Hilmer. Jörg Olbrich
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Читать онлайн книгу Hilmer - Jörg Olbrich страница 7
„Wonibalt selbst wird sehen, ob wir unseren Befehl befolgen“, erklärte Targi.
„Er wacht über sein Volk“, belehrte Torgi seinen Vetter.
„Ihr seid noch dümmer, als ich gedacht habe“, sagte Hilmer resignierend. Er wusste nicht, wie er den dreien erklären sollte, dass Helmut sie alle hinterging und es keinesfalls nötig war, dass so viele Artgenossen freiwillig in den Tod gingen. Er selbst war mittlerweile fest davon überzeugt, dass Helmut die heiligen Schriften des furchtlosen Wonibalts falsch deutete.
Wenn diese überhaupt existierten.
Er glaubte nicht mehr an das gelobte Land und ärgerte sich darüber, wie leicht er sich so lange von diesem Unsinn hatte blenden lassen.
„Es ist vorbei“, sagte Turgi und klopfte Hilmer auf die Schulter. „Du hast alles versucht, du kannst aber deinem Schicksal nicht entrinnen.“
„Dein Tod ist so sicher wie die Tatsache, dass Fred Agnes schwängern wird“, lachte Targi und traf Hilmer damit an seinem wundesten Punkt.
„Sie wird die nächsten Wochen noch einmal genießen können“, trat Torgi nach.
„Lasst mein Weib aus dem Spiel!“, schimpfte Hilmer zornig und überlegte einen Moment lang, auf welchen seiner drei Vettern er sich zuerst stürzen wollte. Waren sie ihm bisher mit ihrem Gefasel über das gelobte Land einfach nur auf die Nerven gegangen, begann er jetzt langsam, aber sicher die drei Brüder zu hassen.
„Agnes ist nicht mehr dein Weib“, sagte Targi noch immer grinsend. „Du wirst heute sterben. Diesmal werfen wir dich persönlich vom Todesfelsen hinunter. Und genau da gehen wir jetzt hin.“
Hilmer lief schweigend zwischen Turgi, Targi und Torgi her. Der Blamage, von den Brüdern den Hang hinaufgeschleppt zu werden, wollte er sich nicht noch einmal aussetzen. Seine Angst hielt sich zu seiner eigenen Überraschung in Grenzen. Immerhin hatte er den Todesfelsen bereits einmal bezwungen. Warum sollte ihm das nicht noch einmal gelingen? Mit unterschiedlichen Zielen erreichten die vier Lemminge so zum dritten Mal an diesem Tag den Wachposten am Fuße des Schicksalsberges.
„Ich seid ja schon wieder hier“, stellte der Wächter überrascht fest. „Was treibt ihr hier für ein eigenartiges Spiel?“
„Der da hat den Sprung überlebt“, sagte Targi und deutete auf Hilmer.
„Er hat was?“
„Er konnte sich an einem Busch festhalten und den Rest des Berges hinunterklettern“, antwortete Turgi.
„Das hat vor ihm noch keiner geschafft“, sagte der Wächter. Der Blick, den er Hilmer zuwarf, zeigte eine Mischung aus Anerkennung und Überraschung.
„Normalerweise versucht das ja auch niemand“, sagte Turgi verächtlich.
„Das ist keine Tat, auf die man stolz sein kann“, behauptete Targi.
„So verhält sich ein Lemming nicht“, stellte Torgi fest.
„Passt auf, dass euch der Kerl nicht wieder entwischt“, sagte der Wächter zum Abschied und sah Turgi, Targi, Torgi und Hilmer kopfschüttelnd nach. Beim abendlichen Bier in der Taverne, würde er seinen Kollegen etwas zu erzählen haben. Die Kunde, vom Lemming der nicht sterben wollte, würde die Runde machen und weitere Zweifler auf den Plan rufen, die Hilmers Ansichten vielleicht teilten. König Helmut konnten die Entwicklungen nicht gefallen. Ganz und gar nicht.
