Spielarten des Alltags. Bodo Graefenhort
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"Na, ihr Gartenzwerge? Habt ihr schon beschlossen, ob China in die UNO soll?"
"Quatsch nich so kariert, trink lieber ein bisschen zackig, damit du auf unser Niveau kommst, Bauheini..."
krakeelt feixend der Chef vom übernächsten Garten rechts, Heinz, ein pensionierter Bahnbeamter.
"Otto! Bring` doch mal ´nen großen Wodka für den Knaben hier, damit er auf andere Gedanken kommt!"
brüllt er und fuchtelt hemdsärmlig Signale zum Tresen.
"Nun mal etwas christlicher, Freunde"
Beschwichtigt Martin die Runde,
"ich habe euch noch nicht mal alle erkannt in dem Dunst hier. Wie soll das mit einem Eimer Wodka im Bauch werden...Kennt ihr übrigens den Witz vom Angler am Baikalsee?"
Martin ist eingereiht. Nach ein paar Anschlussschnäpsen hält er sich etwas zurück. Die Baugenehmigung steht noch auf dem Programm. Ganz blau will er das Geschäft mit Herbert, dem alten Fuchs, nicht machen. Er lässt also jeden zweiten Wodka aus. Dennoch spürt er, dass seine Gedanken anfangen sich zu vernebeln.
Otto hat inzwischen System in den Trinkrhytmus der Gäste gebracht. Zufrieden spült er die Gläser, trocknet die Hände an der Schürze, zapft in Ruhe das Bier. Der Abend geht seinen geordneten Gang. Als das Telefon klingelt, nimmt er gelassen den Hörer ab, meldet sich, hört zu...
Plötzlich erstarrt er! Langsam den Schweiß von der Stirn wischend, flüstert er leise ins Telefon:
"Ja, Herr Wenndorf ist hier. Moment..."
Er legt den Hörer neben den Apparat, bindet die Schürze ab und geht behutsam zu dem Tisch, an dem Martin Wenndorf mit seinen Gartennachbarn laut über eine Story lacht, die gerade erzählt worden ist.
"Ruhe, Jungs..."
Aus Ottos blassem Gesicht und dem beherrschten Tonfall erkennen alle sofort, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein muss und es wird schlagartig ruhig in der Kneipe.
"Martin, Telefon für dich...".
Ottos Worte tropften wie Blei in die Stille. Martin springt betroffen auf und stürzt zum Telefon. Den Hörer hochreißend schreit er fast in die Muschel:
"Wenndorf, was ist passiert..."
Eine behutsame Frauenstimme meldet sich:
"Stadtkrankenhaus, Doktor Karie. Herr Wenndorf, bitte fassen sie sich. Ihre Frau hatte einen Verkehrsunfall, sie liegt bei uns auf der Intensivstation...".
Martin wirft den Hörer auf den Tisch, steht Sekunden wie erstarrt, dann stürzt er zum Ausgang. Blind vor Entsetzen rennt er zum Garten, wirft sich ins Auto. Die Leute aus der Gaststätte, die Martin vor Unbedachtsamkeiten bewahren wollen, können nur noch zur Seite springen, als das Auto aufheulend an ihnen vorbeischießt. Betreten sehen sie den rasch verschwindenden Rücklichtern nach.
In Martins Gehirn hämmerte nur eine Frage: was ist mit Toni. Und den Kindern? Es muss ein Irrtum sein...Vielleicht ist es gar nicht Toni... Herrgott-nochmal! Das Scheiss-Auto ist viel zu langsam, verdammt!
Inzwischen hat er das Ortseingangsschild passiert, fährt aber mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Auf den Fußgängerwegen drängen sich die Leute an die Häuserwände, wenn er vorbei rast. Vor einer Ampel, die rot zeigt, bremst er zu spät und schleudert mitten über die Kreuzung gegen eine Laterne. Polizei und Krankenwagen sind schnell zur Stelle. Die beiden durchtrainierten Polizisten können den tobenden Martin nur mit Spezialgriffen in den Krankenwagen zwingen. Ununterbrochen schreit er, sie könnten mit ihm machen, was sie wollten, aber nicht jetzt, erst müsse er ins Krankenhaus! Toni wäre doch dort! Und die Kinder...!
Martin schreit, schluchzt und bettelt, man möge ihn zu Toni lassen. Der Notarzt sieht keine andere Möglichkeit, als ihn mit einer Spritze ruhig zu stellen.
"Den müssen wir erst einmal in die Ausnüchterungszelle bringen" meint der Fahrer,
"der ist ja stockbesoffen!"
Martin wird zur Alkoholkontrolle auf die Polizeidienststelle gefahren. Im dichten Nebel aus Beruhigungsspritze und Alkohol flackert in seinem Gehirn ein dumpfes Gefühl aus ohnmächtiger Hilflosigkeit und Angst.
Er registriert nur im Unterbewusstsein, dass die Beamten ihn vor den diensthabenden Offizier zerren. Sie drücken das hilflose Bündel auf einen Stuhl, bleiben aber aufmerksam in seiner Nähe, immer gewärtig, bei einem erneuten Tobsuchtsanfall einzugreifen.
Die Routinefragen prasseln gegen Martins Gehirn wie Nebelfetzen aus heran jagenden Worten und Gedanken, deren Sinn er nicht entschlüsseln kann. 'Alles ist aus. Vorbei. Ende.' flüstert ihm manchmal ein Funke Bewusstsein zu, bevor er wieder in der Dämmerung verlischt.
"Herr Wenndorf" sind die ersten zusammenhängenden Worte, die er erfasst, "sie sind mit 3,1 Promille Alkohol im Blut durch die Stadt Amok gefahren. Sind sie sich dessen bewusst? - Herr Wenndorf..."
Wie vom Blitz zerfetzt zerreißt der Schleier vor Martins Augen: Toni, die Kinder, das Gelage in der Gartenkneipe, der Anruf.
"Toni" schreit er, "was ist mit meiner Frau und den Kindern!"
Mit angstgeweiteten Augen und Schweiß auf der Stirn starrt er den Beamten an und flüstert, plötzlich tonlos:
"Bitte, ich muss zu meiner Frau!"
Der Offizier wird ärgerlich. Ohne von seinen Unterlagen aufzusehen bellt er Martin an:
"Was soll das. Ihre Frau wird gleich hier sein. Sie war nach einem Auffahrunfall zur Beobachtung im Krankenhaus. Und was reden sie ständig von Kindern? Kinder waren in den Unfall nicht verwickelt!"
Martin Wenndorf sinkt auf seinem Stuhl zusammen. Mit geschlossenen Augen verharrt er so Sekunden. Dann richtet er sich langsam auf, blickt den Offizier mit klarem Blick an und flüstert mit brüchiger Stimme:
"Danke..."
Der Polizeioffizier sieht ihn erstaunt an:
"Es scheint ihnen zu dämmern, was ihnen bevorsteht?"
Martin Wenndorf nickt düster, aber seine Augen strahlen.
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