Der letzte Blick. Carlo Fehn

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Der letzte Blick - Carlo Fehn

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Reif ließ Pytlik nicht zu Wort kommen. Hermann, der gerade das Kaffeepulver in den Filter einschüttete, war irgendwie erleichtert darüber, dass jemand anderes seinem Chef auch einmal ganz deutlich die Meinung sagte. Nicht, dass er das nicht schon oft getan hatte, aber vielleicht zeigte dies endlich einmal Wirkung bei ihm.

      »Was glaubst du eigentlich, erzählen sich die Kollegen hier, wenn sie hinter vorgehaltener Hand über dich reden? Was glaubst du eigentlich, erzählen sich Passanten, die dir in der Stadt oder sonst irgendwo begegnen, die du nicht mehr grüßt, wie früher und die du anschaust, als hättest du sie noch nie vorher gesehen? Und was denkst du eigentlich über unseren neuen Chef? Du scheinst der Meinung zu sein, dass Herr Behrschmidt eine grenzenlose Geduld hat. Täusche dich nicht! Auch wenn ich nur eine kleine Sekretärin bin, das eine oder andere bekomme ich schon mit. Und ich kann dir nur sagen, für dich ist es mittlerweile fünf vor zwölf, Franz Pytlik!«

      Adelgunde Reif war von ihrer Statur her nicht gerade die typische Respektsperson oder jemand, der mit seiner bloßen Erscheinung Autorität und Kompetenz verkörperte. Die eher gedrungene und leicht untersetzte Frau war Pytlik bis zu diesem Moment nicht nur eine höchst verlässliche Sekretärin gewesen, sondern hatte ihren Chef auch immer wegen seiner ganz besonderen Art geschätzt. Als sie vor ihrem letzten Satz die beiden Fäuste auf den vor ihr befindlichen Schreibtisch stützte, machte sie eine Pause, um damit dem Hauptkommissar zu signalisieren, dass er sich ihre nun folgenden Worte gut einprägen sollte.

      »Franz, bitte, schau dich doch mal an! Hör auf damit!«

      Pytlik blickte in diesem Moment wieder zu Adelgunde Reif. Als er sah, dass ihr Tränen über die Wangen liefen und ihre Mundwinkel zitterten, war er im Begriff, aufzustehen und sie in den Arm zu nehmen. Aber irgendwas hinderte ihn daran. Außerdem hatte seine Sekretärin im gleichen Augenblick kehrtgemacht, langsam das Büro verlassen und die Tür mit einem lauten Knall hinter sich geschlossen.

      Die Kaffeemaschine saugte mühsam das Wasser nach oben. Der Duft des Pulvers war für die beiden Kronacher Ermittler gerade immer zu Dienstbeginn ein Motivationsschub für den Tag gewesen. Als Gundi Reif den Raum verlassen hatte, fand Hermann spontan, dass er die Kaffeemaschine lieber nicht angemacht hätte. Er setzte sich langsam auf seinen Stuhl.

      Ruhe.

      Es wurde unendlich ruhig im Büro. Wenn da nur nicht diese Kaffeemaschine gewesen wäre. Hermann wusste, dass Adelgunde Reifs Mahnung bei seinem Chef gewirkt hatte. Äußerlich hatte sich an Pytliks Körpersprache zwar nichts geändert, allerdings kannte der Assistent seinen Chef mittlerweile so gut, dass er sich sicher war, dass die deutliche Ansprache der Sekretärin nicht spurlos vorübergehen würde. Hermann durchbrach die Stille.

      »Sag mal, was war denn…«

      Kaum dass er begonnen hatte, hob Pytlik eine Hand und verzog sein Gesicht in angewiderter Art und Weise so, als wolle er seinem Gegenüber damit signalisieren, ihn jetzt nicht auch noch volltexten zu müssen. Nach dem Motto: Was willst du denn jetzt noch?

      »Cajo, bitte!«

      »Bitte was? Bitte, reg mich nicht auf? Bitte, verpiss dich? Bitte, halt du mir nicht auch noch eine Moralpredigt, wie das Gundi schon getan hat? Weißt du was?«

      Ohne, dass Hermann dies in dieser Situation so gewollt hatte, war er nun plötzlich auch in Rage geraten. Allerdings machte er es kurz.

      »Gundi hat vollkommen Recht!«

      Dann stand er auf, nahm seine Tasse, schenkte sich einen Kaffee ein und verließ, ohne Pytlik eines Blickes zu würdigen, das Büro.

