Geschichten aus der Kleinstadt, Band 4. Sigrid Schüler
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Wortlos packte meine Tochter das Hemd zu den anderen ausrangierten Sachen.
Bei den Jacketts bremste ich sie aus. „Da muss Papa selber nach sehen, was er behalten möchte. Du weißt doch, er kann so schlecht etwas wegwerfen.“
Vier Jacketts, von denen ich meinte, sie seien ausgedient, legte ich auf das Bett, damit mein Mann sie in Augenschein nehmen konnte. Wir fanden noch einige alte Hemden, zwei inzwischen bürountaugliche Jeans, fünf aufgetragene Pullover und einen alten Pullover, der aber kaum getragen und so gut wie neu war, mausgrau mit aufgenähten Ärmelschonern.
„Der ist nicht von Opa“, sagte ich rasch, um der Frage, die sich auf dem Gesicht meiner Tochter abzeichnete, zuvorzukommen.
„Das glaube ich sofort, so was würde Opa nicht tragen“, erklärte meine Tochter.
Sie faltete den Pullover zusammen und packte ihn in den Kleidersack. Für einen Moment musste ich mit der Versuchung kämpfen, sie zurückzuhalten. Der Pullover war wirklich wie neu, und ich wusste, dass mein Mann Überlegungen zu dessen weiterer Verwendung angestellt hatte. Seinem Bruder könnte er passen, hatte er jedes Mal gesagt, wenn es um die Frage ging, warum dieser Pullover Platz in unserem Schrank beanspruchte. Ich ließ meine Tochter also gewähren und war im Grunde froh über die Entscheidung, die sie so souverän gefällt hatte.
Frohen Herzens ging ich in das Zimmer meiner Tochter und machte mich an ihrem Schrank zu schaffen, denn auch hier befanden sich jede Menge Kleidungsstücke, die einer genauen Beurteilung hinsichtlich ihrer Tragbarkeit bedurften.
„Nein, das brauche ich noch“, rief meine Tochter, die sich beeilt hatte, hinter mir herzukommen und mir nun ein T-Shirt aus den Händen riss, das sie vor rund vier Jahren getragen hatte.
„Das ist dir aber doch viel zu klein! Das kann weg!“
„Das ist das erste T-Shirt, das ich mir selber gekauft habe, vom eigenen Geld! Das kann ich nicht wegschmeißen!“, widersprach sie mir.
Ich ließ ihr das Shirt und grub weiter im Schrank. Von den sieben T-Shirts, die ihr nicht mehr passten, ließ sie mir nur zwei für die Kleidersammlung. Erschreckend war die Tatsache, dass ihr von den fünf Hosen wirklich keine mehr passte, und das, obwohl sie alle noch aktuell waren. War sie wirklich so viel gewachsen?
Plötzlich hielt ich meine Sweatshirtjacke in der Hand, die ich seit einigen Monaten vermisste. „Wie kommt die denn hier hin?“
Meine Tochter zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen. Die gehört doch nicht mir.“
Okay. Ich durfte mich also freuen, meine Jacke wiederzuhaben.
Das weitere Durchforsten des Kleiderschrankes erbrachte außer drei einzelnen Socken verschiedener Herkunft und Größe keine nennenswerten Funde mehr. Ich schloss daher meine Suche ab. Die Kleider, die wir nicht mehr tragen würden, füllten sieben Säcke.
„Pack mal mit an!“, forderte ich meine Tochter auf. „Wir stellen die Säcke in den Schuppen, damit Papa die gar nicht erst sieht.“
Gemeinsam schleppten wir die Säcke eine Etage tiefer und stellen sie in den Schuppen hinter der Garage.
Als mein Mann nach Hause gekommen war, schickte ich ihn ins Schlafzimmer zu den Jacketts, damit er einen Blick darauf werfe und sie für die Kleidersammlung freigebe.
Erst als ich das Abendessen gemacht hatte und alle zu Tisch rief, merkte ich, dass mein Mann immer noch nicht aus dem Schlafzimmer zurückgekehrt war. Ich ging ihm nach, aber im Schlafzimmer fand ich ihn nicht. Einer Eingebung folgend ging ich hinters Haus in den Schuppen, und dort fand ich ihn inmitten geöffneter und leerer bis halbleerer Kleidersäcke. Große Kleiderhaufen türmten sich auf dem Boden. In seiner Hand hielt er den grauen Pullover.
„Schatz? Der soll doch nicht weg! Der ist doch noch gut, und meinem Bruder passt der bestimmt.“ Vorsichtig legte er das gute Stück zur Seite und grub in dem Sack, der vor ihm stand. Mit einem Aufschrei des Entsetzens holte er das fliederfarbene Hemd hervor und hielt es anklagend in die Höhe. Das schöne neue Hemd, las ich in seinem Blick.
„Wir können essen“, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
„Warte mal!“, rief er. In seiner Hand hielt er jetzt meine weiße Bluse. „Ist das nicht deine Bluse? Die war doch nicht billig! Was ist eigentlich damit, ist sie dir zu klein geworden? Dann wäre die doch sicher was für unsere Kleine, meinst du nicht? Die soll die mal anprobieren!“
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