Alles ausser Sanssouci. Renate Wullstein
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Unsere sonntäglichen Fahrten zu den Verwandten waren abenteuerlich. Manchmal waren Straßen gesperrt, manchmal gab es Kontrollen oder wir fuhren Umwege über unbefestigte Feldwege, um Kontrollen zu umgehen. Einige Brücken, die am Kriegsende gesprengt worden waren, wurden nur notdürftig wieder zusammengeflickt. Wenn wir mit dem Auto darüberfuhren, federten und polterten die Holzbohlen. Dann gab mein Vater immer seinen Kommentar ab: „Na hoffentlich hält sie diesmal noch…“ und man spürte, dass er es ganz ernsthaft meinte. Ich träumte nachts davon, dass die Brücken unter uns zusammenbrachen. Noch heute fahre ich nicht gern über Brücken und drossele immer stark das Tempo.
Was von den vielen uniformierten Russen zu halten war, blieb mir als Kind etwas rätselhaft. Jedenfalls hatten die meisten Erwachsenen Angst vor ihnen. Wenn wir Kinder an Sonntagen aus der Mittelstraße in unseren Kleingarten auf dem Pfingstberg gingen, kamen wir durch die Puschkinallee am Kapellenberg. Dort wohnten die russischen Offiziersfamilien, die zum Planquadrat des KGB-Städtchens gehörten. Einmal bedrohten uns zwei russische Kinder mit Zaunlatten. Meine Schwester, die vom Leben in dieser Zeit am meisten verstand, befahl dass wir weglaufen. Mir leuchtete das nicht ein, da die Kinder kleiner waren und wir immerhin zu dritt. „Wir dürfen sie nicht verhauen“, sagte meine Schwester, „sonst werden unsere Eltern abgeholt“.
Das Wort 'abgeholt' habe ich als Kind oft gehört. Meistens wurde es nur geflüstert und die Leute blickten sich dabei scheu nach allen Seiten um. Jedenfalls genügte in dieser politisch instabilen Lage nur wenige Jahre nach Kriegsende eine einzige Denunziation, dass jemand auf Nimmerwiedersehen verschwand. Meine Mutter hatte mit den Russen nicht viel am Hut. Mein Vater, der den Krieg erlebt und den Russlandfeldzug miterlebt hatte, sah das anders. „Das sind genauso arme Schweine wie wir“, sagte er. „Die hat der Stalin verheizt, wie uns der Hitler.“
Außerdem sprach mein Vater ein wenig Soldatenrussisch. Auf den Fahrten über Land trafen wir oft einzelne russische Offiziere, die zu Fuß unterwegs waren. Dann hielt mein Vater an und lud den Offizier auf Russisch zur Mitfahrt ein. Meine Mutter musste den Beifahrersitz räumen und zu uns Kindern in den fensterlosen Laderaum krabbeln, in dem es keine Sitze gab. Das gefiel ihr überhaupt nicht. Erst viel später habe ich begriffen, dass mein Vater fast immer irgendetwas im Auto transportierte was unerlaubt war und zu Komplikationen führen konnte. Bei deutschen Kontrollposten sagte er einfach: „Das gehört dem Russen.“ Viele winkten auch das Auto einfach durch, weil ein Russe neben dem Fahrer saß. Wir hörten als Kinder auch oft von betrunkenen Russen, die in der Stadt am Abend randalierten. Das waren in der Regel einfache Mushiks. Ich selbst habe es nie gesehen, kenne aber die Erzählungen davon, dass sie von ihren eigenen Leuten ganz fürchterlich verdroschen wurden und dann nach dem Prinzip vier Mann vier Ecken in hohem Bogen auf einen LKW geschmissen wurden. Jedenfalls ist mir noch erinnerlich, dass man, wenn ein Russe zudringlich würde, ganz laut rufen sollte: “Ich gehen Kommandantura“.
Ursula Demitter, Potsdamerin seit 1945, glaubte 1989, nach zwanzig Jahren bei der DEFA, das war’s. Aber es folgten neun Jahre bei der Wasserschutzpolizei, danach ein Jahr Vorruhestand und dann leitete sie eine Nachhilfeinstitution für Schüler bis Ende 2017 - denn sie langweilte sich im Ruhestand und fand das Geld zu knapp.
Ursprünglich war für die Tochter des selbständigen Klempnermeisters das Büro des Betriebes vorgesehen. Sie sollte wie die meisten Klassenkameradinnen auf die Handelsschule am Weberplatz. Dazu sagt sie heute: „Es ist schon erstaunlich, wie wenig Eltern davon wissen, was ihre Kinder können, und was sie nicht können. Ich war zwar ein Schlau'chen, aber sowie ich ein Heft in der Hand hatte, war es aus, sämtliche Schulhefte waren verschmiert, Tintenklekse, umgeknickte Ecken, ein Graus. Der Anblick, wenn meine Mutter die Rechnungen sortierte, ein Horror.“ Als Kind hatte Ursula Landvermesser beobachtet, die ihren großen Holzzirkel schwangen, da war klar, das will sie werden: Landvermesser. Den ganzen Tag an der frischen Luft.
