Kobe, einer von vielen. Helmut Lauschke
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Samira. Was wir sonst in den Köpfen mit uns tragen, das sind Schmerz und Trauer und die vielen Fragen. Was wir in den Händen halten, wird den Tag nicht überstehen, wenn das Wasser fehlt und die Schwäche uns befällt und die Kinder aus letzter Kraft den weiten Weg folgen. Möge es der Schöpfer in seiner Gnade bewirken, dass es das junge Leben bis ans Ende schafft.
Hakim. Der Tag geht zur Neige, ich blicke auf, dass mir der große Führer die Richtung zeige, wo wir die Nacht verbringen ohne Mord und Tod. Denn die Menschen sind erschöpft, dass sie das Ruhelager für ein paar Stunden brauchen.
Samira. Die Finger krampfen im Schmerz der Sehnsucht, wund und rissig haben sich die Füße gelaufen.
Hamoudi. Was gestern war, es zählt nicht mehr, zerschossen liegt das Haus in Trümmern.
Samira. Mit den Alten, die wehrlos sind, mit dem Lehrer, dem wir so vieles zu verdanken haben.
Hakim. Zerschossen mit den Werken bleibt zurück, was die Erinnerungen bindet.
Hamoudi. Es gibt die Freundschaften von Kindesbeinen an, von denen viele ihr Leben verloren.
Samira. Die ersten Sterne leuchten auf, wir sehnen uns nach einem Platz der Ruhe.
Hakim. Wir brauchen dringend die Ruhe für die Nacht.
Hamoudi. Wir brauchen aber auch das Wasser für den Durst.
Samira. Das so viel mehr brauchen die Kinder, die mit uns gehen und die ganze Sache nicht verstehen.
Chor (unsichtbar). Tränen der weggerissenen Liebe begleiten den Marsch, an ihr haften die Erinnerungen eines hoffnungsvollen Lebens. Sie bleiben zurück gestapelt zwischen bemalten Wänden, gefaltet und zusammengelegt an den Enden. War einst trotz der Armut das Zusammenleben doch friedlich, gepflegt wurde die Nachbarschaft durch Hilfe und Verständnis. Nun ist die Wärme des Geistes erkaltet, dass Geiz und Neid zerstören, was es an Gutem gab.
Einst führte der Glaube die Herzen auf den Wegen der Bescheiden- und Zufriedenheit, er führte zum Zuhören und zur Stille im Denken. Achtung fand durch die Jahre des Lebens, was die Alten der Jugend lehrte, denn begriffen wurde mit den Herzen, dass Weisheit in der Tiefe lag, was sie an Abenden erzählten in der Dämmerung der ausgehenden Tage und geduldig auf die Fragen warteten und in der Antwort das Leben erklärten. Sie sprachen in der Orientierung, die sie von ihren Vorvätern erworben hatten und ließen keinen Zweifel an der Wahrheit, diesen Lebensweg fortzusetzen.
Hamoudi. Wie finster ist es um die Herzen dann geworden, als Menschen es beiseite schoben, was ihnen als Weisheit gegeben worden war.
Hakim. Sie waren geblendet und ertaubt, dass sie es nicht verstanden, was in schlichter Rede ihnen von Jugend an vorgetragen worden war.
Hamoudi. Es kann kein gutes Ende nehmen, wenn Überheblichkeit die gute alte Wahrheit verlacht und verwirft. Denn diese Wahrheit trägt gebündelt die großen Werte im Mantel der Weisheit.
Hakim. Doch weder die Augen der Jugend noch ihre Herzen erkennen die Größe, sie sind gefesselt durch die Kleinigkeiten der äußeren Dinge und lassen sich von innen heraus nicht belehren. Sie meinen, dass sie die Dinge des Lebens besser verstehen.
Hamoudi. So erleben sie nun das Blasenlaufen der wunden Füße, während hinter ihnen die Städte in Trümmer zerfallen.
Hakim. Nun sagen sie, dass der Zerfall weder beabsichtigt noch vorauszusehen war, dass es fremde Mächte sind, die im Wahnsinn des Hasses plündern, schänden und morden. Es geht soweit, dass sie die kostbaren Kulturgüter mit Hämmern und Äxten zerschlagen, dass sie mit Bulldozern die heiligen Stätten zerwalzen.
Hamoudi. Das kann nur das Ende sein, dem wir zu entkommen suchen, wenn hinter uns Stadt und Dörfer im Erdboden versinken, Frauen und Kinder geschändet und die Männer enthauptet werden. Was bleibt dann für uns noch übrig?
Hakim. Es ist die große Frage, und ich fürchte, dass uns der Schreck in die Glieder fahren wird.
Chor (unsichtbar). Der Donner schlägt hart, dass wir mit den Köpfen und Gliedern zittern. Heulend fegt der Sturm als großer Rächer, krachend bersten die Wände, stürzen die Dächer. Verstaubt kommen die Körper mit eingefallenen Gesichtern, tief sind die Zeichen der Erschöpfung eingegraben. Es blitzt mit donnernden Salven über den Lichtern, dass kaum noch Leben in den Gemäuern zu erwarten ist.
Was mit guten Geistern durch die Jahre ging, es ist vergangen und kommt nicht wieder trotz größtem Verlangen. Vom Wege ab formieren sich die Menschen zu Schlangen, sie stehen mit Frauen und Kindern und den Alten. Sie alle stehen erschöpft mit Wunden an den Füßen, und in den Augen vergraben sind Schmerz und Trauer. Was noch vor ihnen liegt, sie wissen es nicht, so bleibt die Furcht, dass es schlechter nicht werden wird.
Samira. Hier passt mein Leben gar nicht her, wo einst der Frieden durch die Gassen zog. Hass und Feindschaft machen’s schwer, wo in Jahren milde Güte leicht und freudig wog. Es gab die engen Bande des Miteinander, als Not und Krankheit am Menschen zehrten. Es gab das Helfen mit dem Beistand von Herz und Hand, was alle selbstlos taten, eine Sitte, sie war altbekannt.
Dass es mit Gewalt und Hass so anders kam, so unerwartet anders wurde alles über Nacht, dass Menschen geschlagen und gefoltert werden, dass der Friede mit den Dächern niederbrennt. Ich begann die Gesichter genauer zu betrachten und sehe die Angst und Hoffnungslosigkeit in ihren Augen, dass ich den brennenden Schmerz tief in mir spüre und erstarre mit jagendem Herz.
Es brauchte Zeit, die Eigenatmung zu bemerken. Die Minuten vergingen, den Willen zu stärken, was nicht geschah bis in die letzten Stunden hinein. Es zieht sich in die Monate und Jahre mit dem Ringen, um ein Leben mit mehr Reife und Erkenntnis gründiger zu verstehen, warum es kommt, dass große Werte so sinnlos zerschlagen werden.
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