DJEZEBEL. Friedrich Hauptvogel

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DJEZEBEL - Friedrich Hauptvogel

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Ingendaay hat sich ziemlich erschreckt, als die Hubschrauber kamen“, fuhr der Professor fort. „So tief wie heute kamen die Dinger noch nie herein.“

      Djezebel hatte den Blick starr nach unten in ihre Tasse gerichtet, aber ihr Zustand plötzlich gespannter Aufmerksamkeit blieb dem Professor nicht verborgen. Reingard stellte ihm eine große Tasse dampfender Schokolade auf die Theke, und brachte den Wodka. Er schüttete ihn in das Getränk, nahm einen Schluck, und musterte verstohlen unter schweren Lidern hervor, wie die junge Frau neben ihm mechanisch in ihrem Cappuccino rührte. Jetzt konnte man erkennen, dass die goldene Kette, die sie am linken Handgelenk trug, in einen Schlangenkopf mit Smaragdaugen auslief. Neben der Tasse lag – halb verdeckt von ihr – der Zimmerschlüssel. Botho schnüffelte interessiert an ihren Schuhen und Hosenbeinen herum. Sie nahm keine Notiz davon.

      Der Professor gab sich einen Ruck. „Gehen Sie heute Nachmittag auch noch auf den Masterplatz?“, fragte er verbindlich. Djezebel schaute auf, und wirkte einen Moment verunsichert, so als wisse sie nicht, ob tatsächlich sie gemeint war. Nur flüchtig streifte ihr Blick den Professor. „Das kommt darauf an.“

      Thomas betrat die Cafeteria, das offenbar unvermeidliche Mobiltelefon schwingend. Er blieb am Eingang stehen. „Kommst du?“, fragte er mit gereizter Stimme. Djezebel nickte kurz, trank den Cappuccino aus, nahm den Schlüssel – für eine Sekunde wurde die Sieben sichtbar –, und folgte ihm.

      „Ein eigenartiges Mädchen“, meinte der Professor nach einer Weile, und schürzte die Lippen.

      „Na ja“, lachte Reingard, „die kann es sich leisten, eigenartig zu sein. Mit der Kohle!“

      „Kommt sie öfter ins Schloss? Ich habe sie noch nie gesehen.“

      „Sie war im letzten Herbst ein paarmal hier, in der Zeit, als Sie in Spanien waren. Immer mit einem anderen Typen und bisher immer mit diesem tollen alten Jaguar, den sie fuhr. Na ja, so wie die aussieht, würde sie auch als arme Kirchenmaus jeden haben können.“

      „Ich bin froh, dass ich nicht mehr in diesem Geschäft bin“, raunzte der Professor grimmig, und trank den Rest seiner Schokolade aus. Reingard kicherte.

      Am Nachmittag gingen sie zum Abschlag des Masterplatzes. Die ersten drei Bahnen lagen parallel zur Straße, dann stieg das Gelände steil an. Das Grün des sechsten Lochs lag unmittelbar vor der Waldgrenze. Schon von weitem konnte man die Flagge erkennen, und von oben kam man sich nahezu wie auf einer Aussichtsplattform vor. Als der Professor und Valerie sich bis auf etwa hundert Meter dem Grün genähert hatten, erkannten sie Djezebel und Thomas, die im Schatten der Bäume standen. Als Valerie ihren Annäherungsschlag gemacht hatte und der Professor in Stellung ging, konnten sie sehen, wie die beiden ihre Golfwagen auf den Waldweg zogen, der nach unten zum Schloss führte. Offensichtlich brachen sie die Partie ab. Obwohl Thomas wieder telefonierte, schien er gleichzeitig einen Disput mit Djezebel zu haben, wie seine ärgerlich fahrigen Handbewegungen zeigten. „Seltsam“, murmelte der Professor, „höchst seltsam.“

      ***

      Am Abend waren alle Tische in der großen Halle besetzt. Im Laufe des Nachmittags waren noch viele Gäste angereist. Djezebel und ihr Begleiter saßen schon am selben Tisch wie am Vorabend, als der Professor und Valerie kamen. Der Professor beobachtete, wie sie schweigend ihre Vorspeise aßen. Dann sagte Djezebel etwas, und ein Ausdruck der Ratlosigkeit zeichnete sich im Gesicht des Mannes ab. Sie stand auf, und ging zur Tür. Er zögerte etwas, dann folgte er ihr. Sie kamen nicht wieder.

      „Was hältst du nun davon?“, fragte der Professor nach einer Weile.

      „Die üblichen Abstürze zwischen Liebesleuten“, meinte Valerie ungerührt, und nach einer Weile fügte sie hinzu, „offensichtlich sind die zwei dein bevorzugtes Beobachtungsobjekt geworden.“

      Der Professor lächelte milde. Das Hauptgericht kam, Wildschwein in Burgundersauce. Botho reckte seinen Schädel etwas in die Höhe, und sog den Duft ein, der von den Platten wie die Wohlgerüche des Paradieses auf ihn herabsank.

