Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer

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Ehre, wem Ehre gebührt - Charlie Meyer

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Stammbaum ist länger als der derer von Thurn und Taxis, von dem deinen ganz zu schweigen. Falls ihr beide, Quentin und du, vorhabt, Brutus zu entsorgen, wie man das in deinen Kreisen wohl bezeichnet, müsst ihr zuerst mich entsorgen.«

      Schön wär’s, dachte Bonnie und seufzte. Kostenpflichtiger Sondermüll, Gräfin wie Pony. In Bleifässern mit Totenkopfaufklebern auf hoher See über dem Marianengraben versenkt. Elf Kilometer tief. Sie versuchte sich aufzuraffen, um im Stall nach dem rechten zu sehen, aber das graue Nieselwetter vor den hohen Bogenfenstern, das warme Flackern der Scheite im Kamin und diese Trübsal, die sie im Beisein der Gräfin zunehmend befiel, lähmten ihre Energien. »Wo ist Leonard? Warum kümmert er sich nicht?«

      Leonard, Quentins Cousin, bewohnte mit seiner verhuschten Frau und einem rotzfrechen Bengel von Sohn das Nebengebäude des hufeisenförmig angelegten Gutes Lieberthal. Den Arme-Verwandten-Trakt, wie er Besuchern gegenüber gern betonte. Dort, wo man geduldet wird und mit dem Hälseumdrehen von Enten und Gänsen sein tägliches Süppchen verdient. Erbaut worden war das Haus im achtzehnten Jahrhundert für die jeweiligen Gutsverwalter mit ihren Familien, hatte sich jedoch im Lauf der Zeiten mehr und mehr zu einem Domizil verarmter Obdachloser der Storkenburg’schen Seitenlinien entwickelt.

      Gräfin Wilhelmina presste die Lippen zusammen und ließ den Stickrahmen zu Boden fallen. Sie stemmte sich ächzend aus dem Lehnstuhl, und Bonnie glaubte, ihre Gelenke knirschen und die Knochen klappern zu hören. Die Decke glitt von ihren Knien und enthüllte skelettartige Waden unter dem dicken grauen Hauskleid, das auch der weiße Stehkragen aus Spitze nicht aufzuheitern vermochte. »Verstehe schon, mein Kind. Wenn es denn zu viel verlangt ist, bleib getrost sitzen, noch bin ich nicht völlig hilflos.« Sie hangelte sich an der Fensterbank entlang und schwankte wie ein Rohr im Wind. »Sollte ich mir auf den glitschigen Pflastersteinen des Hofes den Oberschenkelhals oder die Hüfte brechen, findest du in meinen Papieren ein Patiententestament. Ich lehne jegliche lebensverlängernde Maßnahme ab.«

      Es funktionierte. Wie immer. Bonnie sprang auf und stütze die alte Frau, die sich wie immer erst sträubte, um Sekunden später wie eine Ertrinkende an ihrem Arm zu hängen. Ebenfalls wie immer ließ sie sich gereizt und unwillig zum Lehnstuhl am Fenster zurückführen.

      »Um Himmels willen, ich habe nicht gesagt, dass ich mich weigere zu gehen. Ich habe lediglich gefragt, warum Leonard nicht nach dem Rechten sieht. Er kann dieses Monster viel eher beruhigen als ich. Au!«

      Gräfin Wilhelmina zog ihren spitzen Ellbogen aus Bonnies Rippen zurück. »Ein Versehen, ich entschuldige mich. Leonard arbeitet weder als Knecht auf dem Gut noch ist er es, der mit Quentin den heiligen Bund der Ehe geschlossen hat. Wenn du dich so kurz nach eurer - wenn du mich fragst - ausgesprochen törichten Verbindung um deinen Gatten schon nicht mehr kümmern magst, tut mir der arme Junge von Herzen leid. Er ist zwar ein ebensolcher Trottel wie sein Vater, der Bocksfüßige möge sich seiner erbarmen, aber dieses Schicksal hätte ich ihm nun doch nicht gewünscht.«

      Bonnie drückte das Federgewicht der Gräfin mit sanfter Gewalt in die Tiefen des Lehnstuhles zurück. Sie breitete die Decke über ihren Knien aus und ließ ihr das Stickzeug in den Schoß plumpsen, bevor sie sich seufzend abwandte. Ab und an lud dieser dürre faltige Hals übermächtig zum Zudrücken ein. Mehr als einmal seit ihrer Ankunft war sie nächtlings aus Albträumen hochgeschreckt, in denen sie erwürgte Gräfinnen im verwilderten Garten hinter dem Herrenhaus vergrub.

      »Warum bezeichnest du deinen Großneffen eigentlich ständig als Trottel?«, fragte sie verärgert. »Er kümmert sich ausgesprochen liebevoll um dich.« Quentin nannte sie Großtante Mina, eine Anrede, die sich die Gräfin ihr, Bonnie, gegenüber, schon nach dem ersten zaghaften Versuch verbeten hatte. Keine Vertraulichkeiten, bevor man sich nicht näher kannte. Also voraussichtlich nicht mehr zu Lebzeiten des alten Drachen. Ein zwangloses Gräfin Wilhelmina reiche vorerst aus. Duzen hingegen war gestattet.

