Geboren 2012. ZEIT ONLINE

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spiegelt schon nicht mehr den allerneusten Trend der modernen Pädagogik wieder. Für alle, die vor mehr dreißig Jahren zum letzten Mal eine Schule betraten, ist es wie ein Flug mit der Zeitkapsel.

      Die Art und Weise, wie wir Bildung organisieren, verändert sich in langgezogenen Wellen. Seit die Republik vor mehr als siebzig Jahren gegründet wurde, haben sich zwar fast unablässig Bildungsstrukturreformen an Schulreformen gereiht. Doch die Methoden, nach denen Lehrkräfte den Unterricht gestalten, wandeln sich eher langsam. Jahrzehntelang lernten Lehrer in Studium und Referendariat einmal, wie Unterrichten funktioniert, und hielten sich dan – mit wenigen Abwandlungen – ein ganzes Arbeitsleben daran. Fortbildung gab es zwar, doch was im Klassenraum geschah, war allein dem Lehrer überlassen.

      Deshalb gibt es auf die Frage, was sich in der Schule durch die Jahrzehnte verändert hat, zwei richtige Antworten. Die erste: gar nichts. Die zweite: alles.

      Gar nichts, weil es im Grundsatz immer noch darum geht, die gleichen Fertigkeiten zu erlernen wie schon vor hundert Jahren: Rechnen, Lesen, Schreiben, sich in einer sozialen Gruppe zurecht zu finden, Methoden zu lernen, mit denen man die Welt erschließen kann.

      Alles, weil sich die Welt außerhalb der Schule so unglaublich schnell wandelt und mit ihr die Kinder.

      Englisch? Ist kein reguläres Schulfach mehr. Längst finden ganze Unterrichtseinheiten in der Sprache statt, bringen die Kinder aus dem Kindergarten reichlich alltägliche Spracherfahrungen mit, oder aus amerikanischen Online-Spielen. Medienkunde? Eine überholte Idee. Alexanders Rucksack ist doch deshalb so leicht, weil außer einigen Heften, Bastelutensilien und den Turnschuhen nur ein Tablet-Rechner darin ist, inklusive Sprachsteuerung und Netzzugang. Statt "Buch vergessen" heißt es heute "Akku leer".

      Vom Bauhaus zum Fußball. Alexander stürzt in die Halle. Dort warten schon seine Mannschaft und der Trainer. Zehn Minuten wildes Bolzen, dann Taktiktraining. So geht das jeden Tag. Zwei Stunden Unterricht, dann muss Freizeit sein, Klarinettenstunde, Kochkurs oder eben Fußball. Danach wieder Unterricht.

      Schule, das ist längst keine Einrichtung mehr, die um acht Uhr morgens beginnt und die man um ein Uhr mittags fluchtartig verlässt. Seit in der großen Mehrheit der Familien Mutter und Vater arbeiten, ist die Ganztagsschule Standard. "Das ist hier endgültig keine Lehranstalt mehr, sondern der wichtigste Lebensraum für die Kinder", sagt die Lehrerin. "Und so müssen wir ihn auch gestalten."

      Was harmonischer klingt, als es ist. Denn natürlich ist Schule ein Ort des Wettbewerbs. Da sind die Lehrer, die ihren Schülern zweckfreies Lernen ermöglichen wollen, ihre Schützlinge am Ende aber darauf trimmen müssen, Zentralprüfungen bestehen zu können. Da sind Eltern, die aus diffuser Zukunftssorge Chinesisch-Unterricht und zusätzliche Informatikstunden fordern. Da ist eine alternde Gesellschaft, die zwar zunehmend unbesetzte Arbeitsplätze vorzuweisen hat, aber gleichzeitig mit den gewaltigen menschlichen Ressourcen der neuen Wirtschaftsmächte in Asien und Südamerika konkurrieren muss.

       Körper-Mathe und Video-Schalte

      Alexander findet das alles ganz normal. Gerade liegt er seitlich auf dem Boden, die Arme waagerecht vorgestreckt. Ein Kumpel tut es ihm gleich. Ein Mädchen schiebt sie zu einem Rechteck zusammen, dann zu einer Raute und erklärt den anderen, was für Winkel so entstehen. Körper-Mathe nennen sie es. Das versteht sogar Karl, dem Sauerstoffmangel während der Geburt seinen Intellekt begrenzte.

