Wolf of Winter. Alexa Kim
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Vorsichtig gehe ich näher heran und erkenne, dass es sich um einen Wolf handelt. Sein Fell ist weiß mit bräunlich-grauem Grannenhaar. An seiner Flanke entdecke ich eine Wunde. Es sieht aus, als wäre er angeschossen worden. Wahrscheinlich hat ihn auf einer seiner Diebestouren das Glück verlassen - dieser Wolf wird mir die Beute auf jeden Fall nicht mehr streitig machen.
Erleichtert senke ich das Gewehr und will zurück zu meinem Pick-Up gehen, als der Wolf seinen Kopf hebt … gelbe Augen sehen mich an. Vor Schreck stolpere ich über meine Schneeschuhe und falle auf meinen Hintern in den kalten Schnee. Panisch greife ich nach meinem Gewehr, lege an und ziele auf den verletzten Wolf. Er sieht mich an … den Kopf leicht angehoben, die gelben Augen weiter auf mich gerichtet, als würde er sagen wollen … ist ok … ich bin ohnehin am Ende ... Dann legt er den Kopf auf die Pfoten, als würde er sich in sein Schicksal fügen ...
Ich krümme den Finger am Abzug ... aber ich schaffe es nicht, zu schießen „Du hast keine Chance … ich tue dir damit einen Gefallen!“, sage ich zu dem Wolf, als müsste ich mich rechtfertigen, ihn zu erschießen.
Der Wolf gibt ein Geräusch von sich, das sich anhört wie ein Seufzen, und schließt die Augen ...
„Hat sich wohl erledigt ...“, sage ich und stehe auf.
Ich sollte zurück zu meinem Pick-Up gehen, es wird bald wieder schneien und ich muss zu Hause sein, bevor der Schneesturm die Straßen unpassierbar macht.
Ich stapfe ein paar Schritte durch den Schnee, bleibe stehen und drehe mich noch einmal um. Der Wolf liegt da und bewegt sich nicht. Herrgott, Claire … er ist tot … und wenn nicht, ist er es sowieso in ein paar Stunden …
Ich gehe wieder ein paar Schritte, dann kehre ich um. Vorsichtig stoße ich den Wolf mit dem Lauf meines Gewehres an. Er rührt sich nicht, aber sein Körper hebt und senkt sich. Er lebt noch. Kurzerhand ziehe meine Jacke aus und breite sie auf dem Schnee aus – dann packe ich den Wolf an den unverletzten Vorderläufen und ziehe ihn auf die Jacke, wobei ich versuche, seinem Maul und seinen Zähnen nicht zu nah zu kommen. Du musst doch vollkommen verrückt sein, Claire! Ich kann nur hoffen, dass er noch eine Weile bewusstlos bleibt …
Das Unterfangen Wolfsrettung erweist sich als nicht so einfach, wie ich gehofft habe. Ich hatte keine Ahnung, wie schwer so ein Wolf ist, und ohne meine Jacke ist es verdammt kalt, obwohl ich einen dicken Pullover mit mehreren Unterziehshirts trage. Gottseidank parkt der Pick-Up nur gut hundert Meter entfernt. „Meinen Hasen hättest du wirklich nicht gebraucht! Du bist ganz schön fett!“, versuche ich meine Angst mit einem lahmen Witz im Zaum zuhalten.
Unter größter Kraftanstrengung gelingt es mir, den verletzten Wolf samt meiner Jacke auf die Ladefläche des Pick-Ups zu hieven.
Während ich einsteige und den Pick-Up zurück auf die Straße rollen lasse, frage ich mich, ob ich nicht doch die letzten Monate etwas einsam gewesen bin – warum sonst lasse ich mich auf so einen Wahnsinn ein? Grandpa hätte die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Aber dieser Wolf sah so erschreckend menschlich aus, wie er da im Schnee lag – hilflos, hoffnungslos … als hätte er den Glauben an alles Gute auf der Welt verloren. Wie gut ich dieses Gefühl kenne … verletzt zu werden … physisch und psychisch … Er ist ein Wolf, Claire! Er wird dich angreifen und umbringen, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt!
Ich habe Glück, dass der Wolf noch bewusstlos ist, als ich auf der Farm ankomme. Ich beschließe, ihn in die Scheune zu bringen. Sie steht leer und bietet genügend Schutz vor dem Wetter. Noch bevor ich ins Haus gehe, um meinen Erste-Hilfe-Kasten zu holen, binde ich die Schnauze des Wolfes mit einem Stück Seil zu – sicher ist sicher! Ein Maulkorb wäre mir lieber, aber ich habe natürlich keinen hier …
„Jetzt sei ein guter Wolf …“, sage ich, während mir das Herz vor Angst bis zum Hals schlägt. Als ich anfange, die Wunde an der Flanke zu versorgen, wacht der Wolf auf. Seine Augen richten sich auf mich, er versucht, die Lefzen hochzuziehen und nach mir zu schnappen, aber das Seil um seine Schnauze hindert ihn daran. Trotzdem gelingt es ihm, aufzuspringen und sich auf die Vorderpfoten zu stellen. Aus seiner Kehle kommt ein drohendes Grollen.
Ich lasse das Verbandszeug fallen und weiche zurück. „Ich will dir nur helfen … du bist verletzt ...“, sage ich überflüssigerweise - natürlich versteht das Tier nicht, dass ich nicht sein Feind bin. Es kommt auf mich zu, wobei es sein verletztes Bein hinter sich herzieht …
Zeit die Flucht anzutreten! Ich drehe mich um, stürme aus der Scheune und knalle das Tor zu. Mit zitternden Händen schließe ich die Kette und das Vorhängeschloss, während der Wolf von innen gegen die Tür springt.
„Das war eine grandiose Idee, Claire ...“, sage ich zu mir selbst und laufe ins Haus, während hinter mir in der Scheune der Wolf tobt. Scheinbar ist er nicht so schwer verletzt, wie ich geglaubt habe. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich muss überlegen, was ich jetzt mit einem wütenden Raubtier in meiner Scheune anstelle. Heute Nacht werde ich den Wolf in der Scheune eingesperrt lassen. Vielleicht hat er sich bis morgen beruhigt … oder irgendein verdammtes Wunder geschieht und er ist verschwunden …
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