteter Richtung konnte jetzt eine entscheidende Wendung bringen.

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