Jakob Ponte. Helmut H. Schulz
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Schön und akkurat anzusehen war der amerikanische Friede, soweit es Äußerlichkeiten betraf, aber übrigens war diese Wendemacht für unser Städtchen entschieden zu groß, wenigstens aus meiner kindlichen Sicht, der die große historische Dimension dieses herrlichen Friedens verborgen blieb, dem der noch unbestätigte Tod Großvater näher ging, als das Schicksal all der Verfolgten und Verbannten und Getöteten unter dem vergangenen Regime, vor, während und nach dem Krieg. Täglich, so schien es, erreichten junge und gesunde Männer aus allen Teilen der Vereinigten Staaten von Amerika unsere Stadt und hofften eine Weile hierzubleiben. Zu meiner Überraschung waren einige von ihnen recht schwarz; vom Völkergemisch der USA hatte ich keine Ahnung, und auch mein lieber Vater Fabian schien mit der Frage überfordert, weshalb Neger in Amerika und nicht in Afrika lebten, wohin sie von Rechts wegen gehörten. Die Masse der parkenden, der an- und abfahrenden Fahrzeuge und Geräte, der Jeeps, wie sich der Begriff für diese kleinen offenen Autos rasch einbürgerte, konnte unser Marktplatz kaum noch fassen. Aus dem Barackenlager erschienen hin und wieder aber regelmäßig ein paar der von Großvater einst beaufsichtigten zurückgebliebenen Fremdarbeiter, die sich keineswegs wie ich gedacht hatte, auf dem Heimweg nach Ost oder West befunden hatten, sie suchten in unserem Haus nach ihrem einstigen Aufseher, also Großvater, schrien viel und laut und in allen Muttersprachen, schüttelten drohend die Fäuste und nahmen mit, was ihnen gefiel, wenig und Wertloses, dank der Voraussicht Großmutters. Gleichmütig hörte sie ihre Vorwürfe mit über der Brust verschränkten Armen an, duldete es auch, dass der eine oder andere Interesse für übrig gebliebenen Tand aus unserem Laden aufbrachte und als Andenken mitnahm, und erklärte diesen Leuten, dass Großvater, ihr einstiger Aufseher bereits in Haft genommen oder vielleicht schon erschossen worden sei. Unzufrieden zogen diese Kerle ab und mehr als Drohungen, uns abzuschlachten, war bei ihren Besuchen bisher nicht herausgekommen.
Endlich wurde unser Laden zum Durchgangslager; überall im Hause traf man fremde Uniformierte, die sich aufführten, als seien sie hier die Herren, die in unserer Küche kochten oder brieten, was sie irgendwo ergattert oder gestohlen oder mitgebracht hatten, indessen Großmutter die vollkommenste Ruhe behielt und den Überblick. Wertsachen hielt sie gut verborgen aber den Laden Tag und Nacht geöffnet. Allein es hätte auch nicht viel genutzt, ihn zu verschließen. Schlimmer als uns erging es dem Café Links; die Amerikaner beschlagnahmten es sogleich und gestalteten den Gastraum nach ihrem Geschmack zu einer Tanzbar und einem Bordell um. Das zierliche Gestühl, die winzig kleinen Marmortische, die schöne und wertvolle Einrichtung wurde herausgeschafft, soweit sie beweglich war und auf dem Pflaster vor dem Café aufgeschichtet. Niemand hinderte den Besitzer daran, seine Sachen durch Plane und Laken einigermaßen zu schützen, und vor der Nässe des Frühjahrsregens zu bewahren. Erschüttert ob dieses Verlustes brachte Herr Links seine Habe, soweit ihm erlaubt und er ihrer habhaft wurde, in unsere Kellerräumen. Großmutter tröstete ihn, hielt ihm vor, dass nach sechs Jahren Krieg, an dem die halbe Welt beteiligt gewesen war, dieser Friede kommen musste, wie er nun gekommen war, mit Jux und Lust, und dass es galt die Zeit durchzustehen, bis die Sieger selbst das Interesse daran, an der Unordnung verloren. Sie riet ferner, über alles Verlorene Buch zu führen, um später die Schäden berechnen zu können. Bei der Bestandsaufnahme zeigte sich, dass diese Verluste, falls es bei dem blieb, nicht so groß waren, wie Herr Links vermutet hatte, und dass auch die Diebstähle im Knochenhauerinnungshaus leicht auszugleichen sein würden, wenn denn sehr bald eine Art Ordnung eintreten werde, woran Großmutter nicht zweifelte, als im Interesse der Sieger liegend. Auf den Einwand Herrn Links, dass mit dem Tode des Führers, der ja übrigens doch eigentlich für all das haftbar gemacht werden müsse, überhaupt kein Weiterleben mehr denkbar sei, sprach Großmutter trocken, das Kapitel Führer sei fürs Erste abgeschlossen; der Herr Links möge an die Lehre vergangener Tage denken, als es hieß, genießet den Krieg, der Friede werde furchtbar, und dies sei wohl erst der Anfang und keineswegs wirklich furchtbar …
Im Café Links wurden, wie ich staunend beobachtete, bequeme Sessel aufgestellt, von überall hergeholt, stabile Tische anstelle der Einfußtische herangebracht und die Theke zu einer amerikanischen Bar umgebaut. In die alten Regale aus wertvollem Tropenholz drängten sich Schnapsflaschen und Gläser, ein merkwürdiger Schönheitssinn hängte Filmplakate und Mädchenfiguren wie sie uns wenig bekannt oder auch Reklamen irgendwelchen Inhaltes. Beim gelegentlichen Hineinsehen an einem Vormittag entsinne mich der eindrucksvollen Aufforderung eines ziegenbärtigen Yankees im bunten Rock mit einem hohen Zylinder, der den ausgestreckten Zeigefinger auf mich gerichtet hatte und mir mitteilte: Uncle Sam needs you! Womit ich allerdings nicht gemeint sein konnte, flüchtete aber dennoch, ohne den Sinn dieses Dinges zu verstehen.
