Religiöse Spuren. Holtbernd Thomas

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Religiöse Spuren - Holtbernd Thomas

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einem Spaziergang. Eine verfallene Kirche oder Kapelle sind nicht nur nicht mehr Teil einer Glaubensgemeinschaft, die Ruine kündet von einem Aussterben. Da hat der Ort lediglich noch die Botschaft eines Endes. Es bleibt die Betrachtung von etwas, was es nicht mehr gibt und die Fantasie über die Bedeutung, die Religion hatte.

       Religiöse Deutung

      Daneben gibt es Phänomene, die werden religiös gedeutet, wie etwa die Liturgie beim Fußball. Da die Vergleiche sehr gut passen und die Formen offensichtlich dem entsprechen, was an religiösen Orten oder bei religiösen Zeremonien zu finden ist, liegt es nahe, dem, was religiös gedeutet wird, auch eine tatsächliche religiöse Bedeutung zuzuschreiben. Es fehlt jedoch ein direkter sowie offensichtlicher Bezug zu etwas Göttlichem. Und es mag auch sein, dass das, was jemand bei solchen Zeremonien spürt, genau dem entspricht, was jemand bei einem Gottesdienst empfinden mag. Doch es bleibt vor allem eine Deutung und ist nicht der Vollzug religiösen Glaubens.

       Der Wald als Kirche

      Manche Orte lassen schaudern, scheinen etwas Geheimnisvolles zu haben, sind das, was wir schön nennen, lassen Gedanken fließen, öffnen den Blick für andere Dinge als die, die man im Alltag immer um sich hat. Diese Orte haben einen hohen Wohlfühlcharakter und werden spirituell genannt. Sie sind von der subjektiven Empfindung abhängig und stehen nicht in Bezug zu einer Glaubensgemeinschaft, was nicht bedeutet, dass andere solche Orte nicht auch spirituell empfinden. Die Deutung wird, wie bei einem Wald, den man als Kathedrale empfindet, von bereits existierenden religiösen Orten vorgenommen und ist dennoch von der Tradition, die mit einer Kathedrale verbunden ist, frei. Der Wald wird als eine sinnliche Hypererfahrung wahrgenommen, in die religiöse Motive, Gedanken, Empfindungen hinein genommen werden. Die sinnlichen Erfahrungen sind Auslöser für spirituelle Erlebnisse. Eine Kirche, eine Kathedrale usw. können auch Auslöser sein, vor allem aber sind sie eine Bestätigung, haben Wiedererkennungseffekte und bilden den Raum für die Vermittlung von Traditionen, durch die die religiösen Erfahrungen immer schon Ausdruck einer Gemeinschaft sind.

       Religiöse Orte als Bildungssekrete

      Die museale Präsentation vieler religiöser Orte oder die eher als Impression zu bezeichnende spirituelle Erfahrung entbehren das Wissen um Zeichen, Symbole, Einordnung in die jeweilige Religion oder Glaubensgemeinschaft sowie theologische Interpretation. Die Spuren, die dort aufzufinden sind, entsprechen eher allgemein menschlichen Erfahrungen oder können gar nicht mehr als eine religiöse Spur verstanden werden, weil das Wissen fehlt. Soll ein Phänomen, ein Gebäude o. ä. als eine religiöse Spur ausgemacht werden können, so braucht es dazu zumindest kryptische Kenntnisse, quasi das Bildungssekret eines religiösen Körpers, der durch eine Gemeinschaft gebildet wird. Der Zugang zu spirituellen oder religiösen Erfahrungen wird sicherlich durch die Sinne und Gefühle gebildet, das Wissen religiöser Inhalte und Bedeutung dient jedoch als eine Art Moderatorvariable. D. h., fehlen die Kenntnisse über Symbole, Inhalte und theologische Bedeutung, dann können religiöse Spuren nicht erkannt und religiöse Erfahrungen gar nicht gemacht, bzw. als solche benannt werden. Es bleibt ein Event, das irgendwie aufgeladen ist, einen quasi religiösen Schauder bewirkt, wie eine Liturgie erscheint, doch konsequenzenlos ist. Man erinnert sich gerne, es war eine tolle Erfahrung und das war es. Eine Gesellschaft, die geschlossen ist, die weniger multioptional ist und eine relative Einheit im Verständnis der Welt aufweist, kann sich auf das gefühlsmäßige Erfassen religiöser Spuren verlassen. Sind die Deutungsmöglichkeiten breiter, müssen konträre Meinungen akzeptiert werden, um miteinander leben zu können, dann scheint auch die Notwendigkeit zu steigen, religiöse Spuren mit dem Verstand zu erfassen und zunächst rein theoretisch anzugehen. Religiöse Bildung wäre dann auch ein Muster dafür, wie Erfahrungen eine Dauerhaftigkeit und eine Auswirkung auf das konkrete Leben haben können und nicht wie ein schönes Erlebnis verpuffen. Religiöse Spuren hätten nicht nur eine Bedeutung für religiös musikalische Menschen, sondern wären als Beispiele hilfreich, um das Menschsein in seiner Tiefe und als Mitsein zu begreifen und zu spüren.

