Die Insel. Jen Minkman

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Insel - Jen Minkman страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Insel - Jen Minkman

Скачать книгу

      -1-

      “WIE OFT muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du kein feuchtes Holz herbringen sollst?” Ben wirft die Äste, die ich ihm gerade überreicht habe, mit einem düsteren Blick auf den Boden. „Damit kriegst du kein Feuer an!“

      „Tut mir leid“, murmle ich.

      „Es tut dir leid?“ Bens Gesicht wird unter den lockigen, braunen Haaren hochrot. „Und was bringt mir das? Du musst dich in der Wildnis nützlich machen, wenn du sonst nichts taugst.“

      „Halt die Klappe, Ben“, fährt Colin ihn an. Er ist neben mir grade damit beschäftigt, einen Hasen zu häuten. „Als ob du nie Fehler machst.“

      Ben zeigt ein überlegenes Lächeln. „Ach, wirklich? Soweit ich weiß, habe ich uns bis jetzt alle am Leben gehalten. Wer hat den Hasen geschossen? Und wer hat die beiden Fasane gefangen, die wir gestern gegessen haben?“

      Colin zieht fragend eine Augen­braue nach oben. „Und wer hat gestern Nacht eine aufs Maul bekommen, weil er sich in ein Zelt geschlichen hat, in dem er nichts verloren hatte?“

      Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht nervös zu kichern. Ben ist ein Über­lebens­künstler, keine Frage, aber soziale Kompetenz ist nicht seine Stärke. Mara hat es letzte Nacht glas­klar gemacht, dass sie nicht an ihm interessiert ist. Zum Glück hat Colin sie schreien gehört, denn irgendwie glaube ich nicht, dass der Schlag auf die Nase sonst deutlich genug gewesen wäre.

      „Was gibt’s denn da zu lachen?“ knurrt Ben, als er mein Beinahe-Lächeln sieht. „Hältst du das etwa für komisch?“

      Nein, finde ich nicht. Es gibt nichts zu lachen, wenn du in einer Welt lebst, in der die Starken immer gewinnen und mehr Rechte haben als der Rest von uns.

      Ben ist der jüngere Bruder von Saul und Saul hat das Sagen auf dem Landgut. Er richtet Kämpfe zwischen den stärksten Jungen und den schwächeren Mitgliedern unserer Gruppe aus, damit wir immer Angst haben. Du weißt nie, wann du dran bist. Vor ein paar Wochen erst wurde Colin von Max verprügelt, einem riesen­haften Kerl, der auch Bär genannt wird.

      Saul entscheidet auch, wer von uns in die Wildnis geschickt wird, um sich Über­lebens­fertig­keiten anzueignen – und wenn du nicht in seiner Gunst stehst, dann geschieht das jede zweite Woche – und wer im Herren­haus wohnen darf. Er entscheidet, wann und welches Kapitel wir bei unseren Versammlungen in der Schrift lesen.

      „Ich finde, du solltest Mara lieber in Ruhe lassen“, erwidere ich zaghaft. „Sie hat dir jetzt schon ein paar Mal gesagt, dass sie dich nicht heiraten will.“

      Ben grinst boshaft. „Wer hat denn irgendetwas von Heirat gesagt?“

      Schockiert halte ich den Atem an. Jeder weiß, wo Babys herkommen. Wenn du … das … tust, ohne die Ver­ant­wortung für das Kind zu über­nehmen und es bis zu seinem zehnten Geburtstag großzuziehen, bist du quasi ein Verbrecher. In den seltenen Fällen, wenn es einmal vorkommt, ist der Junge verpflichtet, das Mädchen zu heiraten.

      Irgendetwas sagt mir, dass Saul seinen kleinen Bruder zu gar nichts verpflichten würde.

      Angewidert wende ich mich ab. Die Feuersteine, die ich zum Anzünden benutzen wollte, fallen aus meinen Händen und landen auf dem Boden. Ich renne den Wald­weg ent­lang, durch die Bäume, über die weiten Wiesen, so weit weg von Ben wie nur möglich. Ich werde ihn meine Tränen nicht sehen lassen.

      Ich renne weiter, bis ich den Strand erreiche.

      Der Sand kitzelt an den Zehen. Ich laufe auf das Meer zu. Die Brandung blubbert und schäumt über meine nackten Füße. Möwen schreien über mir. Die Wasseroberfläche erstreckt sich endlos bis zum Horizont, in welche Richtung ich auch schaue.

