Höllische Tage. Carlo Fehn

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Höllische Tage - Carlo Fehn

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eine Stunde weg. Ich hatte ganz den Arzttermin heute vergessen. Ich lass’ mich mal wieder durchchecken, kann ja nicht verkehrt sein bei dem Wetter. Ich mache danach gleich Mittagspause. Also, bis dann."

      Cajo Hermann und die Praktikantin schauten etwas überrascht, auch wenn des Assistenten zustimmendes "Ja, klar, ist okay" keineswegs so klang. Pytlik wusste, dass er den Beiden mit seiner Abwesenheit den Start ins Wochenende noch angenehmer machte.

      ***

      Er ging zu Fuß. Der Weg zum Friedhof - keine zweihundert Meter entfernt - wurde lang. Er dachte nach. Warum sollte er an das Grab seiner Mutter gehen? Was wusste dieser Unbekannte? Pytlik hatte schon länger beabsichtigt, die letzte Ruhestätte seiner Eltern wieder einmal zu besuchen. Jetzt, wo er dem versteckten Plätzchen im nordöstlichen Teil des Friedhofs näher kam, fragte er sich allerdings, wie das Grab mittlerweile wohl aussehen würde. Eine ehemalige Nachbarin seiner Eltern hatte sich nach dem Tod der Mutter 2001 angeboten, die Pflege zu übernehmen. Als Pytlik vor dem schlichten Marmorgrabstein stand und auf die Bepflanzung blickte, wunderte er sich allerdings, ob diese Nachbarin überhaupt noch lebte. Alles war vertrocknet, die letzten Blumen lagen wie Heu auf der Erde, die zementartig und mit Rissen durchzogen nach Feuchtigkeit schrie. Die Situation überforderte den Hauptkommissar, noch dazu, da an Nachbargräbern drei Frauen zugange waren, denen die ungepflegte Parzelle ein Dorn im Auge zu sein schien. Mit abschätzigen Blicken taten sie ihr Werk. Pytlik orientierte sich, sah in einiger Entfernung die Wasserstelle mit den Gießkannen und entschloss sich - auch wenn das jetzt nach übertriebenem Aktionismus aussehen mochte - den unschönen Anblick etwas zu mildern.

      Er hatte sich noch keine fünf Meter vom Grab entfernt, als er stutzte. Hatte er das gerade wirklich gesehen? Das konnte nicht wahr sein! Er hielt inne, drehte sich langsam um und blickte - Schritt für Schritt näherkommend und schließlich direkt vor dem Grabstein kniend - auf die Inschriften, die dort zu sehen waren.

      Neben dem unversehrten Namen seiner Mutter Trude war der seines Vaters Erich mit tiefen Kratzern, ähnlich einem Kreuz auf einem Lottoschein, durchgestrichen. Und als ob das noch nicht genug gewesen wäre - Pytlik musste schlucken, er spürte, wie sein Hals ganz trocken wurde -, waren rechts daneben Pytliks Vor- und Zuname, sein Geburtsdatum sowie mit einem Kreuz davor versehen "11.08.2003" eingraviert worden.

      Pytlik hatte nun unmissverständlich kapiert, dass ihm jemand nach dem Leben trachtete. Aber wer? Und warum? Er fuhr mit seinem Zeigefinger über den beschädigten Grabstein und fragte sich, was seine Mutter damit zu tun hatte, warum ihr Name unversehrt war und der seines Vaters durch seinen eigenen ersetzt werden sollte. Er grübelte, machte sich gleichzeitig aber daran, Wasser zu holen. Die anwesenden Frauen hatten auch gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte. Oder hatten sie etwa schon von der Schändung gewusst, womöglich sogar jemanden gesehen? Nein! Dann wären sie bestimmt schon auf ihn zugekommen, um ihm Beobachtungen mitzuteilen. Er dachte an seine Mutter, die 2001 nach einer Lungenentzündung im Anschluss an einen Sturz gestorben war. Pytliks Vater war ein Patriarch, der gegenüber seiner Frau und den Kindern den autoritären Vater gab, ohne sich wirklich intensiv mit der Erziehung auseinanderzusetzen. Erfolgreich im Beruf, sagte man ihm immer wieder Affären und Seitensprünge nach, die auch an seiner Frau und dem Verhältnis zu den Kindern nicht spurlos vorübergegangen waren. In den letzten Jahren vor seinem Tod 1996, hatten die drei Söhne kaum noch Kontakt zu ihm gehabt.

      Was haben meine Eltern damit zu tun, dachte Pytlik nach, und in ihm erwachte nun der Ermittler. Er hatte die Herausforderung akzeptiert und überlegte, was er tun würde. Er konnte nur auf eine neue Nachricht des Unbekannten warten, den er ab sofort den "Feind" nennen wollte. An seinem Entschluss, das Ganze als Privatangelegenheit zu betrachten, hielt er fest.