Der Klub war Tag und Nacht geöffnet. Vor dem Café patrouillierten einige kräftige junge Lümmel in sauberen Uniformen, mit weißen Helmen und Handschuhen, ihre Military Police, und hinderten jeden, der keinen Zutritt hatte, daran die Schwelle dieses Paradieses zu übertreten. In den kurzen Ruhestunden gegen Morgen nach durchsoffener Nacht räumten und wischten einige deutsche Domestiken den verschmutzten Laden auf, bis mit den ersten anfahrenden Jeeps der Betrieb wieder losging. Es heulten die Saxofone, dröhnten die Bässe, erschütterte mit rhythmischem Lärm das Schlagzeug Haus und Straße, und dies als eine Art Jazz zu erkennen, fiel uns jungen Menschen nunmehr leicht. Jan zumal erinnerte an den Gast des Kriegsfriedensjahres, der auf dem Stutzflügel des Cafés einen gleichen Klang erzeugt hatte, und ich konnte meine Erfahrungen aus Mamas Plattensammlung beisteuern.
So lebten denn bei uns viele Leute, meine Großmutter, ich und Helene, die beiden Schramms, die als Dauerbewohner hinzugekommen waren die drei exmittierten Links’, Vater, Mutter und Jan. Zuletzt bat auch noch Herr Oberstudienrat Kniri um Asyl, weil in seinem Haus die amerikanische Kommandantur eingerichtet werden musste und ihm die Benutzung seiner Wohnung verboten wurde.
Wir hatten wie unter einer schützenden Glocke gelebt, in Ruhe und in Frieden; was hier über das Städtchen hereingebrochen, das war gänzlich anderer Lebensart. Und die Träger dieser groben Kultur legten eine wachsende Arroganz an den Tag. Obschon mir unser Haus immer als groß erschienen war, wurde es nun doch eng. Hochwürden Fabian, seines Zeichens Diakon, versorgte in den Räumlichkeiten, die zu seiner Kirche gehörten, Flüchtlinge und Obdachlose, Kranke und Sterbende mit Medikamenten, Lebensmitteln und Kleidung. Nach einer kurzen Inhaftierung, nach Verhören und einer Registrierung, sowie der Androhung eines juristischen Verfahrens wegen seiner Nazivergangenheit, erschien Großvater müde und abgeschlagen wieder bei uns und vergrößerte unsere marode Truppe. Karl war übrigens von Herrn Oberstudienrat erst einmal ins Bayrische geschickt worden, und wir wussten nicht, wo er sich aufhielt und wie es ihm ergangen sein mochte. In unserer Runde von Kriegsverlierern fehlte noch immer meine arme Mama, in Weimar gefangen genommen, in ein Internierungslager geschleppt, hatte sie uns immerhin Nachricht gegeben, noch am Leben zu sein und hoffe, nach einer Überprüfung bald entlassen zu werden.
Die provisorische Stadtverwaltung sollte die Versorgung wieder in Gang bringen, Vorräte beschlagnahmen, soweit noch vorhanden und sicherstellen. In der Tat schützte meinen Meister Fabian sein geistliches Amt, die Besatzungsoffiziere waren überraschenderweise in der Regel Christen, auch die Schwarzen, wenn auch jeder nach seiner Art. Bei den Messen, die mein Vater Fabian regelmäßig und häufiger als gewöhnlich hielt, kamen sie, um zu schauen und hielten unsere römisch katholische Liturgie ohne Zweifel für Götzendienst einer ihnen unbekannten Sekte oder Ketzerei.
Mein lieber Wahlvater revanchierte sich für die Gastfreundschaft, die ihm Großmutter stets gewährt hatte, in dem er aus seinem Kontingent Lebensmittel für uns abzweigte, das heißt, seinen Schutzbefohlenen, den Flüchtlingen entzog. In dem Chaos nach einer Ordnung zu suchen, das konnte mir nicht einfallen. Indessen gab es für uns Jungen manches Lehrreiche zu beobachten: Vor dem Klub für amerikanische Offiziere stellten sich alsbald eine Menge anreisender Huren oder Nutten ein, die Tripper und andere Seuchen verbreiteten; so belehrte uns Herr Links, über die Gefahren freier Liebe warnend genug. Schwerlich konnten wir uns darunter etwas vorstellen; uns, das ist sein