      Unsere Welt ist klein. Würde ich mich jetzt nach Norden wenden, könnte ich unser Land an einem Tag durchqueren. Ich würde an einem anderen Strand ankommen und wieder end­loses Wasser sehen. Nichts außer dem Meer. Wir sind auf uns selbst gestellt und können uns nur auf die Macht in uns verlassen. Sie kommt aus unserem Inneren, nicht von außen.

      Würde ich mich von hier nach Westen wenden, würde ich auf eine Barriere stoßen – auf die Mauer. Dahinter sind die Narren. Laut unseren Vorvätern sollen wir sie nicht über­queren.

      Es ist nicht schwer, die Mauer zu überqueren, aber keiner will das. Die Narren glauben nicht an ihre eigene Macht. Statt­dessen glauben sie an etwas von außerhalb dieser Welt, dass zu ihnen kommen und sie retten wird. Niemand will sich mit solchen Idioten einlassen.

      Außerdem sind sie auch lieber für sich. Sie lassen uns in Ruhe. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht einmal geglaubt, dass es die Narren wirklich gibt, hätte ich nicht einmal eines ihrer Schiffe gesehen. Es war weit in der Ferne, so weit von der Insel weg, dass es mir Angst machte. Jeder weiß, dass hinter dem Horizont nichts liegt. Schiffe, die von hier auf­brechen, kommen nie wieder zurück.

      Und doch ist etwas tief in mir berührt von ihrem Mut. Unsere Welt mag vielleicht sicher sein, aber manchmal fühle ich mich darin gefangen. Besonders mit einem schrecklichen Anführer wie Saul an der Spitze. Ich weiß, dass ich eigentlich so schnell wie möglich heiraten sollte, damit ich vom Land­gut verschwinden und zurück nach Newexter ziehen kann, wo die Eltern wohnen, aber ich mag niemand genug, um mich mit ihm zu vermählen.

      Mit einem Seufzen strecke ich meine Arme wie Flügel aus und wate ins Meer. Als mir das Wasser bis zur Hüfte reicht, lasse ich sie wieder sinken und berühre das Wasser mit meinen Finger­spitzen. Ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper von der Kälte, doch wenn ich so wie jetzt im Meer stehe, meine Fingerspitzen in den Wellen, verbindet mich das mit der Macht in mir. Es ist, als wäre ich näher als sonst an der Quelle, die das gesamte Universum speist. Ich fühle mich, als könnte ich alles überstehen – die Wanderungen durch die Wildnis, die Colin und ich über uns ergehen lassen müssen, weil Saul behauptet wir wären „der Macht noch nicht nahe genug“; die Angst niemals jemanden zu finden, mit dem ich mein Leben teilen will. Meine Angst davor enttäuscht zu werden.

      An meinem zehnten Geburtstag wurde ich erwachsen. Colin und ich haben uns am Tag danach den restlichen Jugend­lichen auf dem Landgut angeschlossen. Wir hatten unser eigenes Zimmer, aber dort verbrachten wir nicht viel Zeit. Viel öfters waren wir draußen, um Pfeile und Bögen für die Jagd zu fertigen. Man brachte uns bei wie man Fischer­netze knüpft. Wir lernten wie man Feuer macht – auch wenn mir persönlich das noch nicht eingeleuchtet hat. Und einige Zeit später hat Saul die meisten Räume im Herren­haus für sich beansprucht, aber drinnen schlafen hatte keine Priorität mehr. Wir hatten unsere eigenen Zelte und Hütten.

      Wir haben gelernt, uns selbst zu versorgen.

      Ich zucke zusammen als ich dunkle Wolken am Horizont ballen sehe. Gewitterwolken sind ein böses Omen. Die Geschichten unserer Vorfahren erzählen von Regen, der die Haut versengt und die Leute krank macht. Das ist zu meinen Lebzeiten zwar noch nicht vorgekommen, aber wir haben immer noch Angst davor.

      Es wird Zeit mir einen Unterschlupf zu suchen.

      -2-

      ALS ICH nach dem Regenguss zum Camp zurückkehre, wartet nur noch Mara auf mich, ein Bündel Camping­aus­rüstung zu ihren Füßen.

      „Da bist du ja endlich“, ruft sie erleichtert. „Was ist denn mit dir passiert?“ Ihre Hand greift nach meinen

Скачать книгу