SECHS PERSONEN SUCHEN EINEN AUTOR. Luigi Pirandello

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SECHS PERSONEN SUCHEN EINEN AUTOR - Luigi Pirandello

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dass ja alles schon längst vorbei sei und daher nicht mehr Anlass zu neuen Tränen geben könne. "Nein, es geschieht jetzt, es geschieht immer. Meine Qual ist nicht gespielt, Herr Direktor! Ich bin lebendig und gegenwärtig, immer, in jedem Augenblick meiner Qual, die sich lebendig und gegenwärtig immer erneuert." Das fühlt sie, fühlt es unbewusst und daher wie etwas Unerklärbares: Aber sie fühlt es mit so großem Entsetzen, dass ihr nicht einmal der Gedanke kommt, es sei etwas, das sie sich selbst oder den anderen erklären könnte. Sie fühlt es und damit hat sich's. Sie fühlt es als Schmerz, und dieser Schmerz schreit unmittelbar. So spiegelt sich auch in ihr das Gefesseltsein ihres Lebens an eine Form, das, auf andere Weise, den Vater und die Stieftochter peinigt. Diese als Geist; sie als Natur: Der Geist revoltiert dagegen oder versucht, so gut er kann, sich ihrer zu bedienen. Die Natur, wenn sie nicht von den Sinnen gereizt ist, weint.

      Der immanente Konflikt zwischen der lebendigen Bewegung und der Form 2 ist die unvermeidliche Voraussetzung nicht nur der geistigen Ordnung, sondern auch der natürlichen. Das Leben, das sich, um sein zu können, in unserer körperlichen Form fixiert hat, tötet seine Form allmählich. Das Leid dieser erstarrten Natur ist das unwiderrufliche, unaufhörliche Altern unseres Körpers. Das Leid der Mutter ist in derselben Weise passiv und ewig. Gezeigt durch drei Gesichter, verdeutlicht in drei verschiedenen und gleichzeitigen Dramen, findet so dieser immanente Konflikt in dem Stück seinen vollendeten Ausdruck. Und noch mehr. Die Mutter drückt auch die besondere Bedeutung der künstlerischen Form aus, einer Form, die ihr Leben nicht einschließt und es nicht tötet und die vom Leben nicht verbraucht wird: in jenem Schrei vor dem Direktor. Wenn der Vater und die Stieftochter hunderttausendmal hintereinander ihre Szene wieder anfangen würden, immer an der bestimmten Stelle, in dem Augenblick, in dem das Leben des Kunstwerks in diesem Schrei ausgedrückt werden muss, immer wieder würde er ertönen: unverändert und unveränderbar in seiner Form, aber nicht wie eine mechanische Wiederholung, nicht wie eine durch äußere Zwänge notwendig bewirkte Wiederkehr, sondern vielmehr jedesmal lebendig und wie neu, plötzlich so herausgestoßen für immer, lebendig einbalsamiert in seiner unverweslichen Form. Genauso werden wir stets beim Aufschlagen des Buches Francesca lebendig finden, wie sie Dante ihre süße Sünde beichtet. Und wenn wir hunderttausendmal nacheinander diese Stelle lesen, wird Francesca hunderttausendmal nacheinander ihre Worte wiederholen, niemals mechanisch, sie wird sie jedesmal zum ersten Male sagen, mit so lebendiger und unerwarteter Leidenschaftlichkeit, dass Dante jedesmal davon wie betäubt sein wird. Alles was lebt, hat Form durch die Tatsache, dass es lebt, und eben deshalb muss es sterben; mit Ausnahme des Kunstwerks, das genau darum ewig lebt, weil es Form ist.

      Die Geburt eines Geschöpfes der menschlichen Phantasie - Geburt als Schritt über die Schwelle zwischen dem Nichts und der Ewigkeit - kann sich auch plötzlich ereignen, wenn eine Notwendigkeit sie erzeugt. Braucht man in einem Drama, das man sich vorstellt, eine Figur, die etwas Bestimmtes, Notwendiges tun oder sagen soll, schon ist sie geboren, und es ist genau die, die es sein sollte. So kommt Madame Pace inmitten der sechs Personen zur Welt, und es scheint ein Wunder zu sein, viel mehr ein Trick auf dieser realistisch gestalteten Bühne. Aber es ist kein Trick. Die Geburt ist wirklich, die neue Gestalt ist lebendig, nicht weil sie schon lebendig war, sondern weil sie in einem glücklichen Moment geboren wurde, genauso wie es ihrer Natur als Bühnenfigur entspricht, sozusagen "zwangsläufig". Es ist also ein Bruch entstanden, ein plötzlicher Wechsel der Wirklichkeitsebene der Szene, weil eine Gestalt auf diese Weise nur in der Phantasie des Dichters geboren werden kann, sicher nicht auf den Brettern einer Bühne. Ohne dass es jemand bemerkt hat, habe ich plötzlich die Szene gewechselt: ich habe sie in diesem Augenblick wieder in meine Phantasie aufgenommen, ohne sie doch dem Blick der Zuschauer zu entziehen. Ich habe ihnen nämlich auf der Bühne meine Phantasie im Augenblick des Schaffens vorgeführt, in der Ausdrucksform dieser Bühne selbst. Der plötzliche und unkontrollierbare Wechsel einer Erscheinung von einer Ebene der Wirklichkeit auf eine andere zählt zu den Wundern der Art, wie sie ein Heiliger vollbringt, der seine Statue sich bewegen lässt, die in diesem Augenblick sicher nicht mehr aus Holz oder aus Stein ist; aber es ist kein willkürliches Wunder. Diese Bühne existiert, schon weil sie die phantastische Wirklichkeit der sechs Personen aufnimmt, nicht für sich selbst als etwas Festes und Unveränderliches, so wie nichts in diesem Stück als etwas Festgelegtes und Vorgefasstes existiert: alles wird gemacht, alles bewegt sich, alles ist improvisierter Versuch. Auch die Wirklichkeitsebene des Ortes, an dem sich dieses ungeformte Leben, das sich nach seiner Form sehnt, ändert und immer wieder ändert, verlagert sich dadurch in organischer Weise. Als ich den Einfall hatte, Madame Pace mir nichts dir nichts auf dieser Bühne entstehen zu lassen, fühlte ich, dass ich es tun konnte, und ich tat es. Hätte ich gemerkt, dass diese Geburt mir die Wirklichkeitsebene der Szene im Handumdrehen lautlos und sozusagen aus Versehen verschieben und verändern würde, dann hätte ich es, paralysiert durch ihre scheinbare Unlogik, sicher nicht getan. Und ich hätte der Schönheit meines Werkes in verhängnisvoller Weise geschadet. Davor hat mich die Leidenschaft meines Geistes bewahrt, denn entgegen einem trügerischen, logischen Anschein wird diese phantastische Geburt von einer wirklichen Notwendigkeit getragen, die in geheimnisvoller organischer Wechselbeziehung mit dem ganzen Leben des Werkes steht.

