Gänzlich ohne Spur. Dietrich Novak

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Gänzlich ohne Spur - Dietrich Novak Valerie Voss, LKA Berlin

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befanden sich Räume, die einem kleinen Appartement ähnelten, mit zwei Schlafräumen, einer Küchenzeile mit Kühlschrank, Kochplatte und Spüle. Die Nasszelle wies eine Dusche und sogar eine Waschmaschine auf. Der Wohnraum hatte eine Essecke und ein gemütliches Sofa. Alles hätte direkt anheimelnd wirken können, wären nicht die fehlenden Fenster gewesen.

      Der Mann, der sich Tom nannte, legte den Sack vorsichtig auf eines der beiden Betten und befreite Annika vom Klebeband und aus ihrer misslichen Lage.

      »So, jetzt kannst du schreien, so viel du willst. Denn hier unten wird dich niemand hören«, sagte er lächelnd. »Ich rate dir aber, brav zu sein. Wir werden es nämlich eine lange Zeit miteinander aushalten müssen.«

      Annika war viel zu eingeschüchtert, um schreien zu können. Sie sah sich nur fassungslos um.

      »Wo bin ich hier, und warum tun Sie das?«

      »Das ist sozusagen Onkel Toms Hütte. Hattet ihr das Buch schon in der Schule? Nein? Dann können wir es gemeinsam lesen. Warum ich das mache? Um dich vor der Welt da draußen und den bösen Menschen zu schützen. Wir stehen kurz vor einem Atomkrieg, bei dem auch chemische Waffen eingesetzt werden. Wenn du nicht gleich stirbst, wirst du als hässliches Monster mit verbrannter Haut rumlaufen und furchtbare Schmerzen haben.«

      Annika fing sofort an zu weinen, und damit löste sich etwas der Schreck, den sie in der letzten Stunde erfahren hatte.

      »Nun wein mal nicht, meine Kleine. Hier bist du ja in Sicherheit. Und wenn du alles tust, was der Tom dir sagt, wird es dir richtig gutgehen.«

      »Warum darf Mama nicht mit hier sein?«

      »Weil sie es nicht verdient hat. Sie kümmert sich nicht richtig um dich und denkt nur daran, wo sie die nächste Flasche Alkohol herbekommt. So jemanden können wir hier nicht gebrauchen. Wir wollen es doch schön haben. Komm, sieh dich mal um in deinem neuen Reich. Und in dem Schrank da findest du ganz viele Spielsachen und hübsche Kleidchen für dich.«

      »Ich trage aber lieber T-Shirts und Jeans.«

      »Du wirst anziehen, was mir gefällt, verstanden?« Der Ton des Mannes hatte sich derart verändert, dass Annika vor Schreck verstummte und nahe daran war, erneut zu weinen.

      »Na, ist es nicht hübsch hier?«, säuselte er jetzt wieder, »da im Kühlschrank gibt es sogar ein Eis für dich. Geh mal nachsehen!«

      Annika folgte der Aufforderung nicht. Stattdessen betrachte sie fasziniert einen Brummkreisel, der für ein kleineres Kind und bestimmt nicht für sie angeschafft worden war.

      »Gehört der Lotte?«, fragte sie.

      »Wie? Nein, die war schon lange nicht mehr hier. Ihre Mama lässt sie nicht in meine Nähe, das Rabenaas.«

      »Aber vorhin haben Sie doch gesagt, ich könnte sie treffen …«

      »Habe ich das? Na, irgendwann wird es vielleicht eine neue Lotte geben, damit du etwas Gesellschaft hast.«

      Mit dieser Aussage konnte Annika nichts anfangen. Sollten er und seine Frau noch eine Tochter bekommen, der sie denselben Namen geben würden? Seltsam, aber wenn seine Frau den Kontakt mit ihm mied, wie konnte das angehen?, überlegte Annika. Für ihre kleine Seele war es sicher gut, dass sie den Sinn dieser Aussage nicht verstand. Denn es sollte auch so noch unendliches Leid auf sie zukommen.

