Plätzchenduft und Tannengrün. Claus Beese (Hrsg.)

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Plätzchenduft und Tannengrün - Claus Beese (Hrsg.)

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Der nächste auf seiner Liste war Paul. ‚Sankt-Vincent-Heim‘ hatte in Schönschrift auf dem Brief gestanden, der an ihn adressiert gewesen war. Das war selten geworden; inzwischen schrieben ihm die Menschen mit Computern oder Schreibmaschinen. Oder sie legten ihren Wunschzettel auf das Fensterbrett – falls sie ihn nicht gleich ihren Eltern, Ehegatten oder sonstigen Verwandten gaben, damit die wussten, was sie im nächsten Juwelier-, Spiele- oder Geschenkladen einzukaufen hatten.

      „Lieber Weihnachtsmann“, hatte in dem Brief von Paul gestanden, „ich wünsche mir so sehr, dass Heinrich wieder eine gute Arbeit findet, damit Ulrike nicht mehr arbeiten muss und wieder mehr Zeit für mich hat. Und dass ich dann vielleicht wieder nach Hause kann. Ich vermisse die beiden so sehr. Hier bin ich ganz allein, obwohl ganz viele andere auch hier sind. Aber die haben meistens keine Zeit für mich. Die meiste Zeit bin ich alleine in meinem Zimmer und nach draußen darf ich nur, wenn eine Schwester dabei ist. Aber die müssen sich ja noch um so viele andere kümmern. Bitte, bitte! Du kannst bestimmt eine Arbeit für Heinrich finden. Und wenn das nicht geht, könntest du dann vielleicht machen, dass sie mich öfters besuchen kommen?

       Viele Grüße an das Christkind. Dein Paul.“

      Der Brief war ordentlich und ohne Fehler geschrieben. Entweder ist er ein kluges Bürschchen, oder es hat ihm einer geholfen, dachte er. Nur die Wasserflecke unter „Dein Paul“ passten nicht dazu.

      „Tränen“, dachte der alte Mann. Er hatte lange gegrübelt, als er den Brief gelesen hatte. Nein, ein Paul aus einem ‚Sankt-Vincent-Heim‘, war ihm nicht bekannt. Er hatte sich auch die Briefe der letzten Jahre angeschaut. Da war keiner von dem kleinen Paul dabei. Es schien also ein neuer „Kunde“ zu sein. Da musste er sich besondere Mühe geben.

      Das ‚Sankt-Vincent-Heim‘ lag abseits der kleinen Stadt. Die meisten Fenster waren dunkel; nur im Treppenhaus brannte Licht. Es war wohl nur eine kurze Weihnachtsfeier gewesen und die Kinder lagen bestimmt schon in ihren Betten. Eigentlich schade, aber es erleichterte ihm seine Aufgabe, ungesehen dort hinein zu kommen. Ach Quatsch – sehen konnten ihn ja doch nur jene, die auch an ihn glaubten. Und außer von dem kleinen Paul hatte er keinen Brief oder Wunschzettel erhalten.

      Entgegen der weit verbreiteten Meinung, er müsste durch den Schornstein rutschen, um in ein Haus zu kommen, hatte er das nicht nötig. Geschlossene Türen gab es für ihn nur dort, wo er nicht erwünscht war. Und so spazierte er durch die große Eingangstür, die sich bereitwillig vor ihm öffnete, stiefelte an der verglasten Empfangsloge vorbei, in der eine ältere Dame in einem Modemagazin blätterte und stieg unbemerkt die breite Treppe hinauf. Das war auch eines der Dinge, die sich die jungen Studenten, die ihn aus dieser Welt heraus gerechnet hatten, nicht erklären konnten, dachte er. Er fand seinen Weg ohne neumodische Navigationsgeräte oder Wegbeschreibungen. Sein „Navi“ – wie sie es nannten – war sein Herz, sein Gespür und sein Wunsch, die Menschen an diesem Tag glücklich zu machen. Nun, besser wäre es noch, sie für längere Zeit zu beglücken. Aber das gelang nicht immer. Die Menschen standen ihrem Glück oftmals selbst im Wege.

      Oben begegnete ihm eine ältere Dame im weißen Kittel, die mit ärgerlichem Gesicht und einer Garnitur frischer Bettwäsche an ihm vorbei eilte, ohne ihn auch nur mit einem Blick zu bedenken. Dabei war er ein stattlicher Mann und in seinem rotem Mantel, seinem langen, weißen Bart und dem großen Sack über seiner Schulter gewiss ein ungewöhnlicher Anblick. Schon wieder eine, die nicht an ihn glaubte.