      Wenn mir nun jemand sagt, es habe nicht die Bedeutung, die es haben könnte, weil sein Ausdruck nicht gestaltet, sondern chaotisch sei, weil es in die Fehler der Romantik verfiele, dann kann ich nur lächeln.

      Ich verstehe, warum man diesen Einwand gegen mich erhoben hat. Weil in meinem Stück die Darstellung des Dramas, in das die sechs Personen verwickelt sind, wild durcheinander geraten zu sein scheint und nie geordnet weitergeht: es gibt keine logische Entwicklung, es gibt keine Verkettung der Geschehnisse. Das ist nur zu wahr. Ich hätte für "das Drama, in das die sechs Personen verwickelt sind", gar keine unordentlichere, überspanntere, willkürlichere und kompliziertere, das heißt also romantischere Art der Darstellung finden können, auch wenn ich sie mit der Laterne gesucht hätte. Es ist nur zu wahr, aber ich habe ja nicht dieses Drama dargestellt, sondern ein anderes - und ich werde nicht wiederholen, welches! - in dem, unter anderen schönen Dingen, die jeder nach seinem Geschmack dort finden kann, gerade eine diskrete Satire auf die romantischen Verfahren steckt; eben in meinen Gestalten, die so eifrig dabei, sind, sich gegenseitig zu übertrumpfen in den Rollen, die jede von ihnen in einem gewissen Drama hat, während ich sie als Figuren eines anderen Stückes vorstelle, das sie nicht kennen und von dem sie nichts ahnen, so dass ihre leidenschaftliche Erregung, typisch für die Verfahren romantischer Kunst, auf humoristische Art verwendet wird, indem sie völlig in der Luft hängen. Und das Drama der Personen, nicht so aufgeführt, wie es sich in meiner Phantasie gestaltet hätte, wenn es angenommen worden wäre, sondern auf diese Weise, als abgelehntes Drama, konnte in meinem Werk nur aus "Situation" bestehen und in einer gewissen Entwicklung, und es konnte nur durch Andeutungen herauskommen, in wildem Durcheinander und regellos, in heftigen Verkürzungen, auf chaotische Weise unaufhörlich unterbrechen, abgelenkt, voller Widersprüche und sogar von einer seiner Gestalten abgelehnt, von zwei anderen nicht einmal gelebt.

      Es ist tatsächlich eine Gestalt unter ihnen (nämlich diejenige, die das Drama "ablehnt", das sie zur Gestalt macht, der Sohn), die ihre ganze Bedeutung und ihren Wert daher bezieht, dass sie eine Gestalt nicht aus dem "Stück, das gemacht werden soll" ist, - denn als solche erscheint sie fast gar nicht - sondern aus der Darstellung, die ich davon gegeben habe. Der Sohn ist also der einzige, der nur als "Person, die den Autor sucht" lebt, so sehr, dass der Autor, den er sucht, gar kein dramatischer Autor ist. Auch das konnte nicht anders sein. Das Verhalten der Person ist in meiner Konzeption ebenso organisch, wie es logisch ist, dass sie in der Situation größere Konfusion und Verwirrung und ein weiteres Motiv romantischen Widerstreits herbeiführt.

      Aber gerade dieses organische und natürliche Chaos musste ich darstellen, und ein Chaos darstellen bedeutet keineswegs, chaotisch - also romantisch - darstellen. Dass meine Darstellung im übrigen alles andere als konfus ist, sondern im Gegenteil sehr klar, einfach und geordnet, das beweist die Offensichtlichkeit, mit der in den Augen des Publikums der ganzen Welt die Handlung, die Charaktere, die phantastischen und realistischen, dramatischen und komischen Ebenen des Werkes herauskommen und dass für den, der schärfer blickt, auch die ungewohnten Werte, die darin enthalten sind, ans Licht treten.

      Groß

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