Tonstörungen. Wilhelm Koch-Bode

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Tonstörungen - Wilhelm Koch-Bode

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geweckt, später kämen sie dann für die Singenden als instrumentale Begleitung zum Einsatz, erklärte er den Eltern. Parallel zu Fräulein Hartmanns Singstunden bekämen diese unmusikalischen Vier von ihm qualifizierten Instrumentalunterricht. Nach seiner Erfahrung sei dieser Ansatz durchaus vielversprechend. Nun, die Melodien blieben kläglich. Nach kurzer Zeit stellte der Mann seine Anstrengungen wieder ein. Mit denen habe es keinen Zweck, hieß es.

      Zwar hatte Rudolf immer schon ein mulmiges Gefühl gehabt, wenn er irgendwo was sagen sollte und Leute ihn anguckten, aber das war irgendwie nur Befangenheit gewesen. Die überwand er einigermaßen; was nötig war, hatte er eigentlich immer geschafft. Kam nur als verschlossener Typ rüber, der nicht viel von sich gibt. Jemand von stiller, zurückhaltender Art, wohl ein bisschen verschüchtert, verklemmt oder sowas oder nur ’n wortkarger, ungeselliger Typ. Da, wo es drauf ankommt, sich lautstark zur Geltung zu bringen, war er damit natürlich nicht präsent. So einer kriegt, wenn überhaupt jemand mal Notiz von ihm nimmt, Bemerkungen zu hören wie: Stille Wasser sind tief. Das Schweigen im Walde. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Das war nicht nett, sondern ironisch gemeint. Und weiter: Wer schweigt, hat was zu verbergen. Schweigen ist auch eine Antwort. Und weil man in Englisch ja auch Hamlet gelesen hatte: The rest is silence.

      Rudi empfand seine stille Art ja selber als Manko, konnte aber nicht aus seiner Haut. Den nötigsten Austausch in kleiner Runde bewältigte er zwar, aber eigentlich war es ihm fast überall unangenehm, irgendwas von sich zu geben. Zu tief saß die Einbildung, dass man seine Stimme unschön, die Betonung unpassend, das Gesagte unwichtig, seine Meinung überflüssig, ihn selber doof finden könnte. Der Junge muss mehr aus sich herausgehen, hieß es in der Schule, wenn Herr Schubert dort Rücksprache hielt. Den verstimmte die Auskunft jedes Mal aufs Neue, aber was blieb ihm anderes übrig, als die Beanstandung an ihn weiterzugeben? Jaja, versprach Rudi dann, ich nehm‘ mir das vor. Aus sich herausgehen, dachte er dann - was für ‘ne dämliche Vorschrift. Natürlich wusste er, was die Leute damit meinten. Aber auf Kommando loszulegen und irgendetwas zum Besten zu geben, war bei ihm nun mal nicht drin. Was fanden eigentlich alle so toll daran? Warum war Schweigsamkeit doof? Was war daran so absonderlich, dass man ihm extra Namen gab? Der Maulfaule, der Zugeknöpfte, der Einsilbige, der Verstockte, der stumme Fisch zum Beispiel. Naja, so war es nun mal da draußen. Und jetzt dieser Knacks, der sein Stillsein sogar noch toppte. So zu flüstern, war ja auffälliger als gar nichts zu sagen.

      Wieso ihm solch ein Schalldämpfer im Hals saß, verstand Rudolf selber nicht. Durch das unpassende Flüstern war der Alltag nun noch mehr zur Tortur geworden. Keiner fragte nach, was mit ihm eigentlich los sei. Obwohl er sich wie ein lahm geprügelter winselnder Hund fühlte, sprach er mit niemandem darüber - zu blamabel das Gewisper, um es auch noch zu thematisieren. Er ging auch nicht davon aus, dass für sowas irgendeine Lösung auf der Hand lag; da blieb nur die Hoffnung, beim nächsten Mal - wie durch ein Wunder - stimmmächtig loslegen zu können. Der Schubert hat einfach ’n schwächliches Organ oder ’ne Meise oder beides, hieß es. Der redet so, wie wenn einer beim Gehen schleicht. Oder was zu verbergen hat. Wo flüstert man denn normalerweise so, hä? In der Totenhalle, im Beichtstuhl, bei einem Einbruch, im Kino. Und dann ja auch nur jemandem direkt ins Ohr und nicht, wenn es alle verstehen sollen. Benimmt sich wie ein Ohrenbläser, der Heimlichkeiten von sich gibt. Der soll sich einfach zusammenreißen und normal reden. Sowas kann man doch üben - wie Demosthenes etwa, mit Kieselsteinen im Mund oder so.

      Nun, zusammenreißen ging nicht und trainieren wie Demosthenes nützte auch nichts. Wenn Rudolf nämlich zu Hause allein was aufsagte, war alles okay. Und wenn er mit der U-Bahn rausfuhr und an einsamen Stellen in die Luft schrie, kam die Stimme ganz normal raus. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als für den Rest der Schulzeit mit der Zurschaustellung - besser gesagt: Zugehörbringung - seiner Flüsternummer über die Runden zu kommen. Sowas ließ sich ja auch nicht locker überspielen. Klar, dass er mitbekam, dass die anderen über ihn herzogen: verkorkster Typ … irgendwie einer mit Dachschaden. Natürlich gab es in der Schule Versuche, für ihn einen Spitznamen zu etablieren: Ghost whisperer, Super-quiet, Leisetreter, Piepmaus, Hauchfleck, Sendestörung, Pianissimo zum Beispiel. Kam ihm so etwas zu Ohren, reagierte er blitzschnell, wandte sich der Quelle zu und zischte: Sag das nie wieder. Es sei denn, du willst die Engel im Himmel singen hören. Diese Warnungen wirkten stets nachhaltig, - jedenfalls wagte niemand, sobald er in Hörweite war, ihn anders als Rudolf oder Schubert zu nennen.