      Er drückte eine zweite Gießkanne kräftig gegen die Oberfläche des Wasserbehälters und ließ sie volllaufen, nachdem er die erste bereits vor sich auf den Boden gestellt hatte. Wie warm mochte es mittlerweile schon wieder sein? Den linken Arm steckte er bis zur Ellenbeuge ebenfalls ins kühle Nass, um sich etwas Erfrischung zu verschaffen. Von dort, wo er auf dem Rand des Beckens saß, konnte er über eine Hecke hinweg zu einer kleinen Kapelle schauen. Irgendwas stimmte nicht, passte nicht ins Bild. Moment, dachte Pytlik, schärfte erst jetzt seinen Blick und fokussierte nun ganz deutlich eine mit schwarzem Kapuzen-Shirt und Sonnenbrille gekleidete Person, von der er nur Oberkörper und Kopf sehen konnte. Die für die Verhältnisse viel zu warm angezogene Gestalt stand einige Meter hinter der Kapelle frontal vor einem Grab, allem Anschein nach in andächtigem Gebet. Allerdings so, dass Pytlik nicht ausschließen konnte, dass dieser Mann oder diese Frau gleichzeitig durch die dunklen Gläser auch ihn beobachten würde. Er wollte es herausfinden und hatte bei dem Gedanken seinen Blick schon wieder entfernt, konnte jedoch im Augenwinkel sehen, dass der Friedhofsbesucher noch verharrte.

      Pytlik ließ eine Gießkanne stehen und machte sich auf den Rückweg zum Grab. Allerdings ging er nicht die gleiche Route, sondern wählte den längeren Weg an der Kapelle vorbei, weil er somit der Person möglichst nahe kommen wollte. Als er sich dem hageren Wesen bis auf wenige Meter genähert hatte, kam es im Handumdrehen zu einer Kettenreaktion, von der sich Pytlik später gewünscht hätte, dass sie nicht passiert wäre.

      Plötzlich hatten sich die Blicke der Beiden getroffen. Pytlik in der Überzeugung, es handele sich um den unbekannten Briefeschreiber, der schwarz vermummte junge Mann - das konnte Pytlik nun feststellen - in augenscheinlicher Angst vor dem Polizisten. Der Junge nahm die Hände aus den Seitentaschen des Pullovers und begann zu rennen, Pytlik hinterher, fast über die Gießkanne stolpernd. Der Hauptkommissar konnte gut mithalten, verlor keinen Boden auf dem staubigen Kies. Nur wenige Meter hinter dem Unbekannten sah er, dass dieser an einer Wegkreuzung ansetzte, links abzubiegen. Pytlik antizipierte und nahm eine Abkürzung, wobei er rücksichtslos über einige Gräber trampelte und schließlich mit einem mutigen Hechtsprung den Davoneilenden mit beiden Händen an der Hüfte zu packen bekam. Nach kurzem, beiderseitigem Schreien wegen des Aufpralls auf dem Boden, gelang es dem Polizisten, den Kontrahenten mit einem geübten Griff handlungsunfähig zu machen. Pytliks Adrenalinspiegel war stark angestiegen, er drehte den Körper des Unterlegenen mit einem kraftvollen Schwung auf den Rücken und bemerkte erst jetzt, als er ihm die Sonnenbrille aus dem Gesicht und die Kapuze vom Kopf riss, dass der junge Mann schrie wie am Spieß.

      "Aaaaaaaah! Aaaaaaaaaaah! Was wollen Sie, lassen Sie mich los! Aaaaaaah!"

      Pytlik hatte bereits losgelassen und sich mit einem Ausdruck kaum zu verhehlenden Ekels abgewandt. Er fühlte sich schäbig. Was hatte er da getan? Der Junge, der sich vor ihm im Staub wälzte und krümmte, war David Spath. Sein Vater und er hatten vor einigen Monaten einen folgenschweren Autounfall. Der Sohn hatte am Steuer gesessen und die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Als der Wagen gegen einen Betonpfeiler prallte, fing er Feuer. David konnte mit schweren Verbrennungen gerettet werden, für den Vater kam jede Hilfe zu spät. Justus Büttner hatte Pytlik damals ausführlich von dem Drama erzählt.

      Der Junge war mit Narben übersät, im Gesicht hatte er viele nässende Wunden, die jetzt mit Staub verschmutzt waren und vereinzelt zu bluten begannen. Pytlik saß auf dem groben Steinuntergrund, unfähig etwas zu sagen. Die Schmerzen David Spaths schienen nachzulassen. Pytlik wusste nun, warum der Junge so vermummt war - es war nur zu seinem Schutz. Jeder Sonnenstrahl musste eine enorme Belastung für ihn sein. Dennoch konnte er sich nicht erklären, warum er davongelaufen war, wenn er doch nichts angestellt hatte.

      "Na schön, wer hat mich verpfiffen?"

      Pytlik war überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken. Er forschte nach, ohne zu wissen, worum es ging.

      "Ist das wichtig?", gab er nur zurück und bekundete somit, dass er Bescheid wusste, was auch immer nun kommen mochte.

      "Ich brauche Wasser", stöhnte Davis Spath leise, als er sich wieder aufgestellt hatte und seine Klamotten vorsichtig vom gröbsten Staub und Dreck befreite. Auf dem Weg zur Wasserstelle schilderte er Pytlik, dass es am Vorabend eine Schlägerei

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