      Die Nachbarklasse trifft sich derweil per Video-Schalte mit ihrer französischen Partnerklasse. Einmal in der Woche haben sie gemeinsam Unterricht, hier in Hamburg und dort in Marseille. Später werden sie in kleinen Gruppen ihre Referate für die kommende Woche vorbereiten, jeweils zwei französische und zwei deutsche Schüler via Skype, Social Network, Cloud-Doc oder was immer die Technik hergibt.

      Dann endlich wieder die Klingel: 16 Uhr. Man packt zusammen. Keine Hausaufgaben? "Diesen archaischen Unsinn haben wir doch schon vor Jahren abgeschafft", lacht die Lehrerin. Und es stimmt ja: Nach acht Stunden hat jeder ein Recht auf Feierabend, sogar Zehnjährige.

       [nächster Beitrag]

       [Inhaltsverzeichnis]

      Wer kluge Eltern hat, steigt auf

      Der Bildungsforscher Heinz-Elmar Tenorth prognostiziert Mittelschichtskindern eine leuchtende Zukunft. Migranten aber drohe leicht der Absturz, sagt er im Interview.

       VON KARSTEN POLKE-MAJEWSKI

      ZEIT ONLINE: Herr Tenorth, Sie blicken aus einer historischen Perspektive auf das Bildungssystem. Wie wird es sich in den kommenden vierzig Jahren verändern?

      Heinz-Elmar Tenorth: Das Bildungssystem verändert sich kontinuierlich über lange Zeiträume. Es ist höchst lernfähig, leidet aber darunter, dass weder die Bürger noch die Politik ihm zutrauen, dass es reformierbar ist.

      ZEIT ONLINE: Werden die Schüler der Zukunft völlig anders lernen als wir es heute kennen?

      Tenorth: Die Schule, die die bekannten basalen kulturellen Kompetenzen vermittelt wie Lesen, Schreiben oder Rechnen, wird auch in Zukunft die dominante Lebenserfahrung sein, die Menschen bis zu ihrem 16. Lebensjahr machen. Danach allerdings wird sich das Leben der Kinder stark verzweigen. Wir beobachten, dass die soziale Spaltung der Gesellschaft zunimmt. Je nachdem, welcher sozialen Schicht ein Kind angehört, hat es vermutlich sehr unterschiedliche Bildungskarrieren zu erwarten.

      ZEIT ONLINE: Welche unterschiedlichen Entwicklungen sehen Sie?

      Tenorth: Mittelschichtskinder werden auch in Zukunft einen geraden Weg nehmen. Die meisten von ihnen werden Abitur machen, sehr viele werden studieren, vielleicht sogar promovieren. Eine stabile Verankerung in einem akademischen oder höhergebildeten Milieu wird den größten Teil dieser Kinder über alle Klippen hinwegtragen.

      ZEIT ONLINE: Wie wird es Kindern aus ärmeren Familien ergehen?

      Tenorth: Ganz anders jedenfalls als den Mittelschichtskindern, vor allem, wenn es sich um Migranten handelt. Hier kann man sich zwei Entwicklungen vorstellen: Wenn die Lehrer gut sind und das Kind sehr motiviert ist, wird es ebenfalls Abitur machen, vielleicht nicht auf einem Gymnasium, sondern auf etwas verschlungeneren Wegen über andere weiterführende Schulen. In Gegenden, wo die Migrantenquote sehr hoch sein wird, vielleicht bei mehr als der Hälfte der Einwohner, ist die Gefahr hingegen recht groß, dass viele Kinder scheitern. Und wer in der Schule nicht mitkommt, der lernt viele soziale Kompetenzen nicht, die er später braucht, um einen sicheren Beruf zu finden.

      ZEIT ONLINE: Wie stehen stehen die Chancen für die Schüler der Zukunft, einen guten Job zu bekommen?

      Tenorth: Eigentlich sollten sie sehr gut stehen. Die Gesellschaft altert, es kommen weniger Arbeitskräfte nach. Da liegt es nahe, stärker in Bildung zu investieren und mehr Schüler in höherwertige Berufe zu bringen. Allerdings könnte es sein, dass diese Investitionen sehr unterschiedlich verteilt werden. Weil die Bevölkerung auf dem Land eher kleiner werden wird und mehr Menschen in die Ballungsräume ziehen werden, könnten viele Schulen auf dem Land geschlossen und zu größeren Einheiten zusammengeführt werden. Dann könnte der Druck auf die Städte weiter wachsen, ihre Bildungsangebote auszubauen – und die müssen bezahlt werden.

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