      Da, wo ich nicht hinkomme

      Sich in sein Schneckenhaus zurückziehen, das wünscht man sich manchmal, wenn die Welt mit all ihren Anfeindungen auf einen einstürmt. Es scheint ein guter Ort zu sein, das Haus, das die Schnecke mit sich herumträgt und in das sie sich jeder Zeit zurückziehen kann. Es gibt Schutz und lässt die Welt draußen. Man stellt sich dieses Haus als absolut intim vor. Es ist immer dabei und die Beschwerlichkeit, sein eigenes Haus auf dem Rücken zu haben, scheint der Schnecke nicht viel auszumachen. Wie oft wünscht man sich eine solche Zuflucht, wenn z. B. Fußballfans nach einem Spiel grölend durch die Straßen ziehen oder hupend ihren Corso fahren. In einem solchen Schneckenhaus, so die Fantasie, gibt es bestimmt auch kein Internet und NSA, die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. So ein Ort wäre ideal, um sich zu besinnen, vielleicht mystische Erfahrungen zu machen. Selbst die Säulenheiligen hatten eine solche Ruhe nicht, sie mussten auf Bäume oder Säulen flüchten, um den Schaulustigen und Anhängern zu entkommen.

       Isolation oder nur Abstand

      Und doch, die Redewendung vom Rückzug in sein Schneckenhaus hat eher eine negative Konnotation. Wer beleidigt ist, der zieht sich ganz zurück, isoliert sich von seinen Mitmenschen, bricht den Kontakt ab. Der Wunsch nach einer vollkommenen Abgeschiedenheit als Ort religiöser Besinnung, erweist sich als Unfähigkeit, Demut statt Angst zu entwickeln. Und ganz praktisch, wie lässt sich das Bedürfnis nach körperlicher Nähe erfüllen, wenn das Haus immer im Weg ist? Das fragt man sich manchmal bei Menschen, die ihr Smartphone ständig in der Hand halten. Wie können diese Menschen einen anderen streicheln, wenn die eine Hand belegt ist? Der Wunsch nach einem Schneckenhaus als religiöser Ort bekommt einen bitteren Beigeschmack. Mystische Erfahrungen sind, wie uns die Neurowissenschaftler sagen, Entgrenzungserfahrungen, man fühlt sich mit der Umwelt eins. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich viele Menschen in der Natur bei einem weiten Blick über eine Landschaft oder auf das Meer irgendwie spirituell berührt fühlen. Wohl keine Schnecke wird am Strand sitzend in ihrem Haus glücklich das Lied anstimmen: Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt. Und doch kann sich kaum jemand dieser Stimmung entziehen, wenn man am Strand von Paestum sitzt, auf die Insel schaut und dann geht die Sonne genau über Capri unter. Trotz Abstand zu den anderen Menschen am Strand ist es ein Gefühl von Gemeinschaft.

       Unter einem Dach

      Schnecken mit ihrem Haus sind schön anzusehen, doch der Wunsch, in einer vollkommenen Abgrenzung zur Außenwelt religiöse Erfahrungen machen zu wollen, erweist sich als unfrommes Ansinnen. Ob Schnecken in anderer Weise Erfahrungen machen oder die Frage nach einem religiösen Ort gar nicht verstehen, das ist ein anderes Thema. Und dass der Anblick einer solch behausten Schnecke in dem Betrachter etwas auslösen kann, das ist auch eine andere Sache. Geht man in ein Haus, das als Gotteshaus gilt und wo Touristen noch ein wenig Ehrfurcht empfinden, da fühlt man sich geschützt, der Abstand, den man zu anderen einhält, wird respektiert. Dort fühlt man sich nicht in ein Haus eingeschlossen, sondern bedacht und eingebunden in eine Gemeinschaft. Je mehr Internet, Telefon, Medien auf den Menschen einströmen, desto mehr ist in einer Kirche Ruhe. Die Stille wird spürbar, wenn von draußen Geräusche kommen. Es ist keine Isolation, sondern ein Entgegensetzen. Die Sehnsucht nach dem, was die Schnecke vermeintlich hat, erweist sich als Irrweg. Doch, wer solche Gedanken im Keim erstickt, der wird auch nie erfahren, wo und wie er seinen religiösen Ort finden kann.

      Brauchen wir noch Themen?

      Dem früh verstorbenen Frank Schirrmacher sagt man nach, dass er Themen gesetzt hat und die besondere intuitive Gabe hatte, dem Zeitgeist brennende Themen abzuringen. Menschen, die 50 und älter sind, kennen es noch, dass ein großer Teil der Gesellschaft von einem Thema erregt und damit beschäftigt war. § 218, Nachrüstung, Ostermärsche, Atomenergie, die Thesen der FDP zum Verhältnis von Kirche

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