Die gestohlene Jugend. Aaron Aalst

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Die gestohlene Jugend - Aaron Aalst

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du bist gut erzogen. Sei trotzdem nicht so förmlich. Lass das Sie sein, sag einfach Tante zu mir.«

      »Ja, Tante Siegrid. Es ist schön, hier zu sein.«

      »Danke Franz. Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen. Komm, wir müssen in diese Richtung gehen. Ich werde dir alles zeigen und dann wirst du dein Zimmer beziehen. Wenn du fertig bist, werden wir zu Abend essen. Sicherlich hast du großen Hunger, ein junger Kerl wie du! Morgen stelle ich dich in unserer Schule vor. Je eher umso besser. Wir haben hier nette Lehrer und brave Kinder. Es wird dir gefallen.«

      Die Begrüßung war herzlich und genauso wie mein Vater es mir noch zuhause ausgemalt hatte. In gewohnter Manier bestimmt die Tante gleich, wie es weitergehen würde. Es schien mir auch eine gewisse Verlegenheit in ihren Aktivitäten zu stecken. Da gab es keine Widerrede und ehrlich gesagt, ich bin gar nicht auf die Idee gekommen nicht das zu tun, was die Tante mir vorschlug. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ihre Gastfreundschaft eine lange Zeit in Anspruch nehmen musste. Und sie war immer für Überraschungen gut!

      Im Dorf angekommen, führte mich Tante Siegrid vor ein kleines Haus.

      »Hier wohne ich! Komm, lass uns hinein gehen.«

      Drinnen sieht es gemütlich aus. Sie hatte für mich ein Zimmer direkt unter dem Dach vorbereitet. Der Blick aus dem Fenster ist befreiend. In geringer Entfernung ist die Giebelseite eines großen Gebäudes zu sehen. Davor stehen zwei alte Linden, die erhaben ihre Kronen in den Himmel strecken. Hier ist alles so frei, so großzügig. Nicht so eingeengt, wie es bei uns zuhause war. Trotzdem, mir fehlte schon jetzt die gewohnte Umgebung und meine Eltern. Ich vermisse es sehr, dass was für mich Heimat ist.

      Am 16. April 1912 erreichen die ersten Gerüchte unseren kleinen Ort. Die Titanic sei in der Nacht vom 14. auf den 15. April gesunken sei. Keine näheren Informationen.

      Tante Siegrid versucht alles, etwas über meine Eltern in Erfahrung zu bringen. Leider ohne Erfolg. Mit meinen 13 Jahren verstehe ich noch nicht so richtig, was dieses Unglück für meine Zukunft bedeuten kann.

      Am 17. April steht in den Zeitungen, dass die Passagiere von anderen Schiffen aufgenommen werden konnten und sich auf dem Weg nach New York befinden. Alle seien gerettet.

      Wir fallen uns in die Arme und sind sehr glücklich.

      Am 18. April legt die Carpathia mit Überlebenden des Unglücks im Hafen von New York an. Nun gibt es die ersten glaubhaften Berichte. Von vielen Opfern ist die Rede.

      Alles was bisher in den Zeitungen stand, war falsch. Die Presse musste ihre Nachrichten berichtigen. Die Angehörigen trifft es hart.

      Am 24. April streiken die Heizer der Olympic, die Überlebende des Unglücks nach Southampton bringen sollen. Auslöser des Streiks sind die wenigen Rettungsboote an Bord der Olympic. Die Fahrt wird daraufhin abgesagt.

      Am 26. April erhält Tante Siegrid von der Emdener Werft die Nachricht, dass meine Eltern vermutlich unter den Opfern sind.

      Tante Siegrid ist völlig fertig. Das Hin und Her, die Ungewissheit der letzten Tage haben sie zermürbt. Mir geht es nicht besser. Trotzdem behalte ich noch Hoffnung. Bislang haben uns im Prinzip nur unbestätigte Gerüchte erreicht.

      Die Zeitungen berichteten nun täglich über das Unglück. So erfahren wir, dass seit dem 20. April der Kabelleger Mackay-Bennet, geführt von Kapitän Lardner, vor Ort ist und mit der Bergung der Opfer begonnen hat. Die Opferzahl ist so hoch, dass Kapitän Lardner telegrafisch ein weiteres Schiff anfordert. Es wurde die Minia gechartert.

      Beide Schiffe bergen aus der kalten See 306 Opfer. Wegen des Platzmangels an Bord der Schiffe werden 116 Frauen, Männer und Kinder direkt vor Ort seebestattet.

