Indischer Honig. HeikeHanna Gathmann

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Indischer Honig - HeikeHanna Gathmann Reihe 2

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Auto auf dem asphaltierten Weg. Eine humpelnde, alte Frau mit einem Gehstock versperrte die Weiterfahrt. Das weissblonde Haar der Seniorin war vom Wind zerzaust. Sie fuchtelte unwirsch mit ihrem Stock, als sie das Autogeräusch im Rücken wahrnahm. In der anderen Hand hielt die Alte eine Papiertüte. „Moin, moin“, rief Lena ihr durch das geöffnete Wagenfenster zu, „nur nicht erschrecken lassen. Hast du Brötchen geholt, Rosi?“ Die Alte nickte. Manches Mal hatte Weinberg die Zähigkeit und Ausdauer der Nachkriegsgeneration, die nun langsam, aber sicher von der Erdoberfläche verschwand, bewundert. Sicherlich habe diese Generation viel geschafft und erreicht, meinte Michael, der Sprössling einer indischen Mutter und eines deutschen Vaters war, aber die tiefen Spuren, welche der nationalsozialistische Ungeist hinterlassen hatte, seien immer noch spürbar. Zum Beispiel die deutsche exzessive Arbeitswut, heimlicher Fremdenhass und übertriebene Anpassungsbereitschaft. Lenas Magen knurrte. Anstatt ihren Freund für ein gemeinsames Frühstück zu wecken, hatte sie ihn schlafen lassen. Denn so entspannt und friedlich wie an diesem Morgen daliegend hatte sie den nervösen Politiker selten erlebt.

      Schnurstracks fuhr die Kommissarin auf die Bretterkaserne zu. Das war ihr Spitzname für den in die Jahre gekommenen Flach- und Fertigbau aus den siebziger Jahren, in dem die Polizeidienststelle der Stadt Blumenau untergebracht war. Immerhin thronte auf dem Dach die neueste Solartechnik. Mit Schwung stiess Weinberg die Tür der Wache auf, lief den Flur entlang. Gegen den Willen ihres Vorgesetzten Schinkel hatte sie die Anbringung von Nachdrucken des Künstlers van Gogh durchsetzen können. Ihr Anblick könnten Festgenommene und Geschädigte gleichermassen beruhigen, war Lenas stichhaltiges Argument. „Ein verrückter Impressionist, okay!“, lautete Schinkels Kommentar, „aber die Neuen Wilden? Auf keinen Fall.“ Die anderen Kollegen jedenfalls waren begeistert. Habermann wartete bereits im gemeinsamen Dienstzimmer auf ein Fax der Gerichtsmedizin, welches aus dem Gerät tuckerte. „Die Todesursache war ein Versagen des pulmonal-bronchialen Atemsystems. Mit grosser Wahrscheinlichkeit die Folge eines schweren Asthmaanfalles“, erklärte der Polizeihauptmeister, „der Anlass für die Krämpfe und plötzliche Atemlähmung könnte ein toxischer Schock gewesen sein. Eine Blutanalyse, die die Art der Vergiftung klären soll, ist noch im vollen Gange.“ „Und die äusseren Verletzungen?“, fragte Weinberg. „Schürfwunden. Ein Trümmerbruch des Joch- und Nasenbeines. Post mortem geschehen. Nur äusserlich furchterregend. Die Physis des Unbekannten ist übrigens als kritisch zu bezeichnen. Obduziert wurde eine Fettleber, die auf einen unmässigen Alkoholkonsum hindeutet. Ein Hinweis auf ein ungesundes und stressiges, jedoch nicht notwendigerweise schlechtes Leben des Toten, dachte sich die Kommissarin, die in ihren PC den Suchbegriff >Sea Cloud< eingab. Sogleich flackerte das vollständige Programmangebot des Veranstalters über den Bildschirm. Sie notierte den Telefonkontakt. „Dem Kärtchen ist zu entnehmen, dass der Tote im letzten November als Schatzsucher vor Haiti unterwegs war“, sagte sie, „es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn der Veranstalter uns nicht eine Liste der Reisegäste - darunter auch unser betuchter, toter Freund - zukommen lassen würde.“Grafik 2

      II. „PM“

      Hanna Eberlein schnitt die Himbeertorte an. Während die Frau die Kuchengabel unter ein Tortenstück schob, drohte die fruchtige Creme mit den Früchten vom teigigen Boden zu fallen. „Macht nichts. Ist eh im Magen eins“, säuselte der querschnittsgelähmte Jugendliche. Einmal in der Woche suchte Eberlein das Bürgerhaus der Gemeinde Blumenau auf, um gehandicapten Menschen zu helfen. Ihre kleinen, hellblauen Augen hinter der Brille fixierten im Zimmerfenster die ersten Stiefmütterchen des Jahres, die im Vorgarten angepflanzt waren. Dahinter lag ein öder, umbrabrauner Feldacker. Noch vor kurzem wurde dort eine schmucke Gärtnerei unterhalten. Ein Familienbetrieb, der durch mehrere Generationen gegangen war und schliesslich der preiswerten Konkurrenz im Supermarkt hatte weichen müssen. „Hast du von dem Toten in der Husumer Zeitung gelesen, Hanna?“, unterbrach der Rollstuhlfahrer Eberleins mentale Abwesenheit, „es soll sich um einen Reisenden, möglicherweise einen Obdachlosen, handeln. Vermutlich wurde er von einem Ast erschlagen. Das ist seltsam, denn es hat in den letzten Tagen nicht gestürmt.“ „Obdachlose, Menschen ohne ein Zuhause, sind arm dran. Niemand will ihre Geschichte wissen. Jedermann verachtet sie.“ Nervös hantierte die Kunsttherapeutin mit der Kuchengabel. „Du hast recht, denn es ist der Mensch selbst, der in dem anderen einen Hund sehen und ihn verprügeln möchte“, antwortete der Junge, der sich aufgrund seines Handicaps mit schiefen Blicken von seinen Mitmenschen auskannte. „Noch ein Stück?“, versuchte sie abzulenken. Ein Albtraum der letzten Nacht wollte der Frau nicht aus dem Kopf gehen. In ihm drohte eine riesige Flutwelle Eberleins Wohnung zu überschwemmen und die Frau darin zu ertrinken. In der letzten Sekunde war das Wasser vor der Hilflosen zurückgewichen. „Was ist heute mit dir los, Hanna?“

