Der mündige Trinker. Peter Sadowski
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Prof. Dr. Michael Klein
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie
Leiter der Kompetenzplattform Suchtforschung an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen (KFH NW), Köln
Vorwort
Mit dieser Auflage soll die digitale Nutzbarkeit des Textes und der Materialien verbessert werden. Wer mit einem Smartphone oder einem anderen digitalen Lesegerät kurzfristig Anregungen finden will, soll auf diese Weise leichteren Zugang finden.
Die Materialien sind darauf gerichtet, Informationen für die besonderen Umstände eines jeden Einzelfalles zusammenzustellen. Die Informationen sind zweckgerichtet. Sie dienen dem Aufbau bzw. dem Stabilisieren von Änderungsmotivation. Deshalb ist die Formulierung vom Motivierenden Informieren passend.
Mithilfe dieser Informationen sollen Klienten befähigt werden, personentypische Bedingungen bei sich selbst zu beobachten und diese Bedingungen kritisch zu bewerten. Klienten werden dadurch aus der Position entlastet, von außen Belehrungen über ihren Zustand ertragen zu müssen. Die Bereitschaft zur Reaktanz kann in dem gleichen Maße sinken, wie die Bereitschaft zum gemeinsamen Bearbeiten der Klientenprobleme steigt.
Dadurch wird Kapazität gewonnen für das Anstreben individueller Therapieziele (statt Energien von Therapeuten und Klienten für das Bearbeiten von Widerstand aufzuwenden).
Die Materialien sind zugleich geeignet, Klienten einen Anhalt zu bieten für das selbst verantwortete Aufrechterhalten desjenigen Erlebens und Verhaltens, dass die individuellen Chancen auf das Mehren von Zufriedenheit und Glück verbessern soll.
Erarbeitet wurden die Veränderungen in der professionellen Behandlung gemeinsam, nach Ende der Behandlung organisieren Klienten das weitere Leben eigenverantwortlich.
Der „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich ist mir für diese Eigenverantwortlichkeit seit langem ein Symbol: im Angesicht der Welt trifft der Einzelne Entscheidungen - klein und einsam und ohne die Möglichkeit, die notwendigen Entscheidungen zu delegieren oder den Folgen der Entscheidungen zu entgehen. In der Psychotherapie ergibt sich immer wieder Gelegenheit, auf weitere Aspekte des Lebens hinzuweisen: es ist bunt und schön und prall!
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern und Nutzern viel Glück und Erfolg
Peter Sadowski, im Februar 2013
1
Einleitung
Im Folgenden wird beispielhaft das Vorgehen in der stationären Rehabilitation wegen Alkoholabhängigkeit beschrieben, wie es in der Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation von 1997 bis 2007 (in der Johanna-Odebrecht-Stiftung in Greifswald) praktiziert wurde. Es handelt sich um eine kleine Einrichtung mit 22 Betten.
Damit der Unterschied zwischen beschriebenem Konzept und gelebter Wirklichkeit in der Einrichtung möglichst gering bleibt, wurden viele Teile des Konzeptes für das Qualitätsmanagement-Handbuch der Einrichtung in die Form von Flussdiagrammen gebracht. Beschrieben wird hier das Vorgehen innerhalb des stationären Settings; die stationäre Behandlungsphase wird als Teil einer Kombi-Therapie gesehen.
Innerhalb der stationären Rehabilitationsphase sollen
vom Patienten1 eindeutige Entscheidungen zum Behandlungsauftrag und zur Störungsbewältigung getroffen werden (Abhängigkeitsakzeptanz und unbedingte Abstinenzentscheidung)
grundlegende Selbstmanagement-Kompetenzen vermittelt werden. Dazu gehören die Fähigkeiten, sich selbst und soziale Situationen zu beobachten, sich selbst und soziale Situationen zu bewerten, die Ergebnisse des eigenen Verhaltens zu bewerten und sich im Idealfall selbst zu verstärken.
Individuelle funktionale Zusammenhänge zwischen Störungsentwicklung und intrapersonaler Variablen sollen gemeinsam mit den Patienten identifiziert werden.
