MONDWELT. Daniel Schiller
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Nach und nach tauchten Objekte im Sonnenlicht auf. Die Sensoren registrierten mehr und mehr Reflexionen, unzählige Lichtpunkte, massenhaft. Sie strahlten richtig, sättigten die Sensoren, lösten eine ganze Datenlawine im Computer aus. Allmählich wuchsen diese Objekte an, kamen näher, rasten heran. 1533-B analysierte die Bilddaten. Darauf reagieren konnte es jedoch nicht. Selbst wenn eines der Objekte zu nahe kam, 1533-B würde nicht ausweichen. Ausweichmanöver waren nie einfach in so einer komplexen Umgebung. Bei Vorwarnzeiten von Minuten waren sie praktisch unmöglich. Außerdem war gerade genug Treibstoff an Bord, um das Rendezvous über dem Nordpol hinzubekommen. Alle anderen Massereserven waren in die Nutzlast gegangen, es gab kaum Puffer, keine zweiten Versuche und keine Umwege. 1533-B musste sklavisch seiner Trajektorie folgen. Es konnte die Objekte nur beobachten und ‘hoffen‘, dass der Booster es hoch und schnell genug ausgesetzt hatte.
1533-B hörte ein neues Funksignal, schwach, im S-Band. Es erkannte den Peilsender seines Ziels, Mutterschiff 1533, voraus und oberhalb. Sie waren noch weit voneinander entfernt, viele tausend Kilometer. Ihre elektronischen Augen sahen sich noch nicht. Aber die beiden Computer begannen schon miteinander zu reden. Sie tauschten erste Statusinformationen aus. 1533-B bekam neue Rendezvousdaten. Das Mutterschiff flog da oben auf einer fast perfekten Kreisbahn um die Pole, 40000 Kilometer über der Oberfläche. Es wartete. 1533-B und seine Geschwister holten auf, sie waren hier unten „schneller“ unterwegs und kletterten immer weiter in die Höhe. Der Abstand schrumpfte. Der Flug war so abgestimmt, dass 1533-B und das Mutterschiff zur selben Zeit über dem Nordpol auf derselben Höhe wären … das Rendezvous.
*
Leona schlug die Augen auf. Sie war tatsächlich eingeschlafen. Die Leute waren jetzt sehr still. Die Stunden zogen sich dahin und es passierte einfach nichts, gar nichts. Schlaf war da das Beste, das einem passieren konnte.
Jan schwebte immer noch vor dem kleinen Fenster. Er schaute nach wie vor gebannt hinaus, hinunter zur Erde. Leona war warm. Sie schälte sich aus dem Schlafsack. Das brachte keine Besserung. Es war zu warm hier drin. Die Luft fühlte sich stickig an und der Luftstrom aus den surrenden Lüftern brachte kaum Erleichterung.
„Irgendwie warm hier drin.“
„Das ist die Sonne. Wir fliegen seit dem Start im Sonnenlicht.“
Leona runzelte die Stirn. „Wird das etwa noch wärmer?“
„Bis zum Rendezvous“, beschwichtigte Jan. „Das Mutterschiff kann den Wärmehaushalt dann besser kontrollieren.“
Leona verstand das nicht. Sie wollte auch nicht weiter fragen. Stattdessen spürte sie jetzt andere Bedürfnisse. Sie musste dringend auf die Toilette. Und sie wusste, was das bedeutete. Die Instruktionen waren da eindeutig gewesen. Trotzdem schaute sie sich suchend um. Nur gab es hier eben keine Toilette … und auch keine Privatsphäre. Sie biss sich auf die Lippe. Das war doch klar gewesen … und trotzdem war das jetzt … schwierig. Wie hatten die Anderen das gemacht? Sie war doch sicher nicht die erste … Sie ließ es geschehen, einfach in die Windel. Der Druck verschwand. Keine Schmerzen mehr. Ihre Muskeln entspannten sich endlich. Das fühlte sich richtig gut an. Und da spürte sie die Flüssigkeit, wie sie sich verteilte und an ihrer Haut entlang kroch. Das war unangenehm … sehr unangenehm … Das war ein Wechselbad der Gefühle. Wie sollte sie später die Sachen wechseln?
„Das erste Mal ist immer schlimm.“ Jan schaute ungerührt, als wäre das alles gar nichts. „Das zweite Mal dann schon nicht mehr.“ Hatte ihr Gesicht sie verraten? Offenbar!
