Der abwegige Talisman. Denise Remisberger

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Der abwegige Talisman - Denise Remisberger

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für den Austausch gesucht hat.»

      «Er hätte auch nein sagen können.»

      «George mag fremde Kulturen.»

      «Kann er auch fremde Sprachen?»

      «Kein Wort.»

      «Da ist doch was faul.»

      «Nur weil er nicht Deutsch kann?», grinste Hunki.

      «Ach. Ich werd’s schon noch rausfinden. Da ist ein Zacken in seiner Aura. Das spüre ich genau.»

      15

      Auf dem Weg vom Sankt Galler Marktplatz bis zum kleinen Kloster im riesigen Gebäudekomplex, der heute teils der katholischen Diözese, teils dem Kanton gehörte und das sich eigentlich genau dort befand, wo ein Gebäudeteil der kantonalen Verwaltung vermutet werden könnte, kämpfte Prior Hans-Peter gegen einen Schneesturm an, der wieder mal typisch für diese Region war. Der Prior hatte natürlich keinen Schirm dabei. Wer braucht schon einen Schirm, um sich eine Tafel Nussschokolade im Läderach kaufen zu gehen? Doch nicht genug, dass er ewig anstehen musste, da die Tourismusbranche anscheinend weltweit für genau dieses Geschäft warb, nein, als er endlich wieder draussen war, hatte das Unwetter schon begonnen. Er würde sich noch einen Schnupfen holen bei dieser eisigen Bise. Gott sei Dank hatte er sich eine extragrosse Tafel gegönnt, die er nachher, falls er je ankam und nicht vorher weggeweht würde, genüsslich zu einem heissen Würzwein verspeisen durfte. So etwas Feines konnte den Bazillen nur den Garaus machen, da war sich Hans-Peter sicher.

      «Wie siehst denn du aus?», staunte Abt Cornelius, der noch gar nicht gemerkt hatte, dass es draussen schneite.

      «Wie seh ich denn aus?», zog der Prior die Nase hoch.

      «Flockig. Von deinen Augenbrauen bis zu den schicken Wildlederstiefeletten», kicherte Cornelius, der keinen Wert auf sein Äusseres legte.

      «Es stürmt draussen, Cornelius. Und nicht nur das. Es gibt eine ganze Welt da draussen. Ach übrigens. Nächste Woche geh ich meinen Freund Pfarrer Jacques in Zürich besuchen.»

      «Mit dem Zug?»

      «Cornelius, wirklich! Mit dem winterfesten Lancia. Vorderradantrieb.»

      «Von mir aus, Hans-Peter. Aber spätestens am Donnerstag bist du wieder da. Dann haben wir Besprechung. Wegen des neuen Esszimmermobiliars, das hier alle unbedingt haben wollen. Mir hätte auch das alte gereicht.»

      16

      Sie war supergut vorangekommen, die spanische Küste entlang, dann die französische, um schliesslich in der Schweiz anzukommen. Suhaila besass den Schweizer Pass aufgrund ihres Schweizer Vaters und wohnte in Zürich. Sie hatte es nicht so mit dem Beten und der Religion. Sie studierte Chemie an der Uni. Das Kopftuch, heute ein leuchtend hellblaues mit dunkelgrünen Punkten darauf, trug sie nur, um ihre marokkanischen Wurzeln mütterlicherseits nicht ganz zu vergessen. Sie parkte in der Einfahrt, schnappte sich ihre beiden Henkeltaschen und spazierte lächelnd in ihre WG.

      «Hallo Leute», strahlte sie die Runde im Wohnzimmer an, die um einen grossen Holztisch herumsass, Bier trank und plauderte. «Und wer bist du?»

      «David kann nur Englisch», erklärte die eine der beiden Sozialarbeiterinnen, die im Jugendzentrum tätig waren.

      «Wie war die Reise?», fragte Ludovico, der Koch der Gassenküche, und gähnte ausgiebig, denn es war schon mitten in der Nacht.

      «Toll. Alles gut gelaufen», zwinkerte Suhaila, trank noch eine Tasse Schwarztee mit viel Zucker und ging dann schlafen. Sie war todmüde.

