Das Geheimnis der Anhalterin. Martin Schlobies

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Das Geheimnis der Anhalterin - Martin Schlobies

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sehr still. Die Stille stritt mit der Einsamkeit.

      Wir verließen die Straße und gingen durch brusthohe vertrocknete Felder, gelbe Blumen wuchsen zwischen dem Getreide, liefen auf trockenen Wegen, aus denen die kleinen wilden Gladiolen sprossten. Dann durch Mandelbaum-plantagen. Viele der Bäume waren tot; nackt und schwarz standen sie in Reih und Glied auf nackter roter Erde. Wieder Gehöfte wie Burgen, wieder endlose Wege zwischen Steinmauern.

      Die Hitze stand wie ein flimmerndes Fieber über der Landschaft. Ab und zu wurden wir umschwirrt von einer riesigen roten oder blauen Libelle, oder von den grünschillernden Käfern des Glücks. Hoch oben über uns kreisten zwei Adler.

      In einem Zitronenhain, der gesäumt war von Zypressen, legten wir uns auf eine Wiese, in den Schatten, um ein wenig auszuruhen. Ich fürchtete in dieser Gluthitze einzuschlafen, weil ich Angst hatte, in einem anderen Körper aufzuwachen, so sehr hatte mir die Hitze zugesetzt. Um mich wachzuhalten, begann ich ein Gespräch mit Edmund. Das war wirklich schön an diesen Ferien, die Aussicht, daß ich mich fast zu jeder Zeit mit Edmund unterhalten konnte.

      "Kann man sich in eine Seele verlieben?", fragte ich, ohne recht zu wissen, wieso ich auf diesen Gedanken gekommen war, "In die Seele einer Frau?"

      Edmund antwortete erst nicht, er war anscheinend kurz eingenickt. Er gähnte und es dauerte eine geraume Zeit, bis er zu sich kam,

      "Vielleicht ist die Frage falsch gestellt," sagte er, "vielleicht hättest du fragen sollen: 'Kann man sich in eine Frau ohne Seele verlieben!'"

      "Und wie ist die Antwort?"

      "Zweifellos ja! Das passiert sogar sehr häufig!"

      Ich erschrak vor der Bitterkeit in seiner Stimme, und spürte eine Welle von Mitgefühl, vielleicht auch von Mitleid für Edmund. Wie leer und traurig mußte sein Leben mit Michelle sein, daß er soetwas sagen konnte! Edmund lächelte schmerzlich, als hätte er meine Gedanken erraten, und sagte:

      "Ich denke, die Männer sind nicht geschaffen, nur eine Frau zu lieben. - Ich würde gern frei sein! Irgendwo sein, wo ich niemandem Rechenschaft schuldig bin!"

      "Frei?", fragte ich, "Wirklich frei sind wir nur wenige Minuten, dann melden sich schon wieder irgendwelche Bedürfnisse, Zwänge, andere Menschen mit ihren Anforderungen."

      "So will man immer das haben, was man nicht hat!" erwiderte Edmund.

      Ich nickte, stand auf und begann ein paar wilde Blumen abzupflücken. Edmund sah mir dabei zu.

      "Für wen sind sie?" fragte er.

      "Ich weiß es nicht. Komm, pflück du auch welche!"

      "Für wen?"

      "Für Michelle!" sagte ich. Er zögerte, dann sagte er:

      "Meinst du?"

      "Versuch's!" Schließlich pflückten wir jeder einen Strauß Feldblumen und waren sehr vergnügt bei diesem unschuldigen Tun.

      Als wir endlich wieder im Kastell eintrafen, herrschte die größte Mittagshitze. Michelle war in das Dorf gegangen, hörten wir, sich eine Illustrierte zu kaufen.

      Edmund sah sie durch die Glastür aus dem kleinen Flur kommen und ging mit dem Strauß auf sie zu. Ich sah sofort, Michelle freute sich nicht über die Blumen. Sie schaute den Strauß an mit einem Blick, der vermutlich bedeutete: 'Was soll ich mit wilden Blumen, die überall umsonst wachsen?' Sie wollte die Blumen nicht einmal annehmen. Edmund war darüber so überrascht und verlegen, daß er nicht wußte, was tun, bis ich eingriff.

      "Gib her!", sagte ich und nahm ihm den Strauß, den er ratlos in den Händen hin und her drehte, ab.