      Hinnerk nahm sich die Akte Elena Dengler vor und studierte sie ausgiebig. Das Mädchen war vor drei Jahren spurlos verschwunden. Die nicht unvermögenden Eltern hatten tagelang auf eine Lösegeldforderung gewartet, die aber nie eintraf. Der Zufall wollte es, dass zwei Wochen zuvor der sechsundfünfzigjährige Anton Barth aus der Haft entlassen worden war. Als Wiederholungstäter hatte er fünf Jahre Freiheitsentzug bekommen, weil er sich immer wieder Kindern sexuell genähert hatte, indem er vor ihren Augen masturbierte oder sie unsittlich berührte beziehungsweise zu sexuellen Handlungen zwang.

      Da Barth ganz in der Nähe der Denglers wohnte, hatte man umgehend eine Hausdurchsuchung durchgeführt, die allerdings ergebnislos verlaufen war. Bei den zahlreichen Verhören hatte Barth immer wieder beteuert, Elena nie gesehen und nichts mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben. Da er in einer Mietwohnung wohnte und kein Laubengrundstück besaß und sowohl die Spürhunde in seiner Wohnung als auch die KTU keinerlei Spuren von Annika an seiner Kleidung feststellen konnten, hatte man ihn laufen lassen müssen.

      Auch der anschließende Verdacht, an der Verbreitung oder Nutzung von kinderpornografischem Material beteiligt zu sein, musste fallengelassen werden, da es keine hinlänglichen Beweise dafür gab. Man ging viel mehr davon aus, erzürnte Eltern hatten ihm eins auswischen wollen. Eine Observation seiner Person war schließlich aufgegeben worden, da Barth sich in keiner Weise verdächtig verhielt.

      »Ich habe mir unterwegs ein paar Gedanken gemacht«, sagte Hinnerk. »Was soll das heißen, das Mädchen ist jetzt bei ihrem Vater? Sind die Eltern inzwischen geschieden, und Elena lebt bei ihm?«

      »Möglich wär’s. Ehen aus denen entführte Kinder stammen, sollen öfter kaputtgehen«, meinte Valerie, »womöglich, weil man sich gegenseitig die Schuld zuschiebt oder ganz einfach den psychischen Druck nicht aushält.«

      »Es gäbe noch eine andere Deutungsmöglichkeit: Es kann auch heißen, dass sie jetzt beim himmlischen Vater ist, also tot«, sagte Lars.

      »Um das zu klären, sollten wir die Eltern aufsuchen. Wer kommt mit?«, fragte Valerie.

      »Natürlich der Göttergatte. Ihr wisst, ich bin in Sachen Trauerbotschaft nicht besonders gut«, antwortete Lars.

      »Du hast aber nicht die Absicht, dich für die letzten Tage auf die faule Haut zu legen? Entschuldige, war nicht so gemeint«, fügte Hinnerk sogleich hinzu, als er sah, wie Lars errötete. »Wenn ich Schmerzen habe, neige ich zu Humor der bitteren Art.«

      »Ein bisschen mehr solltest du dich schon unter Kontrolle haben«, insistierte Valerie. »Alles andere wäre ungerecht gegenüber Lars.«

      »Ja, du hast ja Recht.«

      Als sie wenig später vor der Haustür der leidgeprüften Eltern standen und ihre Dienstausweise zeigten, machte Katharina Dengler, eine gepflegte Erscheinung mit halblangen, brünetten Haaren und melancholischem Blick, große Augen.

      »Gibt es etwas Neues? Haben Sie unser Mädchen gefunden?«, fragte sie hoffnungsvoll.

      »Nein leider nicht«, sagte Valerie, »aber es gibt neue Anhaltspunkte. Dürfen wir einen Moment hereinkommen?«

      »Ja, natürlich, gehen Sie bitte durch ins Wohnzimmer.«

      »Wir haben eine etwas heikle Frage: Könnte es sein, dass Sie sich von Ihrem Mann haben scheiden lassen?«

      Katharina Dengler bekam sofort feuchte Augen.

      »Mein Mann ist vor einem Jahr an Krebs gestorben. Das Leid über den Verlust unserer Tochter hat ihn buchstäblich dahingerafft. Warum fragen Sie?«

      »Zunächst einmal unser tief empfundenes Beileid«, sagte Valerie. »Das Schicksal meint es wahrlich nicht gut mit Ihnen. Warum wir hier sind: Es ist da eine seltsame Botschaft aufgetaucht mit dem Wortlaut: Elena ist jetzt bei ihrem Vater.«

      »Das kann nur eins bedeuten, dass sie auch tot ist«, sagte Katharina mit gebrochener Stimme.

      »Das

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