Diesmal machten die Lemminge den Brüdern keinen Platz. Inzwischen hatte jeder von ihnen Angst, es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach oben zu schaffen. Zu lange schon standen sie selbst am Hang und warteten darauf, den Todesfelsen endlich zu erreichen. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand schon lange überschritten, als die vier die Kante erreichten, von der aus sie in die Tiefe springen konnten.
Hilmer hatte sich den ganzen Weg über nicht mehr gewehrt und seine Vettern so in Sicherheit gewiegt. Das änderte er nun. Ehe einer der Brüder überhaupt reagieren konnte, stürmte der vermeintliche Volksverräter zwischen Turgi, Targi und Torgi hindurch und ließ sich einfach in den Abgrund fallen. Die genaue Lage des Busches hatte er sich gemerkt und baute darauf, dass er ihn auch diesmal auffangen würde.
„Du bist ein verdammter Drecksack“, brüllte Turgi seinem Vetter nach, konnte ihn aber nicht aufhalten.
Hilmer ließ sich nicht beirren. Wie bereits am Vormittag schaffte er es, den Busch als Halt zu nutzen. Er schaute nach oben, um seinen Vettern ein paar hämische Worte zuzurufen und erschrak, als er sah, dass ihm Turgi hinterhergesprungen war.
„Diesmal entkommst du uns nicht“, schrie Targi und folgte seinem Bruder.
Auch Torgi schien zu allem entschlossen zu sein. Er ließ sich fallen, um die Jagd auf den Verräter aufzunehmen. Hilmer musste sich jetzt beeilen, wenn er nicht doch noch erwischt werden wollte, und begann mit dem Abstieg.
„Ich kriege dich“, zischte Turgi, der sich an einem Ast festhielt, und nur noch wenige Meter von Hilmer entfernt war.
Der Flüchtling hetzte den steilen Hang hinunter und musste dabei aufpassen, nicht den Halt zu verlieren. Gegenüber seinen Verfolgern hatte er den Vorteil, dass er diesen Weg schon einmal gegangen war. Abschütteln ließen sich die drei Brüder aber trotzdem nicht.
„Hilmer, bleib stehen!“, schrie Turgi, als sie den Boden erreichten, doch der rannte weiter, als säße ihm der Teufel persönlich im Nacken.
„Wir kriegen dich!“, ächzte Targi, der Hilmer am dichtesten auf den Fersen war.
„Damit kommst du nicht durch!“, fluchte Torgi und bückte sich nach einem Stein. Mit diesem zielte er auf seinen Vetter und warf.
Hilmer spürte einen Schlag gegen den Hinterkopf. Er kam ins Straucheln und fiel. Ehe er auch nur einen Versuch unternehmen konnte, aufzustehen und seine Flucht fortzusetzen, waren Turgi und Targi bei ihm. Die beiden Lemminge prügelten auf ihren Vetter ein, bis dieser das Bewusstsein verlor.
7
„Hilmer, du bist ein Querulant!“, sagte Helmut und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den ehrlosen Lemming.
Der stand zwischen seinen Vettern und hätte sich am liebsten in einem Erdloch verkrochen. Sein Schädel brummte und, wenn er an die Stelle fasste, wo in der Stein getroffen hatte, konnte er die stetig anwachsende Beule fühlen. Die Schmerzen waren unerträglich.
„Meinst du nicht auch, dass du uns langsam genug Scherereien gemacht hast?“, wollte der König wissen.
„Nein“, antwortete Hilmer. „Ganz im Gegenteil. Ich werde mich nicht freiwillig beugen und um mein Leben kämpfen.“
Helmut war sichtlich überrascht und runzelte die Stirn. „Du wirst zugeben müssen, dass du jetzt nicht mehr viel ausrichten kannst. Du hast verloren.“
„Noch lebe ich.“
„Nicht mehr lange“, sagte Helmut und grinste Hilmer dämlich an.
„Das hast du schon einmal gesagt.“