Märchen aus Toffiland 1. Verena K. Bauer

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Märchen aus Toffiland 1 - Verena K. Bauer

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rief, öffnete Daniela unsicher ihren Schulranzen und nahm die Karotte raus. Diese fest in der Hand haltend, folgte sie den anderen mit größerem Abstand auf den Pausenhof. Vielleicht würden sie sie diesmal nicht bemerken. Und sie hatte ja ihren Karottengeist-Freund in der Hand. Alles würde gut werden. Im Moment war aber gar nichts gut.

      „Daniela, Karottenkopf!“ „Du, du solltest mal Gurken essen, vielleicht werden deine Haare dann grün!“ „Daniela, du stinkst nach Karotte!“ „Jetzt weint sie schon wieder, diese hässliche Gemüse-Hexe!“ So ging es in einem fort.

      Niedergeschlagen starrte Daniela auf die Karotte in ihrer Hand. Ach, es war zu schön gewesen! Es war doch nur eine einfache Karotte und sie hatte das mit dem Geist nur geträumt. Sie hatte gar keinen Karottengeist-Freund. Also, was half's, darüber nachzudenken. Traurig hob sie die Hand mit der Karotte. Dann würde sie sie eben essen. Tränen tropften auf die Karotte, als sie sie zum Mund führte. Und genau in dem Moment, als sie ein Stück davon abbeißen wollte, geschah es.

      „Halt! Halt!“ rief die tiefe Stimme so laut, dass Daniela und alle anderen Kinder erschrocken zusammen fuhren. Das Mädchen ließ die Karotte fallen und kaum berührte diese den Boden, begann sie sich, wie schon einmal, immer schneller zu drehen, bis erneut der orange Karottengeist als riesige Wolke da stand.

      „Endlich“, flüsterte Daniela, während ihre Schulkameraden wie versteinert mit offenen Mündern da standen. Der Geist wandte sich nun knurrend zu diesen um und brüllte lauthals: „ Sooooo! So so! Ihr findet meine Farbe also hässlich! So hässlich, dass ihr Daniela traurig macht! So so!“ Dabei bewegte er sich drohend auf die Kinder zu und rollte die Augen ganz fürchterlich. Diese wichen zu Tode erschrocken zurück und wussten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten. Tatsächlich begann jemand zu kichern: „Der ist so hässlich wie Danielas Haare! Diese hässliche Riesenrübe!“ Doch da wurde es dem Karottengeist endgültig zu bunt und er schrie so laut, dass es wie ein heftiger Donner war: „Na, wartet, ihr bösen kleinen Menschen! Das war sehr unklug von euch! Zur Strafe, dass ihr mich hässlich findet und deswegen diesem Mädchen das Leben schwer gemacht habt, werdet ihr von nun an euer ganzes Leben lang so aussehen wie ich. Ebenso eure Kinder und Kindeskinder.“ Mit diesen Worten begann der Karottengeist immer größer zu werden. So groß, bis er schließlich platzte. Dabei spritzte grüne Farbe auf die Köpfe der Kinder und orange Farbe auf ihre Haut. Die orange Farbe drang durch ihre Kleider, so dass jeder Zentimeter ihrer Haut karottenfarbig wurde. So standen sie nun alle da und sahen aus wie Karotten mit einem grünen Haarbüschel oben drauf. Nur das kleine Mädchen Daniela war verschont geblieben.

      Niemals wieder sah sie den Karottengeist, aber jedes mal, wenn sie eine Karotte aß, dachte sie an ihn. Denn von dem Tage an ist sie nie wieder gehänselt worden. Sie wurde ein fröhliches, unbeschwertes Mädchen und Jahre später erzählte sie ihren Kindern und Enkelkindern, die dieselben schönen, leuchtenden Haare hatten wie sie, die Geschichte. Ihre Schulkameraden aber mussten ihr Leben lang damit zurecht kommen, karottenfarbene Haut und grüne Haare zu haben. Nachdem sie groß genug waren, die Schule zu verlassen, hat Daniela nie wieder von ihnen gehört. Und darüber war sie nicht traurig.

