Die Liebe in deinen Spuren. Nancy Salchow
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Unsere Musik. Das war im Grunde nichts weiter als ein Stick mit textlosen Kompositionen, den er mir bei unserem letzten Treffen in die Hand gedrückt hatte. Musik, die darauf wartete – so nannte Piet es zumindest –, durch meine Worte ein Gesicht zu bekommen.
Früher, anderthalb Jahre war das inzwischen her, hatte ich in der Regel im Probenraum der Band an den Texten gearbeitet. Die Musik, die sie zeitgleich komponierten und ausarbeiteten, beflügelte mich zu ungeahnten Fähigkeiten. Mit jedem Akkord, jedem Tonwechsel schäumten die Ideen in mir regelrecht über. Piets Anwesenheit tat den Rest. Nie zuvor hatte jemand mein Talent so zu schätzen gewusst, wie die Jungs es taten. Nie zuvor war meine Leidenschaft für die Musik so auf ihrem Höhepunkt.
Und nie zuvor hatte eine einzige Nachricht meine Leidenschaft von einem Tag auf den anderen wie ein Kartenhaus zum Einsturz gebracht.
Aber das war Vergangenheit. Zumindest bemühte ich mich mit aller Kraft, den Erinnerungen den Zugang zur Gegenwart zu verwehren.
Ich verdrängte die trüben Gedanken, während ich meine Reisetasche vor dem Treppensims auf den Boden fallen ließ.
Piet hatte recht. Hier hatte ich meine Ruhe. Hier war ich allein. So wie ich es wollte. Und doch erschien mir die Tatsache in diesem Moment eher einschüchternd als beruhigend. Ich hatte das Haus für vier Wochen gemietet, eine Zeitspanne, die mir anfangs sogar eher kurz vorgekommen war. Jetzt allerdings stand ich in der offenen Tür des Ferienhauses, das im Katalog mit dem vielversprechenden Titel „Fliederresidenz“ angepriesen wurde, und fragte mich, wie ich auch nur einen einzigen Tag in dieser Einsamkeit überstehen sollte. Ganz in der Nähe, nur drei Dörfer weiter, war ich aufgewachsen. Die ersten vierzehn Jahre meines Lebens hatte ich dort verbracht, und doch kam ich mir in Boiensdorf, diesem verschlafenen kleinen Ort an der Ostsee, wie in einem Asyl für Ausgestoßene vor. Sicher war es der richtige Platz, um Familienurlaub zu machen, zu entspannen oder romantische Tage zu zweit zu verbringen, aber was genau war es, das ich hier zu finden hoffte? Ablenkung? Ruhe? Wie konnte ich an einem Ort Ruhe suchen, wenn ich selbst die Ruhelosigkeit ständig bei mir trug? Und wie sollte es möglich sein, mich von den Gedanken an Piet abzulenken, wenn der Grund für meinen Aufenthalt die Arbeit für sein Projekt war? Für seine Band, sein Album!
Durch die offene Tür drang eine milde Maibrise herein und durchzog, einem tiefen Atemzug ähnlich, den Eingangsbereich des Hauses. Ich nahm das Rauschen des nahen Wassers wahr, hier und da den dumpfen Schrei einer Möwe. Eine Idylle, wie ich sie herbeigesehnt hatte, und doch kam sie mir in diesem Moment bedrückender vor als jeder Tag, den ich in den letzten Jahren in der Stadt verbracht hatte.
Mit einem leichten Fußtritt schloss ich die Tür hinter mir und ließ mich auf die kleine Rattanbank fallen. Wie die Wände war auch die Einrichtung in dezenten Weiß- und Lavendeltönen gehalten. Zwischen der Sitzbank und einem Sessel stand ein kleiner runder Tisch, darauf eine gläserne Vase mit frischem Flieder, weiße und violette Blüten, die den Raum mit einer Ahnung von Sommer erfüllten.
Und wenn es doch eine blöde Idee gewesen war, der Arbeit am Album zuzustimmen? Nach mittlerweile vier Jahren als professionelle Songtexterin konnte ich es mir schließlich aussuchen, welche Aufträge ich annahm und auf welche ich lieber verzichtete.