      ***

      Pytlik checkte kurz seine E-Mails und durchforstete alle auf seinem Schreibtisch liegenden Zettel und Akten. Es war momentan sehr ruhig, was Ermittlungen und sonstige Arbeit anging. Er nahm sich ein DIN-A4-Blatt, schrieb in großen Lettern eine Nachricht für seinen Assistenten darauf, legte ihm das Schreiben vor seinen PC, schlüpfte in die Jacke und machte sich auf den Weg. Tatsächlich waren Gundi Reifs Worte bei ihm nicht nur angekommen, sondern hatten ihn auch auf ungewöhnliche Weise berührt.

      Der Hauptkommissar hatte sich noch ein paar Kuverts unter den Arm geklemmt und verließ die Dienststelle. Er musste sich eingestehen, dass es eine Art Flucht war. Normalerweise hätte er die Angelegenheit jetzt sofort aus der Welt geschafft. Das Problem war nur, dass das nicht so einfach ging. Wäre es so gewesen, dass er Gundi gegenüber einen Fehler gemacht hätte und es damit getan gewesen wäre, sich bei ihr zu entschuldigen, dann wäre die Sache einfach gewesen. Das hier war aber viel gravierender. Er konnte sie verstehen, er konnte auch Hermann und all die Anderen verstehen. Dass sie ihn verstehen sollten - er wusste nicht einmal, ob das sein Wunsch war. Er mochte jetzt auch nicht mehr darüber nachdenken. Er war beleidigt, Arbeit gab es momentan nicht im Überfluss und der Chef war nicht im Haus. Wer wollte ihm eigentlich etwas? Plötzlich fühlte er trotz des englischen Wetters eine gewisse Behaglichkeit, ein Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit beschlich ihn. Emilie Kuhnert - dumme Gans, dachte Pytlik - war wohl nur ein Platzhalter für irgendjemanden oder irgendetwas gewesen.

      Er lief an der Kronach entlang in Richtung Spitalbrücke. Als er den Herrenmühlsteg passierte, ließ ihn eine vertraute Stimme in Verbindung mit auf dem Holzboden wie Donnerhall klingendem Grollen abrupt innehalten.

      »Hey, Franz, wadd moll!«

      Justus Büttner, Leiter der Schutzpolizei und ebenso ein enger und langjähriger Kollege Pytliks, kam über die schmale Brücke gestiefelt.

      »Wu gestn hie?«, wollte Büttner in seinem typischen Dialekt wissen.

      Pytlik riss sich am Riemen. Nein, nicht auch noch mit Büttner Stress an diesem Morgen.

      »Zur Post. Wieso?«

      »Aha!«

      »Was heißt denn da ›Aha‹?«

      »Verfolgst wuhl die alld Kuhnert, hm?«

      Oh nein, dachte Pytlik, die ganze Stadt wusste wohl schon wieder davon.

      »Nein, ganz bestimmt nicht. Die Furie kann mir gestohlen bleiben.«

      »Woss woddn?«

      Büttner stand nun beim Hauptkommissar und fragte nach. Der hatte aber keine Lust, die Geschichte noch mal zu erzählen.

      »Nichts, Justus! Du kennst sie doch.«

      Büttner schaute Pytlik von der Seite mit einer Mischung aus Zweifel und Sorge an.

      »Sie hodd beim Bägger erzählt, dass du gsochd häddst, sie könnt dich omm Oarsch leggn. Stimmt dess?«

      Pytlik schnaufte einmal tief durch. Der Anflug von guter Laune wenige Augenblicke zuvor war wie weggeblasen.

      »Bist du jetzt ihr Anwalt oder was? Ja, verdammt, das habe ich gesagt. Und ich habe ihr noch viel mehr gesagt, wenn du es wissen willst.«

      »Ich wass scho. Dess middm Benediggd. Wos konndn der dafür? Nuch ka halbs Joahr im Amt...«

      »Ist gut, Justus, ist gut!«

      Das hatte Pytlik gerade noch gefehlt. Jetzt schien sich auch noch Büttner - von Pytliks nahezu blasphemischer Äußerung gegenüber Emilie Kuhnert in seinem tiefen Glauben anscheinend angegriffen - von ihm abzuwenden. Es war ihm zuviel.

      »Ich mahn ja nur, jetzt sei hald nedd

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