Mondschattenland. Wolfgang Bendick

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Mondschattenland - Wolfgang Bendick

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auf meiner Seite hatten mitbekommen, was da passierte und drängten mit mir zum Ausgang. Mit den Laufmündungen auf unserer Brust drängte man uns wieder in den Apparat, die noch an den Kontrollen Stehenden wurden aufgefordert, eiligst in das Flugzeug zu steigen und man verriegelte die Tür. Durch die Schlieren des Fensters sah ich, dass der Arbeiter auf den Flügel kletterte und den Tankdeckel zumachte. Keiner der Soldaten oder zumindest deren Übergeordneten hatte richtig mitbekommen, was eigentlich los war. Sie wollten Panik verhindern und schnellstens das Flugzeug loswerden. ‚Das ist das Ende!‘, dachte ich, als gleich darauf der erste Motor anlief, ‚ade schöne Welt, leb wohl, meine Schwesterseele, gerne wäre ich mit dir zusammengeblieben!‘ Der zweite Motor startete unter Qualm und Fehlzündungen. Jemand kam mit einer Leiter angerannt, stellte sie an die Nase des Flugzeugs und wischte mit einem Büschel Putzwolle das Kerosin von den Cockpitfenstern. Der Wind des laufenden Motors wehte das übergelaufene Kerosin gleich einem Wassernebel von der Tragfläche und aus deren Innereien, als der Pilot die Checkliste durchging und die Luftbremsen und den Rest kontrollierte. Einer vom Bodenpersonal stand vor dem Flugzeug und zeigte dem Kommandanten das richtige Funktionieren der Aggregate an. Dann holperten wir zur Piste, während das Flugzeug das letzte Kerosin abschüttelte. Aus den Belüftungsdüsen roch es stark nach Treibstoff, doch nichts geschah. Die Maschine drehte, der Pilot blockierte die Bremsen, Vollgas, und bald hüpften wir als erstes Flugzeug über die nagelneue Piste und hoben dann in den strahlend blauen Himmel ab. Nichts geschah. Morgen würde also nicht in der Zeitung stehen, dass die PKK ein türkisches Passagierflugzeug gesprengt hätte. Bald lösten wir die Gurte und wagten aufzuatmen. Ich fühlte mich wie neugeboren. Die türkischen Passagiere zündeten ihre erste Zigarette an…

      Ich sah zum ersten Mal das Land aus der Vogelperspektive. Ich muss sagen, dass es von hier aus gesehen ebenso schön war, wie von unten, aber viel majestätischer. Nicht weit entfernt leuchteten die schneebedeckten Gipfel des großen und des kleinen Ararat zu uns herüber, inmitten von grünen Hochebenen und von anderen Bergmassiven umgeben. Weite Ströme, von hier oben nur winzige, glitzernde Bänder, umrahmt von hellem Grün, suchten ihren Weg durch die schroffe Landschaft. Immense Wälder, die dunkelgrün die Berghänge bedeckten, lösten sich mit weiten, geometrischen braunen Flächen ab, wohl abgeerntete Getreidefelder. Daneben hier und da eine Ansiedlung, selten eine größere Stadt. Meine Sorgen von vorher waren vergessen, ich genoss es, Vogel zu sein. Die Maschine brummte zuversichtlich, manchmal sackte sie etwas ab, doch ohne mich an ihrer Flugfähigkeit zweifeln zu lassen, noch an der des Piloten.

      Und nur zu bald hieß es wieder ‚fasten your seat-belts’ und wir setzten in Ankara auf, wo viele andere Silbervögel herumstanden. Dort liefen wir mit unserem Gepäck und weiteren Passagieren zu einer anderen Maschine neueren Datums, die einen solideren Eindruck machte, da sie waagrecht stand, nicht so schief hing wie unsere vorige, die einer fußkranken Ente ähnelte. Doch einmal drinnen, sah alles anders aus. Es war wohl eine Transportmaschine, die auf die Schnelle mit Sitzen ausgestattet worden war, und die man in der Eile nicht einmal richtig festgeschraubt hatte. Auch mit den Gurten stimmte was nicht. Doch dieses Problem konnte einfach behoben werden, indem man zwei Passagiere mit einem einzigen Gurt sicherte. Zum Glück war sie schon betankt und es konnte bald losgehen! Als dann die dunkelgoldene Sonne sich im Marmara-Meer spiegelte, setzten wir in Europa auf.

      Es fing an zu dunkeln, als ich das Flughafengebäude verließ. Draußen sprachen die Anwerber der Busunternehmer die Hinausgehenden an und warben um Fahrten nach Deutschland. Ein Unternehmen unterbot alle anderen um 30 Prozent. War dies mein Glückstag? Ich folgte mit einem Dutzend anderer diesem ‚Zuhälter‘ zu einem abseits gelegenen Busbahnhof, von wo der Bus nach München losgehen sollte und wo schon zwei Dutzend Leute mit Gepäck und Kindern warteten. Mir fiel ein, dass wohl Ferienende war, also Hauptreisezeit für die Gastarbeiter. Nach langem Warten, die Leute wurden langsam ungeduldig, vor allem, weil all die anderen Busse abfuhren, kam dann auch ein Bus und wir stiegen ein. Der ‚Zuhälter‘ kassierte die Fahrgäste ab. Ich weigerte mich mit ein paar anderen, den ganzen Preis im Voraus zu zahlen, denn irgendwas schien hier faul zu sein. Nach zwei Stunden standen wir immer noch da. Es fehlte ein Fahrer. Die Kinder waren inzwischen eingeschlafen, die Männer qualmten eine Zigarette nach der anderen. Unmut kam auf, doch unser ‚Zuhälter‘ war verschwunden. Ein paar ungehaltene Türken wollten die Polizei holen. Da tauchte endlich ein anderer Bus auf, in den wir umsteigen mussten. Das war eine uralte Kiste, an der jemand bei Taschenlampenlicht anfing, herum zu schrauben. Es war nach Mitternacht, als er sich endlich in Bewegung setzte. Erleichterung erfüllte greifbar den Innenraum, alles war vergessen.