Doch noch bevor ich die Frage zu Ende denken konnte, wusste ich, dass es keine Alternative gab. Ganz gleich, was zwischen Piet und mir geschehen war, egal, welche Illusionen im Laufe der letzten Monate zerbrochen waren – ich musste es tun. Kein Album der Jungs war bisher ohne mich entstanden; außerdem hatte ich Angst, durch das Ablehnen ihrer Bitte den Kontakt zu Piet komplett abzubrechen. So sehr ich mich auch dagegen sträubte, ich brauchte sie, die Möglichkeit, dass einer der blinkenden Umschläge in meinem E-Mail-Postfach von ihm war, die Gewissheit, dass hin und wieder sein Name auf dem Display meines Handys erschien, wenn auch nur aus sogenannten beruflichen Gründen.
Das Vibrieren an meinem Oberschenkel durchzog mich wie ein unerwarteter Stromschlag. Hastig holte ich das Handy aus meiner Jackentasche. War es möglich, dass ...?
Nein, nur der tägliche Kontrollanruf meiner Mutter.
„Hallo Mama.
Ja, gerade eben. Es ist sehr schön.
Nein, da schaue ich vielleicht morgen vorbei. Heute will ich erst einmal in Ruhe mein Pensum feststecken.
Pensum.
Nein, PENSUM, Mama.
Ja, genau.
Hör mal, ich muss noch meine Sachen auspacken. Kann ich dich später zurückrufen?
Ich dich auch.“
Ich schob das Handy zurück in meine Jacke, während ich mich seufzend gegen die Lehne der Bank fallen ließ. Noch immer kreisten meine Gedanken um das Gespräch mit Piet. Dreimal hatte ich seine Bitte, mich zu treffen, abgelehnt. Beim vierten Mal, zwei Wochen war das inzwischen her, hatte ich ihm schließlich nachgegeben. Das kleine Café, das nur wenige Meter von dem Probenraum entfernt lag, in dem damals alles angefangen hatte, war hingegen mein Vorschlag gewesen.
Wehmütig rief ich mir seine Worte ins Gedächtnis.
„Ich weiß, dass die Sache damals sehr unglücklich ausgegangen ist. Aber du hast mir nie die Chance gegeben, dir alles in Ruhe zu erklären.“
„Weil es nichts zu erklären gab, Piet. Du hast deine Entscheidung getroffen, und daran gab es nichts mehr zu rütteln. Du warst mir keine Rechenschaft schuldig.“
„Doch, das war ich.“ Ja, das war er. Es war die Art von Rechenschaft, die verbindlicher ist als alle anderen. Das stillschweigende Erwarten als Reaktion auf stillschweigende Emotionen, die von stillschweigenden Menschen gelebt werden. Ein Stillschweigen, das nicht lauter sein könnte. Und eine Rechenschaft, die so unumgänglich ist wie der Drang, sie zu erwarten. Auch wenn das Stillschweigen kurz vorher zum ersten Mal durchbrochen worden war. Doch das war eine andere Geschichte.
„Alles, was die Band heute ist, ist sie nur durch dich, Tina. Du weißt, dass wir es nicht so mit Worten haben.“
„Ihr seid an dem Punkt, an dem ihr euch locker auch einen anderen Texter leisten könntet. Einen mit wesentlich mehr Erfahrung.“
„Wie können wir erwarten, dass uns jemand aus der Seele spricht, der uns nicht kennt? Du kennst uns, Tina. Du kennst mich. Vermutlich besser als jeder andere.“
Vermutlich besser als jeder andere. Diese Worte hatten sich wie ein Anker in meinem Bewusstsein verkeilt. Wo in seinem Kopf befand sich der Gedanke an Jessica, als er diese Worte aussprach? Vermutlich besser als jeder andere. War es möglich, dass es noch immer eine Bindung zwischen uns gab, die selbst sie – der Grund für die offensichtliche Unterbrechung ebendieser Bindung – niemals restlos zerstören konnte?
Je öfter ich mir das Gespräch ins Gedächtnis rief, desto sicherer wurde ich, dass er mit solchen Kommentaren lediglich versucht hatte, mir zu schmeicheln, um mich erneut ins Boot zu holen.
„Ich glaube nicht, dass ich euch, dass ich dich noch wirklich kenne, Piet. Es ist so viel geschehen, und das letzte Album ist fast anderthalb Jahre alt.“
„Genau