      Schweigend aßen sie. „Weißt du, was ich heute in der Zeitung gelesen habe?“, sagte Valerie nach einer Weile. „Wenn man bei großen Tennisturnieren die Zeiten addiert, in denen die Spieler wirklich in Aktion sind, dann sind das bei drei Sätzen ungefähr siebzehn Minuten im Schnitt. Ist das nicht unglaublich?“

      „Das ist wirklich kaum zu glauben“, erwiderte der Professor, sah eine Weile nachdenklich auf seinen fast leer gegessenen Teller, nahm mit den Fingern einen vorher sorgfältig beiseitegeschobenen saftigen Bissen des Wildschweinfleischs, tunkte ihn in die dicke Sauce und ließ ihn in des Hundes hochaufgereckte Schnauze gleiten.

      „Weißt du, meine Liebe, welche Rechnung sich ergäbe, wenn man alle wirklich glücklichen Minuten unseres Lebens zusammenzählte? Einen Monat auf sechzig, siebzig Jahre? Vielleicht sogar weniger. Vorausgesetzt, man hat Glück gehabt. Denk an das Wort des Philosophen: ‚Das Leben ist ein Geschäft, das die Kosten nicht deckt.' Sieh dir diese jungen Leute an, denen wir seit zwei Tagen immer wieder begegnen. Von der Natur favorisiert, von den Lebensumständen verwöhnt – und dann diese Gesichter heute Abend.“ Er hatte sich bei diesen Worten in seinen Stuhl zurückgelehnt, hob die Hände etwas in die Höhe und ließ sie resignierend wieder auf den Tisch sinken.

      „Nein, nein“, rief er, als Valerie ansetzte, etwas zu sagen, „diese Kinder sind nur zum kleinen Teil selber schuld, das Leben ist ganz einfach so. Das lehrt uns schon die moderne Physik. Ich habe einmal ein Interview mit einem berühmten Physiker gehört. Am Ende eines langen Gespräches über die Materie und die Entstehung des Universums wurde er nach den Zukunftsaussichten der Erde befragt, und er sagte lachend: ‚In der Natur endet immer alles in der Katastrophe. Unausweichlich. Es ist ein Gesetz.' Und selbst wenn man dem Glück nicht nachjagt und sich nur darauf konzentriert, das Leiden fernzuhalten, sieht die Bilanz nur scheinbar ausgeglichener aus. Und wem gelingt das schon! Du hast gestern von der Munch-Ausstellung in Paris erzählt. Diese Bilder illustrieren unsere Defekte und unsere unvermeidbaren Leiden sehr drastisch.“ Er machte eine Pause. „Ich habe uns übrigens für morgen früh zehn Uhr dreißig auf dem Masterplatz eintragen lassen. Olli hatte recht. Es wird voll. Und jetzt trinken wir noch etwas.“

      Er bestellte eine Flasche Sancerre, und sie saßen noch lange und unterhielten sich. Es war fast Mitternacht, als er sich von Valerie verabschiedete, um mit Botho noch einen kurzen Spaziergang zu machen. Als er zurück kam war die Halle leer. Er ging die Treppe hinauf zu seinem Zimmer. Botho lief ohne anzuhalten an der Tür mit der Nummer sieben vorbei. Der Professor blieb einen Moment stehen, legte horchend den Kopf zur Seite. Totenstille.

      ***

      Am nächsten Morgen um zehn Uhr dreißig schlugen sie ab. Wie eine schmuddelige Bettdecke hing eine Wolkenschicht am Himmel, und es war empfindlich kühl. Sie kamen gut voran. Das siebte Fairway führte als lange Schneise mitten durch den Wald. Die hohen Tannen links und rechts gaben dem Ort eine besondere Atmosphäre feierlicher Ruhe. Mit dem zweiten Schlag hatten sie beide mitten auf das Grün gespielt, das in einem Steinbruch lag.

      „Was hast du?“, fragte Valerie, als sie das ärgerliche Gesicht des Professors sah.

      „Ich habe meinen Putter am letzten Loch liegen lassen“, sagte er. „Na, dann will ich mich mal auf den Weg machen.“

      „Mir tut eine Pause ganz gut. Ich setze mich hier solange auf eine Bank.“

      Der Professor nickte, nahm den Stock, rief: „Auf, Botho“, und ging den Weg zurück. Botho fiel hinter ihm ab und kramte im seitlichen Buschwerk herum. Als der Professor sich dem Waldrand näherte, hörte er ein Geräusch in der Luft, ein gedämpftes, schaufelndes Mahlen. Er beschleunigte seinen Schritt, sah durch

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