Zauberfee Line auf Entdeckungsreise. Monika Starzengruber
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„Ist mir statt der Blüten nun dieses goldene Kleid gewachsen?“, fragte es verunsichert und gar nicht glücklich.
Zauberfee Line war enttäuscht. „Ich dachte, ich mache dir damit eine Freude“, meinte sie.
„Du bist nett, ich danke dir. Der goldene Staub auf meinen Ästen ist schön. Er sieht aus wie die Strahlen der Sonne. Ich glänze und ...“
„Ja?“, fragte Line nach, weil das Bäumchen verstummt war.
„… und sehe ganz anders aus, als die anderen Apfelbäume.“
Line lachte. „Ist das nicht toll?“
„Anders ausgesehen als die anderen habe ich vorher auch. Was soll daran toll sein?“
„Du gefällst dir nicht?“
„Doch. Ja. Natürlich. Aber noch schöner wäre ich, wenn ich Blüten hätte, wie die Bäume neben mir.“
Line zog wegen der Undankbarkeit des Bäumchens ein wenig verärgert die Nase kraus.
„Sag, wenn du mir goldenen Staub schenken kannst, kannst du mir dann auch Blüten schenken?“
„Natürlich könnte ich, wenn ich wollte.“
„Willst du?“
Line zögerte. „Ich weiß nicht. Es hat alles seinen Sinn. Wenn du bis jetzt noch keine Blüten angesetzt hast, hat das auch seinen Sinn. Vielleicht ist es nicht gut für dich, so jung Blüten zu bekommen.“
„Warum soll das nicht für mich gut sein? Das ist doch meine Bestimmung.“
Diese Worte überzeugte Line auch nicht. Doch das Apfelbäumchen sah so traurig drein, dass sie ihren Zauberstab ein paar Mal in der Luft kreiste und Sekunden darauf war das Bäumchen in wundersamer Weise voll von weiß-rosa Blüten. Ein erfreuter Aufschrei aller ging über die Obstbaumwiese, als sie dieses Wunder miterlebten. Fassungslos sah das kleine Obstbäumchen an sich herunter. Und als sich Sekunden später die ersten Bienen einstellten, um den köstlichen Nektar seiner Blüten zu trinken, schrie es juchzend: „Danke, danke du gütige, wunderbare Freundin. Du hast mir das Leben gerettet, ich bin ja soooo glücklich, das glücklichste Bäumchen der Welt!“
Zauberfee Line freute sich mit dem kleinen Baum. Aber nur kurz, denn sie wusste, sie musste dem Bäumchen etwas beichten, was ihm nicht gefallen würde. Doch das hatte Zeit. Zumindest bis zum Abend wollte sie dem Bäumchen seine Freude lassen.
„Juhuuu“, schrie das Bäumchen, „ich bin ein richtiger Apfelbaum!“
Den restlichen Tag verbrachte das Apfelbäumchen damit, indem es mit hunderten Insekten, die es mit seinem Blütenduft anlockte, Freundschaft schloss. Es nahm teil an den Geschehnissen der anderen Bäume auf der Wiese und freute sich des Lebens. Und als schließlich die Nacht einsetzte, war es zum ersten Mal so richtig müde geworden. Gesund müde.
„Du wirst sehen, liebste Freundin, bald habe ich viele Äpfel an meinen Ästen. Wie ich mich darauf freue“, schwärmte das Bäumchen Line vor.
Die druckste herum, wollte nicht recht herausrücken mit der Sprache. Schließlich gab sie sich einen Ruck und antwortete: „Das wird wahrscheinlich so nicht kommen, Bäumchen.“
„Doch, wird es, du wirst sehen. Die Blüte wächst zur Frucht, das weiß doch jeder Baum.“
„Im Normalfall schon, aber in deinem ...“
Da stutzte das Apfelbäumchen und fragte: „Was soll das heißen?“
„Na ja, wie soll ich es sagen ...“
Nun bekam das Bäumchen Angst. „Was wird mit mir geschehen? Ist es sehr schlimm?“ Würde es gar bestraft werden für seinen Wunsch, früher Blüten ansetzen zu wollen, als die Natur es dafür ausersehen hatte?
Line winkte beruhigend ab. „Nichts wird dir geschehen. Du wirst nur bald wieder aussehen, wie vorher, das ist alles.“
Das Bäumchen verstand das nicht.
„Weißt du, in meinen Zauberkünsten bin ich noch nicht sehr gefestigt. Ich benötige noch viel Übung, bis ich soweit bin, dass meine Zaubereien ewig anhalten. Deine Blüten werden bald verschwunden sein, denke ich.“
Oh je. „Und wie lange werde ich mich an meinen Blüten noch erfreuen können?“
Line überlegte. „Hm. Das kann ich nicht genau sagen. Aber die Sonne werden sie wohl nicht mehr sehen.“ Das wusste sie aus Erfahrung.
Das Bäumchen schwieg betroffen.
„Bist du jetzt sehr traurig?“
„Na ja, freilich, schon.“
Aber vielleicht irrte sich die Fee ja und ihre Zauberei würde gerade bei ihm ewig anhalten, hoffte das Bäumchen.
Obwohl das Apfelbäumchen es sehnlichst nicht wünschte, trafen die Voraussagungen von Zauberfee Line ein. Nächsten Morgen stand es unter allen anderen wieder so kahl da, wie vorher. Den Vorschlag der Zauberfee, nochmals durch Zauber Blüten zu erhalten, lehnte das Bäumchen dankend ab. Eine Blüte diente dazu, Frucht hervorzubringen. Wie aber sollte eine Blüte Frucht hervorbringen, wenn sie täglich aufs Neue verschwand?
Den ganzen blühenden Frühling über konnte das Apfelbäumchen sich aus seiner Traurigkeit nicht mehr erholen, nun doch anders zu sein, als alle anderen Bäume.
Erst im Sommer, als die umherstehenden Bäume ihre Blüten verloren hatten, und das kleine Bäumchen sich nicht mehr groß von den anderen unterschied, ging es ihm besser. Schlimmer wurde sein Gemütszustand erst wieder, als es mit ansehen musste, wie sie auf ihren Ästen Früchte ansetzten und einen saftigen Apfel nach dem anderen hervorbrachten. Daneben selbst so gar nichts machend kam sich das kleine Apfelbäumchen nutzlos vor. Nicht nur, dass es keine Insekten mit Blütenstaub ernähren konnte, so war es noch weniger in der Lage Würmer mit seinen Früchten zu sättigen, geschweige den Menschen.
„Warum muss gerade mir das passieren“, jammerte das Bäumchen wieder verzweifelt. Und als der Bauer mit seinem Gehilfen vorbei kam, ihn auf seinen Gesundheitszustand untersuchte, wünschte es, dass er die Säge nähme, um es abzuschneiden.
Zauberfee Line schnürte es ins Herz, den kleinen Baum so leiden zu sehen. Sie machte alles, was in ihrer Macht stand, um ihn zu ermutigen. Noch im Spätherbst, als alle Bäume ihre Blätter verloren hatten, weil der Winter vor der Tür stand, tröstete sie: „Du musst Geduld haben. Nächsten Frühling werden auch dir Blüten wachsen.“
„Es wird sich zeigen“, erwiderte das Bäumchen nur und richtete sich langsam aber allmählich ernsthaft für den langen Winterschlaf ein. Der kam ihm recht. Im Schlaf musste es wenigstens nicht traurig sein.
Zauberfee Line sang den Baum besänftigend und geduldig in seine winterliche Erstarrung. Dann machte sie sich auf nach Hause, in das Reich der Feen, wo ihre Schwestern lebten.