Korridorium - Storys aus dem Labyrinth. Cory d'Or

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Korridorium - Storys aus dem Labyrinth - Cory d'Or

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style="font-size:15px;">      Dann dieser Schmetterling. Was macht dieser Schmetterling in meinem Büro? Wie kommt er hier herein, wo ich doch das Fenster nie öffne? Er ist weiß und flattert vor die Scheibe, dreht dann eine patscherte Runde durch die kleine, schmucklose Kammer. Hinaus kann er nicht, denn die Tür war geschlossen, als ich sie vorfand, und so halte ich es seitdem.

      »Wie ein Schmetterling«, flüstert sie und legt den Finger auf die Lippen, »sei leise wie ein Schmetterling.« Sie ist schon lange tot, meine Mutter, genau wie mein Vater, der »Herr Doktor« in Weiß, der nie gestört werden durfte, sei es durch die Fragen seines heranwachsenden Sohnes, sei es durch Radau und einfach nur Unruhe. Und kam er aus der Apotheke nach oben, so war es oft Mutter, die Migräne hatte, und keins der Pulverl des Vaters half, und ich musste wieder unsichtbar sein und keinen Mucks von mir geben. Das ist vorbei. Sie sind dahin. Oh, und sie haben Spuren hinterlassen: mich. Ich würde nie ein Kind in die Welt setzen. Allein schon die Wirkung, die ich auf diesen anderen Menschen, diese Frau, ausüben würde, und sie auf mich. Spuren. Wunden und Narben womöglich. Nicht auszudenken.

      Dieser Schmetterling irritiert mich. Er findet keinen Ausgang. Dies ist kein Ort für ihn. Er wird verdursten und verhungern, liegt auf dem Fensterbrett, vergilbt und verstaubt. So sieht es die Natur vor. Ich mische mich da nicht ein, sondern halte mich fein zurück. Andere mögen sich mit der Natur und dem Lauf der Dinge anlegen wollen. Nicht so ich, der ich tunlichst vermeide, irgendwelche Spuren zu hinterlassen, an denen abzulesen wäre, dass es mich je gegeben hat.

      Ich könnte sein Leiden abkürzen. Ihn in der hohlen Hand fangen und dann kurz eine Faust ballen. Aber so ist es nicht vorgesehen. Er flattert um mich herum. Kann er nicht so wieder hinaus, wie er hier hereingekommen ist?

      Ich stehe auf. Rede mit ihm. Rede auf ihn ein. Dass alles gut wird. Dass er so tun soll, als sei er gar nicht da. (Der ewige Sermon meiner Mutter.) Dass er sich gefälligst zusammenreißen soll! (Im flüsternd drohenden Tonfall meines Vaters.)

      Dann öffne ich das Fenster. Ein Windstoß fegt Bewilligungsansuchen und Einreichpläne (in dreifacher Ausführung, gefärbelt und unterschrieben) von meinem Tisch. Doch der Schmetterling scheint jetzt ein Ziel zu haben: der Brise entgegen in die Freiheit. Er flattert hinaus. Und irgendwie fliegt auch ein Teil von mir mit ihm, zu den mächtigen grünen Buchen unter dem blauen Himmel.

      Schnell schließe ich das Fenster. Was ist nur in mich gefahren? Ich habe den Lauf der Dinge verändert! Mutwillig habe ich eingegriffen! Fast erwarte ich, ein Blitz führe vom Himmel. Dann wische ich über meinen Schreibtisch und fege so auch die restlichen Anbringen und Papiere zu Boden. Und lache, lache laut, lache wie lange nicht mehr.

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       8.7.2012

      Ich betrete den Korridor und lasse kurz meine Taschenlampe hineinleuchten, um mich zu orientieren. Ob hier damals meinem alten Herrn auch das Herz bis zum Hals geschlagen hat?

      Nur noch eine letzte Tür trennt mich von der Schatzkammer. So nennen sie hier den Raum, in dem sie jeweils ein Exemplar aller ihrer Modelle lagern, in riesigen Regalen, immer mit dem Knauf nach vorne.

      Einen dieser Schätze trage ich bei mir. Den »HG 125«, einen Louisville Slugger. Hank Greenberg hat damit geschlagen. Ich war sieben Jahre alt und soll, auch wenn ich mich selbst nicht erinnern kann, geweint haben: Mein alter Herr schenkte mir zum Geburtstag einen neuen Baseballschläger, und ich entdeckte, dass es nur ein billiger Nachbau war und nicht der »echte« Hank Greenberg, wie ich ihn mir sehnlichst gewünscht hatte.