      Grummelnd verschwand die Weißbekittelte in einem der Zimmer. Da war wohl einem der Kleinen ein Unglück passiert. Eigentlich kein Grund, mit so bösem Gesicht durch die Gänge zu streifen, dachte er. Wem war das als Kind nicht passiert? Außerdem war Weihnachten. Das Fest der Freude. Aber hier in diesem „Heim“ war wenig davon zu spüren. Vielleicht – ja, vielleicht müsste er hier öfters einmal vorbeischauen. Und wenn er dann doch durch den Schornstein rutschen musste, weil er „unerwünscht“ war: nun, dann müsste er es eben tun. Da hätten die jungen Herren Studenten dann wieder genügend zu berechnen, um die Unmöglichkeit zu beweisen, dass ein Mann mit seiner Statur durch die heutigen Schornsteine passte. Und ob er das schaffen würde.

      Er schritt weiter durch den langen Gang, der nur dürftig von einer Notbeleuchtung erhellt wurde. Er war fast da, das spürte er ganz deutlich. Dort, hinter der nächsten Tür, wartete der kleine Paul auf ihn, der wohl auch sein Kommen spürte, denn noch bevor er sie erreichte, wurde sie von innen geöffnet.

       Ein paar große, vor kindlicher Freude strahlende Augen starrten ihn an. Pauls Mund stand vor Staunen ein wenig offen, als er den Weihnachtsmann erblickte. Dann legte er schnell einen Zeigefinger vor die Lippen um ihm zu bedeuten, ja leise zu sein und winkte ihn aufgeregt in sein Zimmer.

      „Die Schwestern schimpfen bestimmt, wenn sie dich sehen“, flüsterte er. „Nach dem Zu-Bett-Gehen darf nämlich keiner mehr in die Zimmer kommen.“

      Hastig zog er die Tür hinter sich ins Schloss und strahlte den Weihnachtsmann wieder an.

      „Ich habe ganz fest daran geglaubt, dass du kommst“, wisperte er glücklich. „Ich bin extra wach geblieben. Und ich habe auch Milch und Kekse für dich. Die Milch ist aber noch vom Frühstück; abends bekommen wir keine mehr. Hoffentlich ist sie noch gut. Sie stand den ganzen Tag vor dem Fenster, damit sie nicht sauer wird.“ Er kicherte fröhlich. „Aber die Schwester ist ein bisschen sauer geworden als sie gemerkt hat, dass ein Milchkännchen fehlt. Aber morgen bringe ich es ja wieder zurück. Das ist doch nicht schlimm, oder?“

       Erwartungsvoll schaute er den Weihnachtsmann an, der sprachlos und mit vor Staunen offenem Mund vor ihm stand.

      „Ääh, nein. Ganz bestimmt nicht.“

       Mehr brachte er erst einmal nicht heraus.

      „Setz dich doch“, sagte Paul und deutete auf einen alten Sessel, der vor dem Fenster stand und ließ sich selbst auf sein Bett plumpsen. Doch sofort stand er wieder auf und eilte zu dem kleinen Fenster.

      „Die Milch“, haspelte er aufgeregt und holte ein Blechkännchen vom Fensterbrett. Dann huschte er zum Nachttisch und kramte eilig ein paar in eine Serviette gewickelte Kekse aus der Schublade. Aus einem kleinen Spind holte er eine Tasse und einen Teller, goss die Milch ein und drapierte die Kekse liebevoll auf dem Porzellan.

      „Die habe ich leider nicht selber gebacken. Das dürfen wir nicht, sagen die Schwestern. Die halten uns für zu dumm dafür. Dabei habe ich das früher immer selber gemacht. Mit Ulrike, als sie noch ein Kind war. Wir hatten ja nicht so viel Geld, um alles zu kaufen. Außerdem war es so viel schöner. Da haben wir uns schon wochenlang auf Weihnachten freuen können, wenn es im ganzen Haus nach frisch gebackenen Plätzchen und Keksen duftete. Meine Frau hatte es ja nicht so mit dem Backen und als sie gestorben war, da habe ich es gelernt. Und Ulrike hat es dann von mir gelernt. Sie backt die besten Plätzchen auf der ganzen Welt.“

      Paul schaute den Weihnachtsmann traurig an.

      „Naja, das ist nun leider alles nicht mehr möglich. Weißt du...“

       Die Freude verschwand aus seinem Gesicht und damit alles Kindliche, das vorher dort gewesen war. Da saß er nun vor ihm, ein alter Mann in einem alten Schlafanzug. In einem lieblosen Zimmer mit kleinem Fenster, ohne Hoffnung und so voller Traurigkeit, dass dem Weihnachtsmann das Herz weh tat. Der „kleine Paul“, der ihn vorhin so glücklich in sein Zimmer gewunken hatte, er war verschwunden. Und der alte Mann vor ihm erzählte traurig weiter:

      „Weißt du, manchmal bin ich wieder wie ein kleines Kind. Dann vergesse ich alles, weiß nicht mehr, wie ich heiße, wo ich wohne, wie ich meine Schuhe zubinden soll. Oder sogar, was Schuhe überhaupt sind. Und dann kann ich nicht alleine sein. Dann muss jemand auf mich aufpassen, sich um mich kümmern. Das hat Ulrike immer getan. Sie ist ein gutes Kind. Aber dann wurde Heinrich

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