Es kam anders. Private Handwerker waren in der DDR vom Aussterben bedroht, wurden als wirtschaftlicher Feind betrachtet, das hatte die Tochter immer wieder gehört. Aber der Vater war clever, der ließ sich nicht unterkriegen. Um dessen Buchhaltung zu entkommen, musste die Sechzehnjährige handeln. Als die Eltern im Urlaub waren, schaffte sie Tatsachen. Als die Eltern zurück kamen, lag der Lehrvertrag fürs Film-Kopierwerk auf dem Küchentisch. Schon in der Kindheit hatte der Vater ihr ein eigenes Fotolabor eingerichtet. Mit Entwickler, Fixierbad, Belichtung und Vergrößern kannte sie sich aus. Das erste Halbjahr im Werk war interessant, nur die Menschen, denen sie dort begegnete, schockierten sie; das Niveau, die Fäkalsprache. In ihrer Familie hatte es keinen einzigen schmutzigen Witz gegeben. Für Ursula war klar, von morgens bis abends derart berieselt zu werden, kann nicht gut sein. Sie ging stracks zur Volkshochschule, um sich für das Abitur anzumelden, wieder ohne Wissen der Eltern. Es klappte. Gerade achtzehn Jahre alt, hatte sie den Facharbeiterabschluss mit Eins gemacht.
Nach einer Woche als Geselle, kam ein Anruf der Betriebsleitung der DEFA. Ein Professor Wilkening wolle sie sprechen. Vorschlag: Regieassistenz. „Wir wollen junge Menschen fördern“, sagte er. (Natürlich hatten die einfach nur gerade einen Engpass.) „Das muss ich mit meinen Eltern besprechen“, sagte sie. „Die Zeit haben wir leider nicht“, sagte Wilkening. „In zwei Stunden kommt das Auto zu Ihnen nach Hause und holt Sie ab." Ursula rief die Mutter an, die am anderen Ende der Leitung völlig überfordert sagte: „Das musst du selbst entscheiden.“
Es folgten neun Wochen Dreharbeiten zum Spielfilm 'Mir nach Kanaillen' mit Manfred Krug in der Hauptrolle quer durch den Süden der DDR: Jena, Weimar, Dornburger Schlösser, Quedlinburg. Noch ein Jahr Volkshochschule vor sich, bat sie um Unterstützung. Gut, aber als Regieassistentin könne sie in dieser Zeit nicht arbeiten, also wurde sie in die Abteilung Produktionsvorbereitung zu Fritz Wysbar versetzt. Die Brüder hatten vor dem 2.Weltkrieg Unterwasserfilme in Neuseeland gemacht, waren berühmt gewesen, jetzt alt, der Bruder Frank war in die USA gegangen, Fritz in die DDR - er hatte dort einen Schonposten. Produktionsvorbereitung bedeutete vor allem Analyse. Ein Jahr lang klebte Ursula ein langes Band aus Millimeterpapier, um Eckdaten zu erfassen. Mit Ausziehtusche wurden Sonnentage, Regentage, Zeitdauer, Kosten und die Klappen aufgemalt. Man wollte die Filme effektiver machen. Nicht zu Unrecht wurde unterstellt, dass Regisseur und Autor zum Beispiel in Bulgarien in der Sonne lagen. Gern wurden Drehorte an die Ostsee verlegt.
mit Kameramann Michael Kies
Nach dem Abi war sie wieder Assistentin, nun bei Ulrich Thein und anderen, recherchierte für den Film 'Mohr und die Raben von London', erfuhr einiges über Karl Marx, was die offizielle Geschichtsschreibung wohlweislich unterschlug. Eine Disponentin mochte die blonde junge Frau nicht, wollte sie da weg haben. Ursula nahm es hin. Sie kannte eine Nachbarin, die beim Fernsehen arbeitete, die besorgte ihr einen Termin in Adlershof, wo man gerade das Zweite Programm entwickelte und neue Mitarbeiter brauchte. Von diesem Termin kam Ursula mit einer Delegierung zur Filmhochschule zurück, gleichzeitig suchte man beim Dokumentarfilm einen Assistenten. Dieser Anruf landete bei Ursula. „Das mach ich gleich selbst“, sagte sie, landete in Berlin, lernte den zukünftigen Ehemann Fritz Demitter kennen, wurde Mutter einer Tochter und arbeitete bei der Gruppe 'Kontakt' mit den Regisseuren Niebelschütz, Tetzlaff und Tetzke.
Dann