Er winkte sie heran. Das Panorama da draußen war wundervoll, noch viel besser als vor ein paar Stunden. Die Trümmerwolke hatten sie sicher passiert. Sie leuchtete und glitzerte in der Ferne, zumindest der Teil, der vom Sonnenlicht beschienen wurde. Sie stiegen jetzt über dem Nordpol auf. Die Nachtseite der Erde kam unten ins Blickfeld. Der Terminator zog auf den Wolkenmassen eine markante Linie zwischen hell und dunkel. Diese Dunkelheit verschluckte den Trümmerring über der Nachtseite regelrecht.
„Früher konnte man dort die Städte sehen. Neo-Paris war beeindruckend, perfekte Symmetrie. Ein feines Netz aus Lichtern hat alle Kontinente überzogen. Und die Archipele im Nordatlantik, oder die Neumannbrücke … Davon ist nichts mehr übrig.“
Jan war plötzlich sehr nachdenklich. Leona blickte auf die dramatischen Sturmwolken. Welcher Kontinent, welches Land lag gerade darunter? Keine Ahnung. Die Erde hatte sich unwiderruflich verändert. Sie sah anders aus als auf den vielen, unzähligen, alten Bildern. Die Alte Welt war nicht mehr blau, weiß, braun und grün. Sie war grau und dunkel. Das dort unten war voller Leben gewesen … nein! war es immer noch! … eine ganze Biosphäre voll von Pflanzen und Geschöpfen, voller komplexer Kreisläufe und Beziehungen. Daran erinnerte von hier oben nichts mehr. Spurlos … ausgelöscht … untergehend …
„Kaum vorzustellen.“, sinnierte Leona. Auch sie war jetzt nachdenklich. Der Gedanke an ihre Körperhygiene war erstmal beiseitegeschoben. Irgendwo da unten war ihre Heimat, die Heimat aller Menschen. Dort hatte sie 27 Jahre lang gelebt.
„Jetzt ist alles anders.“, antwortete Jan, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Einfach alles.“ Er blickte Leona in die Augen. „Wir werden der Erde nie wieder so nahe sein. Das sind unsere letzten Blicke zurück … unsere letzten Erinnerungen.“
Leona nickte. Deswegen hing Jan die ganze Zeit am Fenster. Sie bereute schon, dass sie eingeschlafen war. Minuten verstrichen. Die Wolkenschicht der Erde fiel immer tiefer zurück. Sie vergaß alles um sich herum, die abgestandene Luft, die unangenehme Wärme, diese Enge, die Windel … nur Jans Geruch, neben ihr, der blieb. Wenn sie seine Worte richtig verstand, kamen sie auf ihrer Bahn dem fernsten Punkt der Ellipse jetzt näher, über dem Nordpol.
Eine Serie dumpfer Schläge hallte durch den Rumpf. Leona zuckte. Die anderen Passagiere waren auch überrascht, schauten sich erschrocken um, griffen nach Dingen, brabbelten aufgeregt.
„Manövertriebwerke.“ Jan schaute noch nicht mal vom Fenster weg.
Die Wand bewegte sich. Das Schiff bewegte sich. Leona trieb vom Bullauge weg. Oder trieb das Bullauge von ihr fort? Sie griff wieder nach dem Gurt und zog sich zurück zum Fenster, neben Jan. Der Rumpf stöhnte. In der Außenhaut knackte etwas. Dann wurde es wieder still. Nur der Blickwinkel zur Erde hatte sich irgendwie verändert.
„Was macht das Schiff?“
Jan schaute auf seinen e-Assistenten. „Wir sind bald da, am Rendezvous. Es beginnt den Anflug. Das muss jetzt passen.“
Sie schaute ihn fragend an.
„Wir müssen das Rendezvous jetzt schaffen. Das Schiff wird sein Triebwerk zünden und den Orbit anheben. Wir müssen in dieselbe Kreisbahn, wie das Mutterschiff. Wenn das nicht klappt…“, Jan malte wieder die Ellipse in die Luft, „… geht’s wieder hinab.“
„Machen wir dann nicht einfach noch einen Umlauf, einen zweiten Anlauf?“
Er schüttelte den Kopf. „Wir fliegen da unten wieder durch die obere Atmosphäre. Wenn wir da nicht schon zerbrechen, werden wir auf jeden Fall zu langsam sein, um wieder so weit rauf zu kommen … und das Mutterschiff ist dann eh ganz woanders auf der Bahn,