Die Pest zu London. Daniel Defoe

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Die Pest zu London - Daniel Defoe

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Gedanken an Flucht waren mir aber vergangen, und da mein Bruder nun auch fort war, gab es über diesen Gegenstand keine Überlegungen mehr, weder mit ihm noch mit mir selbst.

      Es war jetzt Mitte Juli, und die Pest, die hauptsächlich am andern Ende der Stadt gewütet hatte, in den Kirchspielen von St. Giles, St. Andrew, Holborn und gegen Westminster zu, begann sich nun nach Osten auszudehnen, gegen den Stadtteil, wo ich wohnte. Merkwürdigerweise ging sie nicht in gerader Linie vor, denn die City, d. h. die innere Stadt, war noch immer verhältnismäßig unverseucht, und auch über dem Fluß, in Southwark, war noch nicht viel zu spüren. Obwohl in dieser Woche im ganzen 1268 starben, davon wahrscheinlich über 900 an der Pest, trafen auf die innere Stadt nur 28 und nur 19 auf Southwark, das Lambeth-Kirchspiel eingeschlossen, während in den Kirchspielen von St. Giles und St. Martin in the Fields allein 421 starben.

      Es war zu beobachten, das sich die Seuche hauptsächlich in den äußeren Kirchspielen hielt, die sehr dicht bevölkert waren, besonders von armen Leuten. Dort fand die Seuche einen besseren Boden als in der City, worüber später mehr. Es war also, wie gesagt, zu beobachten, daß die Seuche auf uns zu kam, durch die Kirchspiele von Clerkenwell, Cripplegate, Shoreditch und Bishopsgate, welch' letztere beiden an Aldgate, Whitechapel und Stepney grenzen. Dort entfaltete sie später ihre äußerste Wut und Heftigkeit, als sie in den westlichen Kirchspielen, wo sie ausgebrochen war, schon nachgelassen hatte.

      Es war sehr seltsam, daß in dieser Woche, vom 4. bis zum 11. Juli im Kirchspiel von Aldgate nur 4, in dem von Whitechapel nur 3 starben und in Stepney nur 1, während die Seuche in den beiden Kirchspielen von St. Martin und St. Giles in the Fields nahe an 400 hinwegraffte.

      Auch in der nächsten Woche, vom 11. bis 18. Juli, starben auf der ganzen Seite von Southwark nur 16 bei einer Gesamtsterblichkeit von 1761.

      Aber das änderte sich bald, und besonders Cripplegate und Clerkenwell wurden betroffen, so daß in der zweiten Augustwoche in Cripplegate allein 886 beerdigt werden mußten, und in Clerkenwell 155. Davon waren in Cripplegate wohl 850 an der Pest gestorben; in Clerkenwell gab das Register selbst 145 Pestfälle zu.

      Während des Monats Juli, als unser Stadtteil im Vergleich zu den Westgegenden noch ziemlich frei schien, ging ich wie gewöhnlich auf die Straße, wie es gerade meine Geschäfte mit sich brachten, und begab mich regelmäßig alle Tage oder jeden zweiten Tag in die City zum Hause meines Bruders, das er meiner Sorge übergeben hatte, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Da ich den Schlüssel in der Tasche hatte, schloß ich meistens das Haus auf und ging durch alle Räume. Denn obwohl es unglaublich klingt, daß in solchen Zeiten des Elends jemand das Herz haben sollte zu stehlen und zu rauben, war es doch so, daß alle Arten von Schändlichkeiten, Liederlichkeiten und sogar Ausschweifungen so offen als jemals begangen wurden, wenn auch vielleicht nicht so häufig, weil die Bevölkerung doch aus vielen Gründen abgenommen hatte.

      Und nun kam die Seuche auch an die innere Stadt, die eigentliche City. Dort waren die Inwohner arg zusammengeschmolzen, da sie haufenweise die Flucht ergriffen hatten und auch den ganzen Juli hindurch noch flohen, obschon nicht in solcher Anzahl wie zuvor. Im August nahm dann das Flüchten wieder so zu, daß ich fast glaubte, es würden nur noch Beamte und Dienstboten in der City zurückbleiben.

      Der Hof war schon früher, im Monat Juni, verlegt worden. Er begab sich nach Oxford, wo er durch die Gnade Gottes bewahrt blieb. Soviel ich hörte, blieb er von der Seuche gänzlich unberührt, wofür er aber keine große Dankbarkeit an den Tag legte oder irgendein Zeichen der Besserung, obwohl es ihm nicht erst gesagt zu werden brauchte, daß seine offenkundigen Laster nicht wenig dazu beigetragen haben mochten, dieses schreckliche Gericht über das ganze Volk zu bringen.