      Trotzdem war es logisch, dass er über Abhilfe grübelte. Das Bild des Wisperers fand er natürlich erbärmlich und trachtete danach, dem zu entgehen. Die Schule einfach zu schwänzen, würde auffallen und wäre ja auch keine Dauerlösung. Klar, ab und zu eine Auszeit außerhalb der Ferien, ein paar Tage schon vormittags entspannt durch die Stadt schlendern, zwischendurch Ausruhen bei zwei oder drei Programmdurchgängen im aki-Kino am Hauptbahnhof. Da konnte man für fünfzig Pfennig solange sitzen bleiben konnte, wie man wollte. Er ging dann an einem Tag ganz früh zwei Straßen weiter zum Praktischen Arzt, einem Doktor Hase. Der gab ihm immer ein Attest für drei Tage Kranksein mit, wenn er Glück hatte sogar für eine Woche. Für die Schule zählte das ebenso viel, als hätte Herr Schubert, der von Rudis Trickserei nichts mitbekam, eine Entschuldigung geschrieben. Doktor Hase stellte nicht infrage, dass Rudi im Kopf, gleich vorn, Druck verspürte und sich irgendwie benommen fühlte. Zu benommen jedenfalls, um den Lärmpegel in der Schule zu ertragen oder sich auch nur halbwegs konzentrieren zu können. „Ach, hat es dich mal wieder erwischt, Rudi“, stellte Doktor Hase fest. „Na ja, Nase krumm, Rudi. Du weißt ja, was das bedeutet: Luft kommt schlecht rein, Rotz schlecht raus. Der fängt da drinnen an zu gären, haha. Tja, das ist deine Achillesferse, Rudi, wenn dir das was sagt. So, ein Wisch für die Schule, ein Zettel für die Apotheke. Und nicht vergessen - immer schön die Mütze aufsetzen!“

      Zwischendurch spielte er auch mit dem Gedanken, einfach abzuhauen. Nur, wo sollte ein Vierzehnjähriger hin? Und selbst, wenn er ein Ziel hätte - wie sollte er hinkommen und sich an einem unvertrauten Ort durchschlagen? Würde ihn die Fremdenlegion nehmen? Er hatte gelesen, dass man dort unauffindbar war und einen neuen Namen kriegen konnte. Aber wie landete man da? Wäre es leichter, in ein Kloster zu gehen? Bestimmt nicht ohne Einverständnis der Eltern. Auch war er ja evangelisch und außerdem vom Vater beeinflusst, der ihn auf die Frage, warum manche Leute in die Kirche gehen, darüber belehrt hatte, dass es so etwas wie eine höhere Macht, einen Gott etwa, nicht gebe. Religion beruhe auf frommen Geschichten, die für die Menschen früher nützlich waren, um die Welt zu verstehen. Heute sei das alles überholt, weil alle Rätsel und Fragen, die die Menschen beschäftigten, naturwissenschaftlich erklärbar seien. Beten und sowas sei völlig sinnlos. Also konnte auch er sich nicht vorstellen, irgendetwas anzubeten.

      Obwohl Rudi im Konfirmandenunterricht schon gelernt hatte, wie es geht zu beten, glaubte er dem Vater mehr als dem Pastor. Deshalb kam das Kloster natürlich nicht ernsthaft infrage. Aber könnte er vielleicht auf ein Schiff? Als Schiffsjunge? Ja, bestimmt, aber auch nicht ohne Zustimmung der Eltern. Oder sich einem Zirkus anschließen? Durch Sport war er supergelenkig. Ob das genug war, um Akrobat zu werden? Reden müsste er jedenfalls nicht - es sei denn, er wollte Clown werden. Aber welcher Zirkus würde einen Vierzehnjährigen aufnehmen und ausbilden? Er hatte keine Ahnung, wie sich sowas bewerkstelligen ließ. Natürlich könnte er bei nächster Gelegenheit, wenn auf dem Heilgengeistfeld mal wieder Zirkus wäre, an der Kasse fragen, aber spätestens der Direktor würde ja wissen wollen, was denn überhaupt seine Eltern von der Idee hielten.

      Unter Indianern zu leben - das konnte er sich vorstellen. Er mochte die Lederstrumpf-Geschichten. Nur - wie sollte er nach Amerika kommen? Als blinder Passagier auf einem Schiff? Sich dann allein in der Wildnis durchschlagen? In Wäldern hausen? Als Hobo, Tramp oder sowas durchs Land ziehen? Darüber hatte er spannende Geschichten gelesen. Und am Ende dabei draufzugehen, wäre vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Andererseits erhoffte er sich vom Leben irgendwie doch noch was. Wenn Schule nicht wäre, könnte es vielleicht sogar ganz passabel sein. Aber das Wichtigste: Wollte er seinen Eltern das antun? Von zu Hause einfach so durchbrennen? Ihnen hatte er ja eigentlich nichts vorzuwerfen.

      Mit den Eltern über seine Nöte zu reden,

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