      Ameise Tilly

       Unten beim See, im nahen Wald, stand einst ein Ameisenhaufen. Es war der mächtigste Ameisenhaufen weit und breit. An einem schönen, warmen Tag schlüpfte die kleine Ameise Tilly aus einem der unzähligen Ameisen-Eier. Sofort sahen die älteren Ameisen, dass mit der Kleinen etwas nicht in Ordnung war. Nach einigem Begutachten und Beratschlagen und vielen Untersuchungen stellten sie endlich fest, dass Tilly acht Beine hatte. Das gab nun eine grosse Aufregung im Ameisenhaufen, denn so etwas hatte es noch gar nie gegeben. Jedenfalls hatte noch nie zuvor jemand eine Ameise mit acht Beinen gesehen. Als sie diese Ungehörigkeit endlich fest gestellt hatten, wichen sie angewidert von der armen kleinen Tilly zurück. „Iiiiih! Wenn das nur nicht ansteckend ist! Tötet sie!“ riefen sie im Chor. Diese verstand ja noch gar nicht, worum es ging. Aber das ganze Geschrei erschreckte sie und sie fing an zu weinen. „Aber, aber, nicht doch weinen, kleine Tilly“, meldete sich da eine greise Ameise zu Worte. „So schlimm ist das doch ganz gewiss nicht. Vielleicht kann sie, wenn sie gross ist, schneller arbeiten, weil sie acht Beine hat und nicht nur sechs.“ Da in einem Ameisenstaat viel wert darauf gelegt wird, dass einer richtig arbeiten kann, wurde der Vorschlag gut geheißen und die unglückliche, achtbeinige Tilly durfte am Leben bleiben.

      Bald schon war sie gross genug, um mit den anderen Ameisen zu arbeiten. Aber das war nicht so leicht mit ihren zwei überzähligen Beinen. Immer wieder stolperte sie und riss dabei die anderen mit, so dass an ein wohlgeordnetes Arbeiten gar nicht zu denken war. Und in einem Ameisenstaat muss man wohlgeordnet arbeiten. Etwas anderes geht gar nicht. So wurde Tilly jeden Tag geschubst und ausgeschimpft, bis sie weinen musste. Eines Tages war es ganz besonders arg, denn wegen Tilly hatte die Kolonie einen grossen Ast fallen lassen und dieser hatte ein Stück des Ameisenhaufens weg gerissen. Jetzt verlor auch die letzte Ameise die Geduld mit der armen Tilly. Mit Schimpf und Schande wurde sie aus dem Ameisenstaat gejagt.

      So stolperte Tilly ganz alleine und verlassen durch den Wald. Für eine Ameise ist es besonders schlimm, alleine zu sein, denn so etwas kennt sie nicht. Ihr ganzes Leben lang sind immer viele Ameisen um sie herum. Und nun fürchtete sich Tilly ganz arg, alleine in dem riesigen Wald voller Gefahren. Eins ums andere Mal fiel sie auf die Nase, weil sie die acht Beine nicht unter Kontrolle bringen konnte. Es war ein trauriges Bild. Die Tiere, denen sie begegnete, lachten sie alle aus. Dass Tilly so fest weinen musste, machte es noch schlimmer, denn mit Tränen in den Augen konnte sie gar nicht richtig sehen, wo sie hintrat. Als sie erneut hingefallen war, blieb sie einfach liegen und schluchzte zum Herzzerreissen. In diesem Moment flatterte eine junge Meise vor ihr durch die Luft. Sie war noch etwas unbeholfen und so plumpste sie genau vor der traurigen Ameise auf den Waldboden.

      „Ups“, sagte die kleine Meise und stand auf, um ihre Federchen zu sortieren. Dann erst bemerkte sie Tilly und ging neugierig näher. „Ja, friss mich nur, Vögelchen, denn zum arbeiten kann man mich nicht gebrauchen. Und eine Ameise muss arbeiten können, sonst ist sie nichts wert.“ „Aber wieso bist du denn nicht zu gebrauchen?“ fragte die kleine Meise neugierig. „Weil ich acht Beine habe und immer stolpere. Jetzt ist auch noch der Ameisenhaufen kaputt wegen mir. Sie haben mich fort geschickt. Ganz alleine bin ich nun.“ klagte Tilly. Die kleine Meise wusste leider keinen Rat und so holte sie ihre Eltern.

      Mama und Papa Meise hörten sich an, was der kleinen Tilly passiert war. Und dann sagten sie wie aus einem Schnabel: „Geh doch zu den Spinnen, kleine Ameise, die haben auch acht Beine. Dort fällst du nicht weiter auf.“ „Meint ihr?“ fragte Tilly hoffnungsvoll und dann stolperte sie durch den Wald, bis sie eine Spinnenfamilie fand, die sie bei sich aufnahm.So fand Tilly nicht nur ein neues Zuhause, nein, sie lernte sogar recht ordentlich mit acht Beinen gehen. Und manche behaupten, dass die Netze, die Ameise Tilly spann, besonders hübsch waren.

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