      Mitte Mai ist es für uns Gewissheit! In den Zeitungen wurden die Namen der Opfer veröffentlicht. Meine Eltern sind darunter. Man hat ihre Körper der See übergeben. Unglaubliche Trauer überkommt mich. Ich habe alles verloren, Eltern und Heimat. Meine Kindheit war mit einem Schlag ausgelöscht.

      Meine Tante nahm mich nun ganz unter ihre Fittiche. Mit den paar Sachen, die ich für die geplanten Tage bei mir hatte, nahm sie mich auf.

      Vorerst gab es nicht anderes, zumindest so lange nicht, bis der auch der Amtsschimmel den Tod meiner Eltern bestätigte. Danach kam ich an meine Sachen ran und an das kleine Vermögen meiner Eltern.

      Eine große Hilfe waren die Leistungen der Freunde und Kollegen meines Vaters, die für meine Ausbildung einen Beitrag überwiesen. Außerdem wurde mir eine gute Stellung in der Werft in Aussicht gestellt. So war für meine Zukunft gesorgt und natürlich war ich gerne bereit in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, um mindestens ebenso beliebt und geachtet zu sein, wie er es war.

      3. Ille

      Jetzt lebe ich schon vier Jahre hier. In dieser Zeit ist es mir gut gegangen. Ich habe Freunde gewonnen und komme in der Schule gut zurecht. Nächstes Jahr werde ich das Abitur machen.

      Ja, es waren schöne Zeiten dabei. Ein wunderbarer Sommermonat, der Juli des Jahres 1916. Heiß und trocken, so wie er schon seit Jahren nicht mehr war und sich eigentlich nur die Alten an eine solche Hitze erinnern konnten. Trotzdem ist das Land nicht verdörrt. Die hochgeschossenen Pappelbäume, die hier überall zwischen den Feldern wachsen, haben die Kraft das Grün ihrer Blätter zu halten. Wiesen und Felder stehen noch satt dar.

      Landmeer bezeichnet meine Freundin Ille es, wenn die kurz vor der Ernte stehenden Halme der riesigen Felder sich im Wind wiegen und lange Wellen schlagen. Heute ist so ein Tag. Der Wind spielt mit den Pflanzen und treibt lange Wellen über das Land. Bei diesem Anblick erfasst mich Wehmut, kommen Gedanken in mir auf, die mich Nacht für Nacht begleiten und keine Ruhe finden lassen. Die Gedanken an meine Eltern. Ille hat ein Gefühl für meine Stimmungen entwickelt und lenkt mich geschickt und einfühlsam von meinen düsteren Gedanken ab.

      »Schau nur Franz, die beiden Wolken, sie sehen aus als würden Feuer speiende Drachen aus ihnen hervorsteigen. Siehst du?«

      »Ja Ille, sehe ich. Links davon läuft eine Spinne mit nur sieben Beinen.«

      »Ja, schaurig!«

      Wir liegen auf dem Rücken im hohen Gras und schauen den vorbeiziehenden Wolken hinterher. Das sind herrliche Stunden, die ich sehr genieße. Niemand hat mich je so verstanden, wie Ille es kann. Obwohl es hier nicht meine Heimat ist und ich meine Heimat und natürlich meine Familie sehr vermisse, geht es mir hier recht gut. Ille ist ein Grund dafür. Ihr richtiger Name ist Irmtrud. Sie ist die Tochter der Nachbarn meiner Tante.

      Seit zwei kurzweiligen Jahren sind wir in jeder freien Minute zusammen. Auf dem Hof, auf den Feldern erkunden wir die Natur.

      Ich denke an die wilden Familienfeste im Dorf. Offiziell waren wir, die Kinder nicht mit von der Partie. Aber es gab Zufälle. Es war eine Hochzeit, von der uns Ille Punsch und Schnaps mitgebracht hat. Es war köstlich! Aber nach der anfänglichen Hochstimmung kam der Absturz.

      Der Schnaps ist uns gar nicht gut bekommen! Drei Tage waren wir anschließend krank. Niemand kam darauf, dass wir uns nur betrunken hatten. Alle bedauerten uns und glaubten wir hätten zu viel gegessen und uns den Magen verdorben. Da haben wir Glück gehabt.

      In den letzten Tagen hat sich etwas geändert. Mein Herz klopft wild, wenn ich Ille nur sehe. Berühre ich sie, steigt mir das Blut in den Kopf und ich bekomme rote Wangen. Natürlich hat sie es bemerkt

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