      Das Aussehen Londons war jetzt wirklich sehr verändert. Ich meine die ganze Häusermasse, City, Vorstädte, Westminster, Southwark, alles zusammen. Die eigentliche Stadt, innerhalb der Stadtmauern, war noch nicht stark verseucht. Aber doch war, wie gesagt, das allgemeine Aussehen ein anderes geworden. Sorge und Trauer zeigten sich auf allen Gesichtern, und obschon einige Stadtteile noch ziemlich frei waren, sahen doch alle Leute sehr bekümmert aus. Immer näher sahen wir die Seuche kommen, und jeder mußte sich selbst und seine Familie für aufs äußerste gefährdet halten. Wäre es möglich, jenen, die sie nicht erlebt haben, diese Zeit ganz vor Augen zu bringen, und den Lesern eine richtige Vorstellung von dem Grauen zu geben, das überall herrschte, so müßte es ihnen einen unauslöschlichen Eindruck machen und sie mit höchster Bestürzung erfüllen. Man kann wohl sagen, daß ganz London in Tränen schwamm. Zwar gingen die Trauernden nicht auf die Straße, kleideten sich auch nicht in Schwarz, nicht einmal für die nächsten Freunde, aber die Stimme der Trauer hallte doch durch alle Straßen. Das Geschrei der Frauen und Kinder an den Fenstern und Haustüren, hinter denen die nächsten Anverwandten vielleicht im Sterben oder schon als Leichen lagen, war so häufig zu hören, während man durch die Straßen ging, daß es auch dem Mutigsten durch Mark und Bein gehen mußte. Weinen und Klagen fast in jedem Hause, besonders in der ersten Zeit der Seuche. Denn später stumpften sich die Herzen ab. Der Tod war beständig vor unsern Augen, und auch der Verlust der Freunde kümmerte den nicht mehr viel, der vielleicht schon in der nächsten Stunde das eigne Leben zu verlieren erwarten mußte.

      Die Geschäfte führten mich zuweilen an das andere Ende der Stadt, als die Seuche dort am stärksten herrschte, und da mir wie übrigens jedem andern die Sache noch neu war, sah ich mit keiner kleinen Überraschung, wie verödet die sonst so belebten Straßen waren, in denen man kaum hier und da einen Menschen antraf. Wäre ich ein Fremder gewesen, hätte ich manchmal ganze Straßen lang, wenigstens was die Nebengassen betrifft, kein lebendes Wesen gefunden, um nach dem Wege zu fragen, außer den Wachleuten, die vor den abgesperrten Häusern aufgestellt waren, welchen Umstand ich gleich näher erklären werde.

      Als ich eines Tages in einer besonderen Angelegenheit in jenem Teile der Stadt war, bewog mich die Neugier, alles genauer als sonst zu betrachten. Ich ging daher eine große Strecke weiter, wo ich eigentlich nichts zu tun hatte. In Holborn waren viele Leute auf der Straße, aber sie gingen alle in der Mitte, weder rechts noch links, um, wie ich vermute, ein Zusammentreffen mit jedem zu vermeiden, der etwa aus einem Hause herauskäme, und auch, um den Gerüchen zu entgehen, die aus den verseuchten Häusern drangen.

      Die Rechtskollegien waren alle geschlossen, und auch im Temple, in Lincolns Inn oder Grays Inn fand man nur wenige Rechtsanwälte. Es gab keine Prozesse mehr, also hatten sie nichts zu tun, abgesehen von den Gerichtsferien, die die meisten dazu benutzten, aufs Land zu gehen. An einigen Plätzen waren ganze Häuserreihen sorgsam verschlossen. Die Bewohner waren alle geflohen, nur ein oder zwei Wachleute zu sehen.

      Wenn ich sage, daß ganze Häuserreihen verschlossen waren, so meine ich nicht, daß das auf Befehl der Behörden geschehen war. Eine Menge Leute waren dem Hofe gefolgt, in dessen Diensten sie standen, und auch andere waren aus Angst vor der Pest geflohen, so daß manche Straßen völlig verödet erschienen. Die Furcht war damals in der eigentlichen City noch lange nicht so groß, denn wenn auch anfangs dort ein unaussprechliches Entsetzen überhandnahm, ging die Seuche zuerst doch oft wieder zurück, so daß die Leute wiederholt aufgeschreckt wurden und sich dann wieder beruhigten, bis sie sich endlich daran gewöhnten. Selbst wenn die Seuche dann von neuem heftiger auftrat, verloren sie nicht mehr den Mut, weil sie sahen, daß sie sich nicht sofort in der City, den östlichen und südlichen Teilen verbreitete. Und außerdem war alles ein wenig abgestumpft. Es ist nicht zu leugnen, daß eine ungeheure Masse Volkes geflohen war, aber hauptsächlich aus den westlichen Stadtteilen und jenen, die man das Herz der City nennt, also vornehmlich reiche Leute oder solche, die weder Beruf noch Geschäft hatten. Die andern waren im allgemeinen geblieben, in Erwartung des Schlimmsten, so in den äußern Bezirken und Vorstädten, in Southwark, Ratcliff, Stepney, Rotherhithe und da herum, bis auf die wenigen Wohlhabenderen, die unabhängig waren.

      Man darf nicht vergessen, daß beim Ausbruch der Seuche London mit all seinen Vorstädten richtig überfüllt an Menschen war. Wenn auch seither die Bevölkerung weiter mächtig zugenommen hat, so waren doch damals, nach

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