Gemeinsam mit dem einzelnen Patienten sollen Alternativen für die Art des Erlebens und Verhaltens erarbeitet werden, die bis dahin die Abhängigkeitsentwicklung gefördert hatten. Innerhalb der stationären Rehabilitationsphase soll begonnen werden, diese individuellen Therapieziele anzustreben. Diese Entwicklung soll in einer ambulanten Rehabilitationsphase fortgeführt werden.
Selbstmanagement-Therapie wird in diesem Zusammenhang als eine psychotherapeutische Basisversorgung angesehen, mit deren Hilfe der einzelne Patient an das Identifizieren von individuellen Therapiezielen herangeführt wird und mit dessen Hilfe für eine weitere eigenverantwortliche Entwicklung über das Ende der professionellen psychotherapeutischen Versorgung hinaus motiviert wird (fortlaufendes Selbstmanagement). Die individuellen Therapieziele werden angestrebt mit Hilfe derjenigen psychotherapeutischen Techniken, die wissenschaftlich begründet sind und die dem jeweiligen Therapeuten zur Verfügung stehen (in der Regel verhaltenstherapeutische Standardmethoden). Ein Verbessern des Zugangs zu den emotionalen Anteilen der Person wird ebenfalls im Rahmen von individuellen Therapieziele erarbeitet; ebenso natürlich der Umgang mit Gefühlen, soweit sie dem Alkoholkonsum vorausliefen (siehe z.B. „Verhaltensanalyse“, Kapitel 6.4.6.2). Natürlich können Praktiker gute Gründe dafür finden, den Umgang mit Gefühlen zu allgemeinen Therapiezielen zu erklären.
Aus der Sicht von Selbstregulation (siehe Kapitel 3.3 „Unterschiedliche Intensitäten der Selbststeuerung: Selbstkontrolle und Selbstregulation“) heraus ist es sogar ausgesprochen wünschenswert, dass der Einzelne nicht nur seinen Verstand einsetzt, um Abweichungen oder Übereinstimmungen mit dem gewählten Weg zum identifizieren. Bei dem hier beschriebenen Vorgehen liegt der Schwerpunkt der therapeutischen Bemühungen auf dem Vorbereiten von Entscheidungen, die der Patient treffen sollte und auf dem Motivieren zu fortlaufendem Selbstmanagement.
Die Vernetzung der therapeutischen Anstrengungen zwischen der stationären und der ambulanten Rehabilitationsphase werden ebenfalls aus der Sicht der stationären Behandlung beschrieben.
1.1 Behandlungsbedürftigkeit und wirtschaftliche Ressourcen
Dem Vorgehen zu Grunde liegen Überlegungen, wie der Nutzen für Patienten unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation des Gesundheitswesens und der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation zu optimieren sei. Die Gesundheitssysteme in Deutschland stehen unter dem Druck, Kosten einzusparen. Im europäischen Vergleich wird in Deutschland ein hoher Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes (10,8%) eingesetzt, um durchschnittliche Ergebnisse zu erzielen. Andere Länder, z.B. Finnland, erreichen solche Ergebnisse mit einem Einsatz von weniger als acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes (Huber & Langbein, 2004). Im Zuge der Anpassung innereuropäischer Lebensbedingungen ist zu erwarten, dass sich das Gefälle zwischen den einzelnen Ländern verringern wird. Günstige Veränderungen der konjunkturellen Situation würden diesen Prozess höchstens verzögern.
Das Statistische Bundesamt hat im Juli 2004 veröffentlicht, dass der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1992 und 2002 von 10,1 % auf 11,1 % gestiegen sei (Statistisches Bundesamt, 2004)2. In dieser Veröffentlichung wurde auch der Druck illustriert, der sich aus der wandelnden Alters-Zusammensetzung der Gesellschaft ergeben wird: Knapp 43 % der Krankheitskosten würden auf die rund 17 % der Bevölkerung entfallen, die über 65 Jahre alt sind; bis zum Jahr 2050 sei eine Verdoppelung des Anteils der über 65Jährigen