Anika und die Quallenprinzessin. Hannelore Deinert
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Vor einem mehrstöckigen Hotel, das mit den blauweißgestreiften Markisen vor den schmalen Fenstern hübsch und einladend aussah, parkte Mama das Auto.
Papa stieg mit Opa aus. „Drückt die Daumen“, bat er, „dass noch Zimmer frei sind!“, dann verschwanden sie im Hotel. Die anderen stiegen auch aus und reckten und streckten ihre steifen Glieder, Flocki erleichterte sich an einem der Bäume, die am Straßenrand entlang standen, gegenüber verlief ein Kanal. Gerade überlegten sie, ob sie über die breite, aber wenig befahrene Straße laufen sollten, um die Schiffe auf dem Kanal zu betrachten, als Papa und Opa mit erleichterten Gesichtern zurückkamen.
„Alles klar“, meinten sie, „wir bekommen drei Zimmerchen unterm Dach. Die Fahrräder können wir in der Einfahrt des Hotels abstellen, aber abgeschlossen, hieß es, unabgeschlossene Fahrräder sind in Holland Allgemeingut!“
„Warum?“, fragte Anika arglos.
„Hm“, Papa machte ein komisch bedenkliches Gesicht. „Vermutlich leiht man sich hier im Vorbeigehen gern mal eins aus, beinah so wie bei uns.“
„Ach so. Und wann fahren wir ans Meer?“
Nachdem die Räder vom Autodach geholt, in die Einfahrt geschoben und gesichert worden waren, betraten sie mit ihren Satteltaschen den kleinen Eingangsbereich des Hotels.
„Macht euch auf was gefasst“, warnte Opa, „das Treppenhaus hier ist steil wie eine Hochgebirgswand!“
Es war wirklich eng, steil und gewunden, so wie fast alle Treppenhäuser in Holland, wie sich noch herausstellen sollte. Ins besonders die Stadthäuser waren platzsparend gebaut, denn in Holland war das Küstenland dem Meer abgetrotzt und deshalb besonders wertvoll. Aber davon wussten unsere Urlauber noch nichts, einen Fuß nach dem anderen setzend, zwängten sie sich mühsam mit ihren Satteltaschen zum dritten und letzten Stockwerk hinauf. „Eine Hühnerleiter ist die reinste Freitreppe dagegen“, stöhnte Opa, als er atemringend oben angekommen war, die anderen folgten schnaufend. Max fand die gewundene Treppenflucht toll, sowie die Zimmerchen, von denen sie dann Besitz nahmen. Sie hatten leicht schräge Wände mit anheimelnden Gauben-Fenstern und winzige Duschen. Nachdem jeder seinen Schafplatz gefunden und seine Satteltasche darauf abgelegt hatte, rieb sich Papa Steinert zufrieden die Hände.
„Soweit, so gut!“, meinte er. „Seid ihr noch fit genug, um in die Stadt zu fahren und etwas zu essen?“
„Klaro, keine Frage“, war die einmütige Antwort.
Es ging durch malerische Gässchen und über gebogene Brücken, in den Grachten lagen reich mit Blumen geschmückte Wohnschiffe. Sie schoben die Räder an schmucken Bürgerhäusern und schönen Kaufläden vorbei, bis sie zu einem großen, hübsch gepflasterten Platz kamen, der von einem prächtigen, spätgotischen Rathaus beherrscht wurde. Kleine Geschäfte, anheimelnde Café‘s und Lokale umgaben ihn und unter rundgeschnittenen Ahornkronen und Sonnenschirmen luden Tische und Stühle zum Verweilen und sich stärken ein. In der lauen, würzigen Abendluft, die das nahe Meer erahnen ließ, genossen viele Touristen und müde Wanderer die regionalen Gerichte, wie Krappen, Garnelen, würzigen Käse, Tomaten und knackige Salate.
Die Steinerts stellten ihre Räder ab, sicherten sie und nahmen vor einem kleinen Restaurant an einem noch unbesetzten Tisch Platz. Bald kam ein Kellner und nahm dienstbeflissenen ihre Bestellung auf.
Sie speisten gut und reichlich, sogar Max, der über einen enormen Appetit verfügte, wurde satt. Aber, das wurde Papa bei der Rechnung klar, allzu oft würde das Urlaubsbudget ein Essen wie dieses nicht hergeben.