      Hammelfleisch in Rotkohl und Weisskraut. Weinberg kaute auf den Resten der Teigtasche, die sie in einem türkischen Imbiss gekauft hatte. Sie stand inmitten der melancholisch wirkenden, norddeutschen Pampa. In flacher Einöde. Doch beim zweiten Blick, stellte die Frau fest, hatte die Gegend etwas Anziehendes. Möglicherweise eine stille Anmut. Der Kiessee, welcher sich vor ihr ausbreitete - eingerahmt von in die Höhe geschossener Birken, besass jedenfalls diesen einen, beinahe lieblichen Moment. Ungeduldig drückte sie auf die Türklingel eines gepflegten Holzhauses. Unter dem Knopf war ein selbstgefertigtes Emailleschild angebracht. In hübschen, bunten Lettern war der Name >Waldemar Berg< zu lesen. Ein freundlicher, siebzigjähriger Ruheständler begrüsste die Kommissarin. „Ich kenne Sie!“, bemerkte der Hausbesitzer, währenddessen er einen ironischen Unterton durchklingen liess. „Sie werden es nicht für möglich halten, Herr Berg, aber in den langen, kalten Monaten heizt auch die vor ihn stehende Ordnungshüterin mit Holz.“ „Aha! Sie suchen nach einem gemeinsamen Nenner und wollen mit mir fachsimpeln“, lachte der Alte, der als Umweltschützer in der Stadt tätig war, „die Leidenschaft für die Natur hat der Mensch, oder er hat sie nicht. Von den meisten wird sie vergessen. Es sei denn, es melden sich die natürlichen Triebe zu Wort: Essen, schlafen, Liebe machen. Dabei ist die Natur der Ursprung allen Seins!“ „Sie haben die Lust an der Streiterei übersehen. Eine Frage: Hat sich ein Münchener Journalist mit Ihnen in den letzten Wochen in Verbindung gesetzt?“ Weinberg zeigte Waldemar Berg den eingetüteten Pressetext >Keine Atomfässer in Husum. Eine Bürgerinitiative schlägt Alarm<. Der Alte kratzte nachdenklich an seinem schneeweisen Bart. „Oh ja … ein gewisser Paul Mögisch oder Möglich hatte in der letzten Woche um ein Gespräch gebeten. Ich mag keine Pressefuzzis und habe abgewunken. Den Mann stattdessen an Dr. Petra Klein verwiesen. Eine äusserst fähige Chemikerin, die eine wissenschaftliche Expertise über die gesundheitliche Gefährdungen verfasst hat, welche von den maroden Fässern ausgehen. Sind Sie etwa wegen des Spaziergängers da, der im Wald verunglückte?“ Lena nickte bedrückt. Sie überlegte, ob sich dieser Journalist etwa mit Politikern oder der Industrie angelegt hatte, die gerne die Harmoniesosse über die verschwiegenen Altlasten kippten.Grafik 3

      Werner Habermann balancierte mit kerzengeradem Oberkörper und einem Bein stehend auf Weinbergs üppigen Rasen hinter ihrem Haus. Die erste Frühlingssonne hatte die verdorrten Gräser aufgerichtet und zu einer weichen, grünen Fläche spriessen lassen. In Zeitlupe bewegte der Polizist seine ausgestreckten Arme. Während er damit begonnen hatte, seinen rechten Arm in Richtung seines Kinnes zu beugen, vollbrachte er mit dem anderen eine kreisrunde Bewegung. Mit dem gleichzeitig angewinkelten, rechten Knie folgte der Körper der Drehung um die eigene Achse. So um neunzig Grad. Seine Augen waren geschlossen, der Mund nur leicht geöffnet. „Hallo, Kranich! Das Sonnenlicht lenkt die eigenen Energieströme endlich wieder in die richtige Bahn“, unterbrach ein dicklicher Mann Habermann in seiner Thai Chi Übung. Er schob einen Rollstuhl, in dem eine kleine, in sich gekrümmte und sehr alte Dame kauerte. Eingewickelt in eine dicke Wolldecke. Eingemümmelt mit Schal und Mütze. Die Lippen im runzeligen Gesicht mit buschigen, weissen Augenbrauen formten zitternd ein Wort, das der Vokabel >Vogel< ähnelte. „Richtig!“, stichelte der Polizist, „Thai Chi ist die beste Prophylaxe gegen gesundheitliche Störungen jeder Art.“ Habermann hasste Lenas Jugendfreund, so Georg, einen Sozialarbeiter,

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