Linos Instinkt. Dorothee Fesel

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Linos Instinkt - Dorothee Fesel

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jenseits der Wasseroberfläche auf sie wartet, ist mir ein Rätsel. Muss wohl Instinkt sein. Ludwig ist sauer, dass Carla sauer ist. „Zicke“, sagt er vor sich hin und fast hätte ich mich mit ihm angelegt, wenn Gustav nicht dazwischen gegangen wäre: „Mann, hört auf. Ludwig ist halt einfach n bißchen frühreif!“ Vielleicht ist Ludwig auch einfach nur ein bißchen schlecht erzogen, denke ich. Er macht einfach immer, was er will. Ich lasse von ihm ab und schaue wieder zur Wasseroberfläche.

      Gustav räuspert sich. Das macht er nur, wenn er eine seiner Predigten halten möchte. Genau das passiert: „Ich habe das Gefühl, je länger wir warten, umso schlechter wird die Stimmung“, sagt er im Oberlehrerton. „Wisst ihr, wenn man auf etwas wartet, dann wird die Zeit ewig lang. Wenn man gar nicht dran denkt, dann geschieht es einfach. Zum Beispiel, wenn man sich eine Zigarette anzündet, dann kommt immer der Bus!“ Ludwig und ich wechseln Blicke. Manchmal hat man echt das Gefühl, Gustav käme von einem anderen Gewässer. Keinen Schimmer, wovon der redet. „Zigarette…Bus…Was fürn Quatsch“, sagt Ludwig und wir müssen beide grinsen. Und aus dem gemeinsamen Grinsen wird ein Lachen. Wir lassen uns auf den Rücken fallen und halten uns die Bäuche. Gustav sieht uns erst verärgert an, dann muss er mitlachen. Wir lachen so sehr, dass wir in einer Sandwolke verschwinden.

      Die Sonne ist schon längst unter gegangen, als wir immer noch auf dem Rücken liegen. Die Wasseroberfläche ist jetzt ein dunkles schwarzes Loch. Ich bin sehr nachdenklich. „Was ist, wenn wir auf etwas warten, das nie eintreffen wird?“, versuche ich meine Gedanken in Worte zu fassen. „Stellt euch vor, wir kommen da nie hin, über die Wasseroberfläche. Könnte das vielleicht sein, dass wir nur denken, wir kämen eines Tages da hin?“

      Ludwig stößt einen verachtenden Laut aus: „Wir denken nicht, wir haben Instinkt! Stimmt`s, Gustav?!“ Ich lasse mich nicht beirren. „Ich meine, stellt euch mal vor, wir warten unser ganzes Leben lang auf etwas, das nie passiert“, sage ich.

      „Warten auf Godot, das meinst du“, sagt Gustav. „Wer oder was ist denn Godot?“, fragt Ludwig.

      „Na, das sagt man, wenn man auf was wartet, das nie eintreffen wird!“, erklärt Gustav. Jetzt ist Ludwig sauer: „So ein Quatsch. Dass wir irgendwann hier raus kommen, ist doch wohl klar!“ Gustav gräbt nervös mit den Hinterleibsfäden im Sand herum: „Ich sag ja nur, dass Lino nicht ganz unrecht hat – diese Jungs, die ich meine, die haben ewig lange auf den Godot gewartet, obwohl die den gar nicht kannten, und die dachten, der Godot kommt auf jeden Fall, der Godot kommt sicher – er ist aber nie gekommen!“

      Gustav schaut jetzt sehr nachdenklich und auch Ludwig setzt sich verwirrt auf. Ich starre zur Abwechslung mal auf den Boden. Gustav ergreift als Erster wieder das Wort: „Kopf hoch, Leute! Wir sind doch keine Pessimisten!“ Ludwig ist genervt: „Was ist denn nun das schon wieder – ein Pissimist?“ Ich weiß es und versuche zu erklären: „Ein Pessimist ist ein Schwarzmaler!“, sage ich.

      „Hä? Ein Schwarzmaler?“ Ludwig versteht überhaupt nichts mehr.

      „Nicht Schwarzmaler, sondern Schwarzmaler. Einer, der immer nur das Schlimmste erwartet und alles schlecht macht“, erklärt jetzt Gustav.

      Ludwig schaut mich an: „Wir sind keine Schwarzmaler, das sind wir nicht“, sagt er. „Aber ihr müsst schon zugeben, dass wir schon ziemlich lange hier rumwarten. Eine gefühlte Ewigkeit!“ Gustav und ich nicken.

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