      17

      Der Mörder war dem Jungen bis vor ein Wohnhaus nachgeschlichen und dann in einem sehr billigen Hotel abgestiegen. Nun lag er wach in diesem quietschigen Bett, starrte an die Decke und fragte sich unablässig, was der Junge von dem Pfarrer wollte, dem er anscheinend hinterhergereist war. Klar, Pfarrer George war der Pfarrer der Kirche, in der er den falschen Seymour ins Jenseits befördert hatte. Doch sonst hatte der werte George nichts mit dem Mord zu tun. Wollte der Junge dem Pfarrer vielleicht erzählen, dass er ihn, den Mörder, gesehen hatte. Nicht auszudenken, was das für Konsequenzen hätte. Der Pfarrer würde die Polente alarmieren und dann würde er im Gefängnis landen. Und alles wegen dieses Jungen, der seine Zeit unbedingt in der Kirche verbringen musste. Hätte er nicht sonst wo sein können? Zuhause im Bett zum Beispiel, wie es bei einem Jungen in dem Alter um diese Uhrzeit normal gewesen wäre? Dann müsste er jetzt nicht hier hocken, in einem fremden Land, in dem sie eine Sprache sprachen, die kein Mensch verstand. Und Geld verdienen konnte er hier auch keins. Schliesslich konnte er nicht mit einem Werbeplakat herumlaufen: «Bin Auftragskiller. Haben Sie vielleicht einen Job für mich?» Nicht wahr. Die Zeit wurde also knapp. Er musste bald wieder nachhause. Hatte der Junge ihn überhaupt wirklich erkannt? In der ollen Kirche war es ziemlich finster gewesen. Darum hatte er den bei der Leiche knienden Jungen ja auch erst im letzten Moment erblickt. Wahrscheinlich aber schon. Schliesslich kannten sie sich vom Sehen. Der Junge ging im selben Pub ein und aus wie er selber. Der Wirt war der Bruder der Mutter. Und für ihn war es die Stammkneipe. Dort erzählte er allen, er sei Rentner und habe früher im Norden in der Fabrik gearbeitet. Sein Doppelleben war eigentlich ganz angenehm verlaufen. Bisher. Und nun dieser Junge, der ihm einen dicken Strich durch die Rechnung machen könnte. Vielleicht sollte er ihn bestechen? Mit dem goldenen Armband, das er einem seiner Opfer einmal abgenommen hatte. Anstatt den Jungen umzulegen. Wäre auch eine Möglichkeit. Mal sehen.

      18

      Nachdem Pfarrer Jacques seine Seniorengruppe im Altersheim „Flussmatte“ ausgiebig bei Kaffee und Kuchen besucht hatte, erspähte er, kurz bevor er das Kirchgemeindehaus Kreis Fünf erreichte, drei Personen, die in derselben gebückten Haltung dastanden und auf etwas zu warten schienen. Direkt mit der Nase am Fenster des Vortrags- und Gruppenraumes stand ein blonder Junge in einem weissen Schlabberpullover unter einem gefütterten Jeansgilet im Vorgarten, links auf dem Trottoir draussen lungerte ein vierschrötiger untersetzter Mann in einem kleinkarierten Wollsakko und rechts vom Eingang am Strassenrand bemühte sich ein zottiger Typ Mitte fünfzig, der an einer stark stinkenden Zigarette zog, seinen Blick starr auf die Eingangstüre gerichtet zu halten, obwohl er erbärmlich zu frieren schien in seinem dünnen Jäckchen. Als Pfarrer Jacques auf dem Bürgersteig einherschritt und auf Höhe des Kleinkarierten angekommen war, sprang dieser eiligst davon, was den Zottigen aufmerken liess und ebenfalls in die Flucht schlug. Der Junge bemerkte Pfarrer Jacques erst, als dieser ihn ansprach. Er drehte sich erschrocken um und stiess dabei mit dem neugierigen Pfarrer zusammen, sodass dieser Halt suchend die Schulter des Jungen packte, was diesen dazu animierte, sich heftigst aus dem Griff zu befreien. Durch diese Bewegung verschob sich seine Halskette dergestalt, dass sie nicht mehr unter, sondern über dem Pulli zum Liegen kam.

      «Was ist das?», staunte Pfarrer Jacques, schob seine offene Hand unter den Anhänger der Kette und liess ihn auf sich wirken.

      «Die gehört mir!», sagte der Junge in sturstem Tonfall und auf Englisch.

      «Kein Problem», sagte der Pfarrer vorerst, auch auf Englisch, und liess den Anhänger wieder los.

      «Möchtest du reinkommen?»

      «Gibt es da was zu essen?»

      «Wahrscheinlich

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