      »Ich werde mitnichten deiner eigenen Erkenntnis vorgreifen«, erwiderte die Alte steif. »Die Jugend muss ihre Erfahrungen selber machen.« Während sie sprach, spähten ihren Raubvogelaugen aus dem Fenster, und der knochige Zeigefinger schoss so unvermittelt nach vorn, dass Bonnie unwillkürlich zurückfuhr. »Da!« Triumph jubilierte in ihrer Stimme. »Jetzt hat sich der kleine Racker ins Freie geboxt. Schnell - lauf! Fang ihn um Himmels willen wieder ein, bevor er auf der Landstraße vor ein Auto gerät. Natürlich stehen mal wieder beide Torflügel offen, und der Haflinger ist nicht haftpflichtversichert.«

      »Ach du Schei ... Schande.« Bonnie presste ihre Nase gegen die Fensterscheibe und verbarg so ihr Grinsen. In kritischen Situationen, die meist auf Finanzfragen hinausliefen, dachte die Gräfin ausgesprochen praktisch. Die Gutsbewohner schöpften nicht gerade aus dem Vollen.

      Durch den Nieselschleier sah sie den kleinen Hengst gemütlich in die Mitte des Hofes traben und dort abrupt die Hufe aufs Pflaster stemmen. Er wartete in wahrhaft stolzer Haltung, die Vorderbeine akkurat nebeneinander, die Hinterbeine ein wenig ausgestellt, der gewölbte Hals hoch aufgerichtet. Ein honigblonder Ponyhengst, ein stolzer aber stutenloser Beschäler mit meterlangem Stammbaum und hohem gebogenen Schweif. Eben schüttelte er nachdrücklich seine üppige flachsfarbene Mähne und spähte hinterhältig zum Herrenhaus hinüber. Ein herausforderndes Wiehern schallte gegen die Fenster. Bonnie im kleinen Salon, der auch im dritten Jahrtausend noch immer Damensalon genannt wurde, schaute aus dem ersten Stock auf ihn hinunter. Dann sah sie zum Stall hinüber - keine Spur von Quentin. Von Leonard ebenfalls nicht. Im Verwalterhaus, dem Arme-Verwandten-Trakt, rührte sich nicht der Zipfel einer Gardine. Nur das Absperrband vor der kleinen romanischen Kapelle nebenan, einem schlichten Quaderbau aus dem dreizehnten Jahrhundert, dem ältesten noch erhaltenen Gebäude der Gutsanlage, brachte momentan Bewegung in die Szene. Es bauschte sich im Abendwind. In dem gedrungenen Dachreiter der Kapelle hatte ehemals eine Kupferglocke mit dem Storkenburg’schen Wappen stolz Herren und Bedienstete zum sonntäglichen Gottesdienst gerufen. Bis in den Wirren irgendeines Krieges streunende Marodeure ihren Klang vernahmen und die Glocke - nebst dem einen oder anderen hölzernen Heiligen - ins Ausland entführten. Das Absperrband sollte die Mühlenbesucher davon abhalten, die Kapelle erkunden zu wollen. Ein zackiger Riss, vom Zahn der Zeit geduldig ausgenagt, zog sich quer durch die Malereien des Kreuzgewölbes, und momentan fehlte es an Geld für die Sanierung.

      Bonnie starrte unschlüssig in den Regen.

      »Na toll, und was, wenn ich da rausgehe und Brutus wetzt schon das Messer wie sein römischer Namensvetter? Vielleicht hasst er nicht nur Cäsar, sondern auch die Frau des großen Cäsar. Was mache ich, wenn er mich angreift? Stopp brüllen und das Beste hoffen? Heiliger Strohsack, ich habe mein Lebtag noch kein Pferd eingefangen. Was bedeutet es, wenn es mit dem Huf scharrt?« Scharrten nicht Kampfstiere mit den Vorderhufen, bevor sie die Matadore aufspießten? Bonnie, in einem Hochhaus im Berliner Stadtteil Charlottenburg aufgewachsen, war bis zu ihrer Heirat dem Landleben nie näher als bis an die Mattscheibe des Fernsehers gekommen.

      Gräfin Wilhelmina verdrehte die Augen. »Eine Großstadtpflanze auf einem Rittergut, der Allmächtige stehe uns bei. Nimm die Zuckerdose vom Teetisch mit und mach dich nützlich. Du wirst wohl noch ein kleines Pony einfangen können. Es reicht, wenn sich dein Hasenfuß von Gatte im Heu verkriecht.«

      »Die Zuckerdose? Was soll ich denn mit der Zuckerdose? Und Quentin verkriecht sich nicht. Eigentlich kann er gar nicht im Stall sein. Heute ist Sonntag. Mühlentag. Sieh doch mal. Die Mühlenflügel drehen sich, und wenn Quentin die Bremskette erst einmal gelöst hat, passt er auf wie ein Schießhund. Letzten Sonntag sind ein paar Kinder auf den Mahlsteinen herumgekraxelt, und der Vater des einen geriet um ein Haar mit den Fingern zwischen zwei Zahnräder. Seinen Ärmel hatte es schon erwischt, und wenn Quentin nicht so geistesgegenwärtig gewesen wäre …«

      »Wenn Brutus derart tobt, ist Quentin in der Nähe und damit basta!«, unterbrach sie die Gräfin unwirsch. »Und wenn der Hengst mit dem Huf scharrt, will er Zucker. Ein paar Würfel auf der flachen Hand. Ich hoffe nicht, dass du die

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