      Da sah ich, daß das junge Mädchen, Anna, wieder in ihrem Liegestuhl lag. Sie war bleich, zusammengekrümmt und ganz in sich selbst versunken. Anna blickte auch nicht hoch, als sie uns hörte. Sie sah so traurig und verloren aus, daß ich mir vornahm, sie hinterher anzusprechen und irgendwie zu versuchen, sie zu trösten.

      "Was hat die Kleine?", fragte Michelle leise. In einer plötzlichen Regung ging ich zu der kleinen Anna und gab ihr die Blumen, die sie zögernd und von Rot übergossen entgegennahm. Mir schien dabei, als ob sie jede Falte meines Lächeln suchte.

      Sie stand sogar auf, machte einen kindlichen Knicks, danach einen übertriebenen Theater-knicks, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt. Dann lachte sie auf, wie über einen kleinen Scherz. - Was war mit diesem halben Kind?

       5. Kapitel

      Nun waren wir also in diesem Kastell von Milfontes. Es gehörte einer alten Condessa. Edmund hatte schon allerhand Fabelhaftes von der alten Dame gehört, sodaß meine Neugierde recht gespannt war, sie kennenzulernen. Und dann sollte es noch eine hübsche Nichte oder Tochter geben, von der man sich allerhand Seltsames erzählte, die recht eigenwillig sein sollte und fast so selten zu sehen wie ihre Tante oder Mutter. Doch ich war sehr enttäuscht, daß sich die alte Dame während des ganzen Aufenthaltes im Kastell nicht einmal zeigte. Aber bald sollte eine andere Person meine Aufmerksamkeit mehr als beanspruchen.

      Das Personal des Hotels war ein wohltemperiertes Quintett: der dezente Diener, das adrette Stubenmädchen, die resolute Hausdame, die rundliche Köchin, und die einfache Frau zum Abwaschen.

      Edmund und Michelle hatten das Zimmer Nummer drei bekommen, ich Nummer vier, 'Heather room'. Gegenüber auf der anderen Seite des Flurs lagen die Bäder: alt und schrecklich, aber sauber. Mein Zimmer hatte zwei Betten mit grüngeblümten Decken. Pfosten, Stühle, Schrank-Ecken, Griffe; - alles aus naturverkrümmtem Kastanien-Astholz.

      Das Kastell steht an der Mündung des Flusses Mira in den Atlantik. Vor der Wut des Ozeans und dem ewigen Westwind wird es geschützt durch die Felsen und Dünen weit draußen. Es war zum Schutze der kleinen Stadt gegen arabische Piraten erbaut worden. Eine geschwungene Straße führt zum Strand hinab, der streckenweise steinig ist. Im Norden der Bucht liegen Dünen, dann eine Steilküste. Im Südosten streckt sich das Dorf aus, - oder die kleine Stadt: - Vila nova de Milfontes.

      Edmund und ich wollten am Nachmittag endlich schwimmen gehen. Michelle war noch müde von der langen Autofahrt, und wollte lieber etwas schlafen.

      "Michelle ist keine Frau, sondern ein Murmeltier." war Edmunds betrübter und resignierter Kommentar.

      Es war nur der Himmel über uns und Luft und Licht - und in der Ferne schlief blau das Meer. Wir wanderten ein wenig am Strand entlang, neben den Dünen, bis zum Beginn der Steilküste, oder eines Kliffs; ihm gegenüber ragte fahl und grau und schemenhaft, fast körperlos der Felskegel der Möweninsel auf, wie eine zweite unwirkliche Festung. Überall lag das moderne Strandgut, abgeschabte Plastikflaschen, Beutel, Kanister, von der rauhen Zunge des gierigen Meeres beleckt. Es war unwirtlich hier, der Wind war kalt, das Wasser eisig.

      Auf dem Rückweg sanken unsere Füße tief im Schwemmsand ein, in einem Sand, der wie Sumpf war. Dann wurde der Sand wieder fester und wir kamen an einem kleinen hübschen Strandrestaurant vorbei, einem Holzpavillon in Weiß und Blau.

      "Schade, daß wir dort nicht zu Abend essen werden!" sagte Edmund bedauernd, denn wir hatten Vollpension bestellt. Bald danach überquerten wir die Straße und warfen einen Blick in die kleine Welt am Hafen, dann gingen wir noch in den Ort - oder in das Dorf. Niedrige, meist nur zweistöckige Häuser mit Ziegeln gedeckt oder flach. Die Gärten mit Mauern oder Hecken aus Bambusschilf eingefaßt. Dazwischen standen einige ältere,

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