Am nächsten Morgen wurde im Frühstücksraum des Hotels reichlich gefrühstückt, das brauchten sie auch, denn heute würden sie das erste Mal die Bekanntschaft mit der berüchtigten Küstenbriese machen. Danach schleppten sie die Satteltaschen durch die enge Treppenflucht hinunter und zurrte sie auf ihren Gepäckträgern fest, Mama dockte Flockis Korb an ihren Lenker. Während Papa die Hotelrechnung bezahlte und der Rest der Familie mit Flocki noch ein paar Schritte lief, brachte Opa das Auto auf die andere Kanalseite, wo es auf einen Parkplatz während der Tour stehen bleiben konnte, zu einem stattlichen Preis natürlich.
Dünen, Pferde, Meer und Quallen.
Trotz bewölktem Himmel und einer leichten Prise, die ihnen sanft entgegenwehte, sollte es keine Hürde sein, heute noch das Meer zu erreichen, es waren die ersten dreißig Kilometer von circa zweihundertvierzig bis Amsterdam. Eine Woche war dafür eingeplant, das sollte reichen.
Frisch und wohlgemut radelten sie auf gepflegten, gewundenen Fahrradwegen durch üppige Wiesen und an Pferdekoppeln und Bächen vorbei, die sie gelegentlich auf kleinen Holzbrücken oder Stegen überquerten. Zwischen Baumgruppen und sattem Grün leuchtete hie und da das Rot von Ziegeldächern hervor, ein malerisches Windrad grüßte aus der Ferne.
Es wurde hügelig, die ersten Ermattungserscheinungen stellten sich ein, Zeit für eine kleine Rast. Mama breitete am Fuße eines kleinen Hügels, im kargen Gras eine dünne Decke aus und die Familie ließ sich dankbar darauf nieder. Sie vertilgten die belegten Brote, die Äpfel und die Apfelsaftschorle, die ihnen der Wirt vorsorglich eingepackt hatte. Außer dem Säuseln des Windes und ihren eigenen Geräuschen war nichts zu hören.
„Wisst ihr was?“, meinte Papa, nachdem er den sandigen Boden und die langen Grasbüschel, die sich darauf behaupteten, untersucht hatte, „wir sitzen schon auf einer Düne. Die spärliche Vegetation verhindert, dass der Wind den Sand wegweht. Würde mich nicht wundern, wenn es hier Schafe oder sowas gäbe!“
Anika und Max wollten es erkunden, sie kletterten den runden Hügel hinauf, vielleicht, dachten sie, konnte man von oben das Meer schon sehen. Aber sie entdeckten etwas anderes.
„Kommt herauf!“, riefen sie zu den Großen hinunter. „Hier gibt es Ponys!“
Also stiegen die Eltern ihren Kindern nach, die Großeltern etwas bedächtiger, und sahen die zwei niedlichen Ponys, die seelenruhig an den langen, harten Grasbüscheln knapperten, auch. Anika, die Pferdenärrin, hatte sich ihnen schon genähert, Max hielt sich respektvoll zurück. Als die Ponys neugierig herbei trotteten, sie schienen etwas zu erwarten, bedauerte er, dass sie keine Äpfel mehr hatten, aber die Putzen mussten noch irgendwo sein. Er sprang den Hügel hinter und kam gleich darauf mit den Putzen zurück. Die Ponys sahen nett und harmlos aus, fand Max und bot ihnen mit ausgestrecktem Arm und flacher Hand die Putzen an. Da schnappte eins der Pferdchen zu, Max in den Bauch. Er schrie überrascht auf und rannte die Düne wieder hinunter.
Unten betrachtete er verdattert seinen Bauch, die Zähne des Ponys hatten rote Spuren hinterlassen. „Och“, meinte er verlegen, als man ihn bedauern wollte, „nicht schlimm, das T Shirt ist zum Glück heil geblieben.“ Das war wichtig, denn er hatte nur zwei dabei.
Dann mussten sie weiter. Der Wind wehte nun stärker, die hohen Gräser beugten sich ihnen entgegen, sie mussten kräftig in die Pedale treten. Mama Steinert dachte unwillkürlich an die Warnungen der Freunde, die vor dem unentwegt strammen Küstenwind gewarnt hatten.
Als sie später die Treppe eines Damms hinaufliefen, um Ausschau zu halten, da lag fast unerwartet ein endlos in dunstiger Ferne verlaufender, weißer Sandstrand vor ihnen, jenseits davon lag das blaue, weite Meer. Sanfte, Gischt gekrönte Wellen rauschten