Heil mich, wenn du kannst. Melanie Weber-Tilse

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Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse Heil mich - Reihe

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Das ist alles, was sie im Moment noch hat«, sagte er leise. »Stell deine Wünsche hinten an und sprich mit ihr.«

      Michael schwieg eine Weile, nickte dann langsam und seufzte tief. »Du hast Recht. So schwer mir fällt, das zuzugeben.« Er erhob sich schwerfällig. »Danke, Jon. Ich schätze, ich habe deine offenen und harten Worte wirklich gebraucht.«

      Jonathan lächelte nur leicht. »Michael, du bist nicht nur der, der mein überaus großzügiges Gehalt bezahlt, sondern auch mein Freund. Wer, wenn nicht ich sollte ehrlich zu dir sein? Und jetzt geh. Geh zu Annabell, und frag sie, was sie will.«

      Annabell

      Zeit war bedeutungslos. Diese zog vorbei, ließ sich nicht fassen. Jeder Tag glich dem anderen und nur selten zeigte sich ein winziger Lichtblick. Ansonsten gab es keine Schattierungen, sondern nur eine stetig anherrschende Dunkelheit, die sie mehr und mehr verschlang.

      Sie verlor sich immer mehr und die Übungen, die Jonathan mit ihr machte, ließ sie einfach nur über sich ergehen. Hatte sie anfangs noch mitgeholfen, so schaltete sie ab, um nicht mehr die andauernden Schmerzen ertragen zu müssen. Es gab nichts, wofür es zu kämpfen lohnte.

      Jeder der sie besuchen kam, versuchte, Gespräche mit ihr zu führen. Doch sie antwortete nicht mehr. Niemandem. Sie wollte nur noch ihre Ruhe. Doch keiner von ihnen ließ sie ihr. Anstatt zu akzeptieren, wurden ihr Erinnerungen aufgedrängt, an die sie sich nicht erinnern konnte.

      Emma, deren Namen kurz in ihrem Gedächtnis herumgegeistert war, saß oft an ihrem Bett und erzählte Geschichten von Michael und ihr. Sie berichtete mit so viel Liebe und Wärme und doch erreichte keines dieser Gefühle ihr Herz. Dieses war kalt und schlug einfach nur noch zur Lebenserhaltung in ihrer Brust. Und jeden Tag hoffte sie, es würde endlich seinen Dienst aufgeben, damit sie keinen weiteren Tag mehr ertragen musste.

      »Tanteee«, krähte da die Stimme von Cassy neben ihrem Bett. Schwerfällig wandte sie den Kopf zu dem Kind. Es war Michaels und Susan Tochter und auch wenn man ihr gesagt hatte, dass sie das Kind nicht kennen konnte, so war Cassandra dennoch die Einzige, die etwas in ihr auslöste, dass sie nicht beschreiben konnte.

      Die Kleine setzte sich zu ihr auf das Bett und hielt ihr den Trinkbecher hin. »Mommy sagt, du musst mehr trinken.«

      Der Strohhalm kratzte über ihre Lippe, sie öffnete den Mund und trank ein paar Schlucke. Glücklich klatschte Cassy in die Hände, nachdem sie den Becher wieder zurückgestellt hatte, und freute sich. Das war einer der wenigen Momente, die Annabells Herz nicht mehr ganz so kalt ließen.

      »Schatz, würdest du bitte zu Mom gehen? Ich habe etwas mit deiner Tante zu besprechen«, erklang Michaels Stimme von der Tür.

      Übermütig sprang Cassandra, wie sie eigentlich hieß, vom Bett und warf sich erst einmal laut jauchzend ihrem Vater in die Arme.

      Wäre sie auch eine gute Mutter? Konnte sie überhaupt noch Kinder bekommen? Annabell schüttelte die Gedanken ab. Das war egal. Sie würde es nie herausfinden, denn die Tage, die sie noch auf Erden hatte, waren bereits gezählt.

      Ihr Bruder trat an das Bett und wie zuvor seine Tochter setzte er sich auch an ihre Seite.

      »Jonathan hat Recht«, seufzte er dann, was sie aufschauen ließ. »Ich habe es nicht wahrhaben wollen. Aber du verlierst dich wirklich. Annabell, das kann ich nicht zulassen. Ich habe dich schon einmal fast verloren, noch mal halte ich das nicht durch.«

      Bei diesen Worten hatte er ihre Hand genommen, strich sanft darüber und sie sah Tränen in seinen Augen schimmern.

