Nachtwanderung. Susanne Renger

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Nachtwanderung - Susanne Renger

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im Erdgeschoss hatte ich kein Glück. Wie eine Katze streunte ich durch alle Räume, betrachtete die Antiquitäten im Wohnzimmer genauer und überlegte mir dabei, wie viel sie wert waren. Ich kam zu dem Schluss, dass es eine Menge Geld sein musste. Natürlich hatte ich davon nur wenig Ahnung. Gelangweilt ließ ich mich in einen Sessel fallen. Meine Gedanken kreisten um die Frau, die hier wohnte, und um das unheimliche Gemäuer. Irgendetwas an diesem Haus war seltsam. Und dann fiel mir ein, was es war. Unter all den Zimmern, die ich bisher besichtigt hatte, war keine Küche gewesen. Ich musste sie übersehen haben. Deshalb erhob ich mich wieder aus meiner bequemen Sitzposition und machte mich auf die Suche. Nach einer Weile fand ich sie auch. Sie lag hinter einer geschlossenen Tür, die genauso tapeziert worden war, wie die umliegende Wand. Das war der Grund, warum ich sie erst nicht entdeckt hatte. Manche Leute entwickelten schon komische Ideen. Ich zuckte mit den Schultern. Eine Tarnküche. Vorsichtig wagte ich mich hinein und blickte in alle Ecken. Der Tisch war nicht abgeräumt worden. Dort standen ein Teller, eine Tasse, ein Glas Marmelade, und sogar Milch und Butter, so als ob alles erst vor kurzem noch im Gebrauch gewesen war. Es hatte den Anschein, dass das Frühstück unterbrochen worden war. Aus welchem Grund auch immer. Aber wo war die Frau dann? Im Keller? Nun ja, der war schließlich der einzige Ort, an dem ich bisher nicht nachgesehen hatte.

      Nach einer weiteren geschlagenen Stunde verließ ich das Haus, jedoch nicht ohne ein Fenster im Erdgeschoss offen zu lassen. Denn ich hatte beschlossen, später wiederzukommen, möglicherweise sehr viel später. Der Keller war ziemlich schmutzig gewesen, er bestand nur aus einem einzigen riesigen Raum, so eine Art Lagerraum, in dem die verschiedensten Dinge aufbewahrt wurden, von Lebensmitteln und Getränken über Fahrräder hin bis zu alten Gemälden und zerschlissenen Möbelstücken. Hier hatte sich ebenfalls nichts ergeben. Der Vogel war ausgeflogen. Vielleicht hatte sie ja Lunte gerochen und geahnt, welches Schicksal sie ereilen sollte, und war dann geflohen, wobei sie den Eindruck erwecken wollte, sie sei noch da. Gedankenverloren entfernte ich mich von dem Grundstück und schlenderte zur Bushaltestelle. Dabei wurde mir kalt. Leicht fröstelnd schlüpfte ich in die Ärmel meiner Jacke. Obwohl sich der Frühling bereits gezeigt hatte, war es noch sehr kühl. „So eine Pleite.“, dachte ich, während ich auf den Bus wartete. Dann tauchte der Boss in meinem Kopf auf. Irgendwie musste ich ein Ergebnis liefern, sonst ging es mir an den Kragen. Und bei Gott, er war nicht zimperlich. „Hoffentlich finde ich diese Frau. Am besten heute noch.“. Ohne die Gewissheit, dass sie tot war, konnte ich keine ruhige Minute mehr verbringen.

      Es war draußen bereits dunkel geworden, als ich zur unheimlichen Villa zurückkehrte. Nachmittags hatte ich mich zu Hause auf mein Bett gelegt und war tatsächlich eingeschlafen. Leicht benebelt war ich dann erwacht. Ich hatte lebhaft geträumt. Es war schön gewesen. Mein Vater hatte mich in den Arm genommen und gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Aber die Realität war in der Zwischenzeit nicht verschwunden, so sehr ich mir das auch gewünscht hatte. Ich konnte nicht aus meiner Haut, ich musste es tun, meine Aufgabe wartete auf mich. Nur widerwillig war ich erneut zu dem einsamen Haus aufgebrochen. Die Nacht war klar. Eine Weile hingen meine Augen an den leuchtenden Sternen, die sich in ihrer Schönheit zu übertreffen versuchten. Es würde sehr kalt werden. Seufzend dachte ich an meine Mission. Schon häufiger hatte ich in Erwägung gezogen, auszusteigen und ein ruhiges, normales Leben zu führen. Doch ich kam einfach nicht los vom Boss und seinen Leuten, immer wieder zogen sie mich zurück in ein neues Verbrechen. Die alternde Villa tauchte schemenhaft vor mir auf. „Wenn ich jetzt verschwinden würde, hätte ich vielleicht eine Chance.“. Zwecklos. Mein Chef war sehr mächtig, er würde mich überall aufspüren. Und das wäre ganz klar mein sicherer Tod. Leise lenkte ich meine Schritte durch den Garten hin zur Eingangstür. Alles war ruhig, drinnen brannte kein Licht. Entweder sie war noch nicht zu Hause oder schon im Bett, dafür schien es mir allerdings reichlich früh zu sein. Ich ging an der Außenwand entlang und wenig später stieg ich durch das Fenster ein, das ich offen gelassen hatte. Im Haus kramte ich meine Taschenlampe aus der Jackentasche und knipste sie an. Optimal ausgestattet begab ich mich auf eine Suche der besonderen Art. Nicht, dass ich so etwas nicht schon häufiger gemacht hätte. Heute jedoch war ich ziemlich nervös und sehr unruhig. Denn wenn diese Frau nicht bald tot war, war ich es.