      Die Tür ist nicht verschlossen. Ich betrete das Allerheiligste von Hillerich & Bradsby. Tausende von Schlägern, jeder aus einem bestimmten Holz, mit einer bestimmten Länge und Dicke, Knauf, Handgriff und Schlagholz individuell geformt. Eigentlich müsste ich von Ehrfurcht ergriffen sein, aber stattdessen habe ich einfach nur Angst, unter den Tausenden von Schlägern nicht den richtigen zu finden.

      Ich bin kein Dieb. Mein alter Herr, Gott hab ihn selig, hatte sich, nach meinem Wutanfall während der Geburtstagsfeier, in den Kopf gesetzt, mir den richtigen, echten Schläger von Hank Greenberg zu beschaffen. Natürlich sind Schläger dieser Art unverkäuflich. Also schlich er sich wie ich heute in die Schatzkammer der Louisville Slugger und tauschte den Schläger aus: die billige Kindervariante gegen das Original, das sie bei Hillerich & Bradsby lagerten, um es jederzeit wieder detailgetreu reproduzieren zu können.

      Während ich nach der Ordnung in ihrem Lagersystem suche, höre ich wie ein Echo in meinem Kopf die Stimme meines Vaters: »Du kannst ein zweiter Hank Greenberg werden, Sonny, du hast allemal das Zeug dazu. Du hast Talent!« Aber ich hatte kein Talent. Auch nicht mit dem neuen Schläger, der eines Morgens in meinem Zimmer stand. Ich stellte keine Fragen. Er war unglaublich schwer – ein Erwachsenenschläger. Mein Vater war immer da, wenn ich spielte und mühsam das unhandliche Ding zu schwingen versuchte. Aber er hat nie etwas gesagt, nie.

      Die Slugger-Modelle sind nach Buchstaben geordnet und damit nach den Initialen der Baseballspieler, die ihnen die Namen gegeben haben. Ich ziehe einen Hocker ans Regal, denn das Fach für den HG 125 ist ziemlich weit oben. Es liegt ein Schläger im Fach, und mein Herz setzt einen Schlag lang aus, als ich ihn in der Hand halte. Es ist der billige, kindgerechte Nachbau, den mir mein alter Herr damals zum Geburtstag geschenkt hatte. Hier hat in den achtzehn Jahren nie jemand den Austausch bemerkt.

      Ich stecke den echten HG 125 ins Fach, aber nicht, ohne ihn vorher noch einmal geküsst zu haben. Ich bin kein Spieler, habe seit bestimmt zehn Jahren keinen Ball geschlagen. Trotzdem: Irgendein archaischer Instinkt treibt mich dazu, den Schläger zu küssen, damit er mir Glück bringt und seine Kraft auf mich überträgt. Erst mit den Lippen am Holz wird mir bewusst, was ich da gerade tue. Ein seltsames Gefühl, von Kräften bestimmt zu sein, die ich nicht unter Kontrolle habe, ja, nicht einmal kenne.

      Ich schiebe den Hocker an seinen Platz zurück. Niemand soll bemerken, dass ich hier war. Ich schleiche mich aus dem Regallager, so wie mein alter Herr es damals auch getan haben muss. Ein paar Momente lang fühle ich mich ihm ganz nahe. Was muss er sich gefreut haben.

      Erst nach seinem frühen Tod, beim Ausräumen seines kleinen Hauses, fiel mir der HG 125 wieder in die Hände. Ich sah mir den Schläger genauer an: die Maserung des Ahorns, die Lackierung, die Aufdrucke und den Brandstempel. Zuerst wollte ich es nicht glauben, bis mir allmählich klarwurde, dass ich ein Original in den Händen hielt, unschätzbar wertvoll. Ich rief meine Mutter. »Er ist damals nach Louisville gefahren, war drei Tage lang unterwegs. Und kam damit zurück.« Sie glaubt, er habe den Schläger für mich gekauft. Aber das ist unmöglich: Dieser Schläger stand nie zum Verkauf.

      Hank Greenberg war Jude. Wie mein alter Herr. Die Juden legen, warum auch immer, kleine Steinchen auf die Grabsteine ihrer Altvorderen. Es ist mir egal, wenn die anderen Besucher auf dem Friedhof es seltsam finden: Ich lege das billige HG-125-Imitat auf sein Grab. Er hat das für mich getan. Weil er an mich geglaubt hat. Ich wünschte, ich könnte das auch von mir sagen.

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