      »Es fällt mir schwer, aber wenn du es hier nicht mehr aushältst, dann lasse ich dich los. Es gibt ein Therapiezentrum in Florida. Nein, schau mich nicht so an, Annabell. Nicht so eins, wo du gerade hergekommen bist. Die Delfintherapie ist etwas ganz anderes und ich bin sicher, es wäre genau das Richtige für dich.«

      Sie spürte, wie er ihr ein glattes Papier in die Hand drückte und dann aufstand. »Meine einzige Bitte. Schau es dir an.«

      Mit zügigen Schritten verließ er ihr Zimmer. Stille hüllte sie wieder ein und normalerweise war das der Zeitpunkt, wo sie erneut in die Dunkelheit abtauchte. Doch das Papier in der Hand ließ sie nicht los, und auch wenn sie die Finger noch nicht bewegen konnte, so hielt sie dieses wie einen Rettungsanker fest.

      Langsam hob sie Stück für Stück die Hand an. Es tat weh, aber etwas trieb sie an, sie musste sehen, was ihr Michael in die Hand gedrückt hatte.

      Als die Vorderseite des Flyers, daher auch die glatte Oberfläche, ins Blickfeld kam, stockte Annabell. Sie konnte nicht aufhören, auf das Bild zu starren und erst ein Räuspern von der Tür her riss sie von dem Anblick los. Kraftlos fiel ihre Hand zurück auf die Decke.

      »Über eine Minute. So lange hast du es noch nie geschafft, deine Hand zu halten.« Jonathan kam lächelnd auf sie zu.

      Als sie nicht reagierte, sah sie, wie das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand und wie immer, wenn sie ihm nicht antwortete, Traurigkeit und Verzweiflung Platz machte.

      »Annabell, bitte sprich doch mit mir!«

      Sie konnte nicht. Sie wollte einfach nicht. Wieder zog das Bild des Flyers sie magisch an und sie hob ihn noch einmal hoch, um ihn anzuschauen.

      »Möchtest du dorthin? Ein Zeichen von dir reicht aus, Anna. Aber bitte gib mir wenigstens eins!« Sie hörte die Verzweiflung in seiner Stimme.

      Sie legte die Hand ab, hielt aber weiterhin den Prospekt fest. Sein Blick ruhte auf ihr und sie nickte stumm. Zeigte sein Gesicht Verwunderung und … Hoffnung?

      »Aber nur mit dir«, flüsterte sie.

      Da war es wieder, das Lächeln. Er trat ans Bett und nahm ihre Hand, in der sie immer noch den Flyer hielt. Er drehte es so, dass beide darauf schauen konnten. »Da wäre ich aber sehr dumm, wenn ich da Nein sagen würde. Das ist doch das reinste Paradies. Wann bekommt man schon die Möglichkeit mit Delfinen zu schwimmen?«

      Seine warme Hand lag auf ihrer und gab ihr seit langer Zeit wieder das Gefühl, lebendig zu sein.

      ***

      »Bist du bereit?«

      Sie nickte nur, denn sie traute ihrer Stimme nicht wirklich. Sie war tatsächlich aufgeregt und das sollte keiner mitbekommen. Die letzten zwei Wochen hatten sich gezogen, bis Michael einen Platz für sie bekommen hatte. Doch nun war alles geregelt, Jonathan durfte als Betreuungsperson mitkommen und würde dort bei allen Behandlungen und Anwendungen, die durchgeführt wurden, anwesend sein.

      Ärzte und Pflegepersonal waren auf ihre Situation vorbereitet und man hatte immer wieder versichert, dass Annabell nicht der erste Fall ihrer Art sei, den man dort behandelte. Auch diese Aussage hatte ihr ein wenig Zuversicht zurückgebracht, denn sie war somit kein Einzelfall.

      Michael stellte seinen Jet zur Verfügung, damit sie die 1400 Meilen nicht im Auto verbringen mussten. Die Verabschiedung zuhause war sehr tränenreich ausgefallen. Vor allen Dingen von Emmas Seite aus. Doch nichts hatte Anna so sehr berührt wie die kleine Cassy. Diese hatte ihr eine selbstgemalte und gebastelte Karte in die Hand gedrückt, auf deren Vorderseite sie mit ihr auf dem Arm abgebildet war.

      Eine Annabell, die wieder stehen und ihre Nichte halten konnte. Jetzt dagegen hielt Jonathan sie auf dem

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