      Jeden verfluchten einzelnen Zentimeter des Gebäudes hatte ich abgesucht. Noch immer gab es keine Spur von der Bewohnerin. Alles blieb unverändert so, wie ich es einige Stunden zuvor vorgefunden hatte. Ich lag nun in dem feuchten Gras, geschützt unter den Zweigen eines dichten Busches und beobachtete die Villa. Schon jetzt bereute ich es. Hätte ich nur eine warme Wolldecke mitgenommen. Langsam bemächtigte sich die Kälte meines Körpers, kroch erst durch Arme und Beine, bevor sie meine Eingeweide erreichte. Nichts tat sich. Seit geraumer Zeit starrte ich auf dunkle Wände. Immer wieder kämpfte ich mit der Müdigkeit, die mich zu übermannen drohte. Nur mit Mühe gelang mir, die Augen offen zu halten. Schließlich fielen sie mir doch zu. Als ich nach einer Weile wieder erwachte und zum Haus hinüber sah, entdeckte ich etwas. Eine plötzlich auftretende Spannung erfasste mich. Die Benommenheit, die mich eben noch benebelt hatte, war nun weggeblasen, wie ein Samenkorn vom Wind. Schwach schimmerte der Schein eines Lichtkegels durch eines der großen Fenster im Erdgeschoss, einmal mehr, dann weniger. Irgendjemand befand sich in diesem Zimmer. Aber ich glaubte kaum, dass es sich bei diesem Jemand um die Hausherrin handelte. Vielmehr waren es ungebetene Eindringlinge, so wie ich, die Taschenlampen bei sich trugen. Von Neugier getrieben robbte ich aus meinem Versteck. Die Glieder waren steif vor Kälte, und es dauerte etwas, bis sie wieder warm wurden. Leise schlich ich an die Seite des Hauses, wo ich das Licht gesehen hatte, und spähte vorsichtig durch ein Fenster. Und dann sah ich sie. Ich hatte Recht. Mehrere schwarz vermummte Gestalten durchstöberten die antiken Schränke. Wonach die wohl suchten. Nach Geld? Schmuck? Oder gar etwas völlig anderem? Mir jedenfalls war es egal. Ich beschloss, zu warten, bis sie verschwunden waren. Lange konnte es nicht mehr dauern. Bald würde sich der Tag mit seinen ersten Sonnenstrahlen zeigen.

      Starr behielt ich meine Position bei. Auch dieses Mal war ich richtig gelegen. Nach nur wenigen Minuten verließen die Unbekannten das Gebäude und den Garten. Erleichtert atmete ich auf. Sie hatten mich nicht entdeckt. Denn wer wußte schon, was die finsteren Typen dort wollten. Sie konnten ganz harmlos, aber auch brutal sein, und so, wie sie mir vorgekommen waren, tippte ich eher auf letzteres. Geschickt wie eine Katze kletterte ich durch mein offenes Fenster. Die Sonne warf ihr erstes zartes Licht auf die Möbel, so dass ich meine Taschenlampe gar nicht mehr brauchte. Ich ging durch die einzelnen Zimmer, jedes glich einem Schlachtfeld. Papiere, Kleidungsstücke und Scherben bedeckten überall den Fußboden. Nur die Küche schien mir exakt so zu sein, wie ich sie zuletzt verlassen hatte. Und wieder blieben meine Blicke an dem Tisch hängen, auf dem die Reste eines Frühstücks standen. Diesmal sah ich genauer hin. Etwas an diesem Bild störte mich. Wenig später wusste ich auch, was es war. Eine dünne Schicht Schimmel hatte die Marmelade überzogen, die Butter war sehr weich und roch ranzig, während sich die Milch in eine dickflüssige Masse verwandelt hatte. Wie konnte mir das bloß entgangen sein? Nun wurde mir natürlich schlagartig klar, dass meine Bewohnerin schon länger nicht mehr hier gewesen sein durfte und ihr möglicherweise irgendetwas passiert war. Das allerdings käme wäre gar nicht so blöd. Denn dann wären auf einmal alle meine Probleme gelöst. Meine Augen lösten sich von dem Tisch und tasteten die Küchenschränke von oben bis unten ab. An einer Stelle hing ein mit Tesafilm angeklebtes Blatt Papier, das ich übersehen haben musste. Es war mit krakeligen Buchstaben beschrieben worden, in einer eigenartigen roten Tinte. Nein, das war keine Tinte, vielmehr handelte es um Blut, das seine typische rotbraune Farbe angenommen hatte. Und dass es Blut war, erschreckte mich nicht besonders, weil ich in meinem Leben schon einiges erlebt hatte. Ich nahm den Zettel ab, las flüchtig den Text, und steckte ihn einmal gefaltet in meine Jackentasche.

      Aus einem Umzugskarton kramte ich meine alte Schreibmaschine hervor. Ich wusste, dass ich sie noch nicht weggeworfen hatte. Obwohl ich eigentlich nichts mehr darauf schrieb. Aber dennoch liebte ich das gute alte Stück, es war mir so richtig ans Herz gewachsen. Nachdem ich sie auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte, zog ich einen sauberen Bogen Papier ein und begann zu tippen. Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis ich die passenden Worte gefunden hatte. Schließlich fehlte mir die Übung darin. Als ich den letzten Satz beendet hatte, nahm ich das Blatt heraus, faltete es zweimal und schob es zusammen mit dem Zettel

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