Durch die Bank. Dieter Lüders

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deuteten in die Richtung der eben verschwundenen Claudia Petersen.

      „Moment!“ Peter wandte sich ab, er schloss die Augen, atmete tief in den Bauch und zählte bis vier. Beim Ausatmen zählte er bis sechs. Manuel wusste, es handelte sich um eine neue Atemtechnik für Choleriker. Wobei dieser Begriff auf alle Menschen angewendet werden konnte, die nicht zu den Lethargikern gehörten. Gleich würde er seine Augen als anderer Mensch wieder öffnen. Melancholiker oder Phlegmatiker konnten in Konfliktsituationen, also wenn sie herausgefordert wurden aus ihrem Schneckenhaus, schnell überfordert reagieren. Bei Peter war es jedenfalls ganz genau so. Wenn nicht alles wie gewohnt am Schnürchen lief, dann ging nichts mehr. Manuel fragte sich, warum sein Vater so überreagierte. Stimmte etwas mit Claudia nicht? Hatte er da jemanden eingestellt, der etwas zu verbergen hatte?

      „Jetzt geht es wieder“, sagte Peter. „Moment, ich bring das wieder in Ordnung!“

      Peter ging zum Fenster. Manuel folgte ihm.

      „Frau Petersen!“, rief Peter auf den Parkplatz.

      Claudia stand an der Schranke. Sie konnte nicht vom Parkplatz fahren, sie hatte ja keine Fernbedienung für die Schranke. Claudia drehte sich in Richtung des offenen Fensters. Manuel stupste Peter an.

      „Es tut mir leid, Frau Petersen“, rief Peter. Manuel stupste ihn erneut. Peter sah ihn streng an und wandte sich wieder Claudia zu. „Ich habe einen Fehler gemacht. Kommen Sie bitte noch mal hoch?“

      Claudia kam nachdenklich die Treppen hinauf. Den Aufzug hatte sie gemieden, weil er unterwegs war und sie nicht warten wollte. Sie dachte an Adrenalinabbau und Cortisolkompensation. Stufe um Stufe kam sie empor und überlegte sich, warum sie auf diese Entschuldigung eingegangen war. Ihr neuer Chef hatte unüberlegt geantwortet. Unüberlegt! Was hieß das eigentlich? Sollte man jedes Wort auf die Goldwaage legen, bevor man es aussprach?

      Das Treppenhaus war nüchtern und zweckmäßig. Weiße Farbe an den Wänden, hier und da ein Hinweisschild auf Notausgänge und Etagennummer. Claudia war mit diesem Laden fertig! Trotzdem erklomm sie die Treppen. Schuld und Sühne. Sie dachte an ihr Vergehen. Sie hatte eine Bank ruiniert, und die guten Taten? Die Besuche in der Seniorenanlage? Aufregungen beschwor das jüngste Gericht herauf. Alles irgendwie Greifbare kam auf die Anklagebank und wurde zur Sprache gebracht. Geschworene stimmten für und wieder - noch eine Etage - sechzehn Stufen. Die Wartezeit war wie eine Untersuchungshaft. Man konnte nichts tun, außer sich Verteidigungsargumente zurechtzulegen. Endlose Treppenstufen, Aufzüge, in denen alle Etagentasten gedrückt waren, und rote Ampeln. Jedes Mal, wenn sie ungewollt warten musste, dann ging es wieder los, außer vorhin im Auto, als ihr Manuel begegnet war. Da wurde die Spirale unterbrochen. Sie hätte an ihre Sorgen gedacht, wenn er nicht gewesen wäre. Ging sie für Manuel die Stufen wieder hoch? War er Medizin für sie?

      Die Sonne durchflutete das Büro, es sah sehr aufgeräumt aus. Die Sitzecke musste ein Designer angefertigt haben. Claudia hatte so etwas noch nie gesehen. Vorhin war ihr das nicht aufgefallen, nun gefiel es ihr sogar. Ihr neuer Arbeitsplatz war plötzlich zu einem Hauptgewinn geworden. Zudem hatte sie das erste Mal ihre Meinung durchgesetzt. Sie war wieder in der Spur. Sie hatte ihre Linie wiedergefunden, und ihr Traum lebte wieder auf. Sie konnte jetzt die Firma ihres Vaters retten, und das mit diesem attraktiven Mann an ihrer Seite.