      Am Vormittag hielten wir irgendwo in Bulgarien an. Man sagte uns, man warte auf einen anderen Bus aus Istanbul, dieser hätte Schwierigkeiten. Erneut kam Unmut auf. Der Fahrer hatte sich vorsichtshalber abgesetzt, um nicht als Sündenbock dazustehen. Als wir schon dachten, man ließe uns einfach hier stehen, kam der neue Bus aus Istanbul. Erleichterung verscheuchte den Unmut. Umsteigen und weiter ging‘s! Doch irgendetwas war auch mit diesem Bus nicht in Ordnung. Zu oft hielt dieser an und Fahrer und Beifahrer verschwanden unter der Motorklappe. Wir waren in Jugoslawien. Eine weitere Nacht verging mit vielen Stopps und wenig Fahrt. Am nächsten Tag dann kamen wir an die österreichische Grenze. Von dort nach München noch eineinhalb Stunden. Doch die Grenzpolizei meinte es anders. Sie bestand darauf, dass erst zwei Reifen gewechselt werden müssten, sonst ließen sie den Bus nicht weiterfahren. Das dauerte mehrere Stunden, denn anscheinend wollte oder konnte der Fahrer sie nicht bezahlen. Doch plötzlich tauchte ein Lieferwagen auf, der zwei Räder brachte. Nach einer halben Stunde konnten wir dann endlich weiter. Dann war noch die deutsche Grenze vor uns. Die Polizisten hatten wohl schon auf uns gewartet und winkten den Bus gleich auf einen Parkplatz. Sie kassierten alle Ausweise ein und wir mussten aussteigen. Man ließ einen Schnüffelhund in den Bus rein, der sich gierig an den Sitzen und Gepäckstücken ereiferte. Die Eigentümer der Gepäckstücke mussten alles auspacken. Vergeblich. Nichts. Doch die Polizei war noch lange nicht zufrieden! Sie ließen den Bus auf eine Grube fahren und machten sich zugleich über dessen Papiere her. Bald hieß es, das Gefährt sei fahruntüchtig und dürfe weder weiter, noch zurück, solange nicht die Reparaturen gemacht wären. Alle Fahrgäste müssten solange am Zoll warten, bis ein anderer Bus von Istanbul käme, oder die Gesellschaft einen deutschen Bus chartert. Ein paar Türken schnappten sich die zwei Fahrer und wollten sie vermöbeln. Die Polizei kam dazwischen und schickte alle in den ohne Schlüssel abgestellten Bus zurück. Jetzt fingen die Frauen an zu zetern, hielten ihre Kinder in die Luft und streckten sie den Beamten entgegen. Doch diese blieben unbeugsam. Es war noch ein anderer Deutscher im Bus, was ich erst bei der Passabgabe festgestellt hatte. Mit dem zusammen ging ich zum Pass-Büro und machte Rabatz. Nein, natürlich, das Einreiseverbot galt nur für die Türken. Sie suchten unsere Pässe heraus, gaben sie uns zurück und wünschten uns sogar eine gute Reise! Wirklich witzig! Drei Stunden später fielen Doris und ich uns wieder in die Arme, nach drei Wochen Trennung.

      Zu zweit

      Wir waren froh, wieder vereint zu sein und versprachen einander, von jetzt an zusammen zu bleiben! Sie berichtete mir von ihrem erfolglosen Suchen einer Arbeit oder Lehrstelle als Krankenschwester. Sie hatte in der Zwischenzeit einige Bergwanderungen unternommen und neue Freunde gewonnen. Ich erzählte ihr von meiner Reise und den Schwierigkeiten, die das Trampen mit sich gebracht hatte. Meine Idee war, einen alten VW-Bus zu kaufen und damit los zu düsen. Sie fand diese Idee jedenfalls besser, als mit den Mofas zu fahren. So sattelten wir wieder unsere Zweiräder und fuhren nach Kempten. Zuerst besuchten wir die Kommune in der alten Memminger Straße. Bully, so genannt, weil er immer an seinem VW-Bus rumschraubte und manchmal auch einen verkaufte, war gerade nicht da. Und die anderen wussten nicht, wo man schnell einen besorgen könnte. Er sei mit dem Maikel für ein paar Tage weggefahren, käme aber bald wieder. Doch so lange wollten wir nicht warten. Also besorgte ich das neueste ‚Käsblättle‘ und überflog die Annoncen. Da stand doch glatt ein ‚Bully‘-Lieferwagen, aber ohne TÜV und deshalb spottbillig. Wir fuhren ihn anschauen. Und was für eine Überraschung, der Verkäufer war derselbe, der mir vor über drei Jahren die BMW für die Weltreise verkauft hatte, die ich dann leider gegen meinen Mammut eingetauscht hatte und den damit verbundenen Ärger!

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