Lauschangriff an Heiligabend. Peter Jamin
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Friedensengel mit dickem Wanst
MM, mein Agent ist wieder der Erste. Als ich das riesige Paket sehe, 80 Zentimeter in der Höhe, drei Zentimeter dick und 40 Zentimeter breit, da ahne ich: Nicht nur der DHL-Bote, TÜV-geprüft, steht vor der Tür, sondern mit ihm auch der Weihnachtsmann.
Klar, ein Mann wie mein Agent, einer, der ein Büro in New York unterhält und erfolgreiche amerikanische Schriftsteller für den deutschen Leser entdeckt, der ist auch mit seinen Geschenken der Schnellste.
Da liegt er dann, mein geschenkter Weihnachtsmann. Entblättert auf buntem Sternenhimmelpapier, freundlich lächelnd mit dickem Wanst und roter Pudelmütze. Als Fensterschmuck. Mit tausend Glühbirnchen für weihnachtlichen Lichterglanz.
Nun ist Weihnachten für mich ein Fest der Stille, und das Hinausschreien von Festtagsstimmung ist mir so fremd wie die Neigung von Zeitgenossen, lebensgroße, mit dicken Säcken ausstaffierte Weihnachtsmannpuppen an Häuserwände zu nageln.
Und nun soll der Dicke mit der Pudelmütze an meinem Schlafzimmerfenster die Nacht zum Leuchten und den Fremden vor der Tür die stille Nacht, heilige Nacht näher bringen?
„Ami go home", sage ich und lege ihn zu den Koffern auf den Kleiderschrank.
Doch ein echter New Yorker Weihnachtsmann lässt sich nicht beiseite legen. Das wissen alle, die schon einmal zur Weihnachtszeit in Manhattan shoppen waren. Jeden Abend, jeden Morgen lugt er über die Schrankkante hinweg vorwurfsvoll auf mich in meinem Bett herab. Fünf Tage ignoriere ich den unerwünschten Zimmergefährten, dann hänge ich ihn an bunter Kordel ins Fenster. Er strahlt.
„Sieht toll aus", sagt meine Frau Kathrin, als wir auf der Straße stehen und zu ihm hochblicken. Doch da ist plötzlich mehr als sein Leuchten. Das kräftige Rot seiner Kleidung im Fensterkreuz weckt Bilder in mir. Menschen in roten Arbeitsanzügen. Hinter Stacheldraht. Guantanamo Bay. Straf- und Folterlager der USA. Rechtloser Raum. Diktatur im Niemandsland der Unmenschlichkeit.
„Er ist kein einfacher Weihnachtsmann", sage ich zu Kathrin, „auch ein Friedensengel".
Als hätte er eine Botschaft empfangen, schreibt mein Computer in stiller Nacht via Internetbank eine Geldüberweisung für „Amnesty International".
„Ein wenig Hilfe gegen Unrecht in der Welt", tippt er auf seinen Bildschirm, „statt Geschenken".
Merry Christmas, Weihnachtsmann.
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