      „Frau Petersen. Wie Sie sehen, machen wir es uns nicht leicht. Wir sind nicht nur hinter dem Geld her, aber wem erzähle ich das?“ Peter deutete mit einer weiten Handbewegung auf die Sitzecke. „Bitte nehmen Sie Platz. Wir sollten uns kurz abstimmen, was das weitere Vorgehen angeht.“

      Manuel lächelte sie an. Insgeheim bewunderte er ihre Entschlossenheit. Sie legte alles in die Waagschale. Sie war tatsächlich gegangen, nur weil es nicht nach ihrem Willen gegangen war. Entscheidungen zu treffen, war für ihn nie ein Leichtes gewesen. Sein Vater machte das so oft für ihn, dass er diese Fähigkeit nie sonderlich entwickelt hatte. Tatsächlich rückte sein Bedürfnis, um die Welt zu segeln, in weite Ferne, als Claudia sein Lächeln erwiderte.

      Aus der Sitzecke heraus erkannte Claudia den Schreibtisch erst richtig. Bestimmt war der nicht vom Tischler um die Ecke. Sie tippte auf einen internationalen Designer. Eine Figur aus Messing stand neben der Ablage für Schreibutensilien. Sie war sehr stilisiert, surreal, gar abstrakt. Aber dass sie dem Bullen vor der New Yorker Börse ähneln sollte, das erahnte sie nicht.

      „Es tut mir leid, dass Sie meinetwegen in Streit geraten sind“, sagte Claudia.

      „Wo gehobelt wird, da fallen eben nun mal Späne. Wichtig ist, dass wir uns jetzt klar darüber werden, wie es weiter geht.“ Peter merkte schnell, dass es gar keine Entscheidung zu treffen gab. Die Landmaschinenfirma hatte den Rubikon überschritten. Er konnte nur noch auf Schadensbegrenzung hoffen und dass sich alles wieder zum Guten wenden würde, aber mit Hoffnungen hatte er es nicht so. Es widerstrebte ihm zutiefst, die Geschicke seiner Bank, wenn auch nur in einem kleinen Teil, Claudia Petersen anzuvertrauen. Sie hatte so eine ganz andere Sicht auf die Dinge, was die Landmaschinenfirma anging. Und vor allem auch, was Horst Wohlert, ihren, Vater anging. Wenn Peter sich erst einmal entschlossen hatte, seine Schäfchen wieder ins Trockene zu holen, dann galt sein Wort. Wozu gab es Gerichtsvollzieher? Seine Gedanken kamen wieder beim Ausgangspunkt an.

      „O.k. Langer Rede kurzer Sinn: ihr fahrt da mal hin und seht, was ihr da machen könnt. Ich vertraue euch. Auch dir, Manuel.“

      „O.k. Wir versuchen unser Bestes.“ Manuel verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Versuchen?“, hakte Peter nach.

      Peter wartete auf eine Reaktion von Manuel. Er dachte an seine Frau. Sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn Manuel, ihr einziger Sohn, keinen Erfolg haben würde. Er hatte so vieles versucht. Er hatte schon mal eine Tauchschule in der Karibik eröffnet, einen Tennisclub hatte er mal übernommen und sich als Importeur von WLAN-Routern versucht - je nachdem, was für Ideen seine Geschäftsfreunde gerade hatten. Er war der Sohn eines Bankiers; ihm wurden viele Geschäftsideen unterbreitet. Diesesmal ging es um die Idee seines Vaters. Auch Manuel wusste, dass jede Fahnenstange auch ein Ende hatte.

      „Papa, du kannst dich auf uns verlassen. Wir haben unser Handwerk gelernt, und es geht um dein Geld.“

      Es wurde ruhig. Man lehnte sich zurück und spürte die Kraft, die nur der Einigkeit innewohnte.

      *

      Herankommen lassen

      Peter hatte Claudia die übrigen Akten der Landmaschinenfirma mitgegeben. Sie wusste erst nicht, wohin damit. Auch sie hatte ein ansehnliches Büro bekommen. Endlich war sie wieder im Spiel, und das nicht zu den schlechtesten Konditionen. Zwar war ihr Gehalt nicht üppig, aber dieses Büro. Da konnte manche Zweigstellenmitarbeiterin nur von träumen. Sie hatte einen ebensolch spektakulären Blick über die Elbe wie ihr Chef. Noch immer hatte sie die drei Aktenordner im Arm, als es an der Tür klopfte.

      „Herein!“, rief sie.

      Die Tür ging auf, und Eva-Maria Berg trat ein. Sie hatte einen simplen Pappkarton bei sich. Claudia legte die Ordner auf den Schreibtisch, um Eva-Maria zu begrüßen.

      „Berg, mein Name. Eva-Maria Berg. Ich bin hier das Mädchen für alles.“

      „Hallo! Claudia Petersen.“

      Sie reichten sich die Hände. Claudia fühlte sich angekommen.

      Eva-Maria war offiziell die Chef-Sekretärin von Peter Schlüter. Doch auch Manuel bediente sich ihrer Fähigkeiten, und das ziemlich oft. Er schaffte es nie,

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