Spiegel. Harald Winter

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Spiegel - Harald Winter

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      Harald Winter

      Spiegel

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       KAPITEL 4

       KAPITEL 5

       KAPITEL 6

       Impressum neobooks

      Kapitel 1

      „Stelle Spiegel gegenüberliegend auf. Du kannst zwei davon nehmen, aber besser wären vier. Vor, hinter und jeweils rechts und links von dir. Dann setze dich dazwischen auf den Boden und sieh dir an, was geschieht.“ Warum nicht? Spiegel hatte ich genug, um die Idee in der größten Ausbaustufe zu verwirklichen. Wie wir auf das Thema zu sprechen gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Es hatte wohl etwas mit unheimlichen Phänomenen zu tun. Im Grunde weiß jeder, dass gegenüberliegende Spiegel eine Art unendliches Spiegelbild erzeugen. Etwas das sich immer und immer wieder in sich selbst wiederholt. Bis zur Unendlichkeit. Aber nicht jeder probiert es auch tatsächlich aus und sieht sich den Effekt selbst an. Mir war danach, also tat ich es. Vier Spiegel von ihrem angestammten Platz zu entfernen stellte mich vor keine allzu große Herausforderung. Rasch fand ich mich, auf dem Boden sitzend zwischen vier dieser Objekte wieder. Der spannende Teil der Übung konnte beginnen. Ich konzentrierte mich auf den ersten Spiegel und obwohl mir vollkommen klar war, was ich sehen würde, faszinierte es mich dennoch. Ich sah mich. Und mich. Und wieder mich. Eine unendliche Reihe von mir. Kleiner und kleiner werdend, bis nur noch ein Punkt übrig blieb. Begrenzt wurden meine Ichs von etwas, das wie ein sich verengender Tunnel aussah. Je nachdem, wie ich mich bewegte, verschoben sich die Spiegelbilder meiner selbst, oder auch der ganze Tunnel.

      Ich verbrachte einige Zeit damit, die Perspektive zu ändern und reihum in jeden einzelnen Spiegel zu sehen. Als ich davon genug hatte, blieb ich still sitzen und starrte konzentriert auf einen der Tunnel. Zuerst zählte ich noch die Wiederholungen der Szene, aber irgendwann verloren sich die Zahlen in der Leere, die meinen Kopf auszufüllen begann. Ich sah nur noch mich, wie ich mich anstarrte und Versionen von mir, die mich und andere Ichs anstarrten. Die Zeit verging. Langsam wurde es dunkler im Raum und der Tunnel im Spiegel wurde düsterer. Ich konnte mich nicht davon lösen. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen verharrte ich in absoluter Starre. Bis ich mich mit einem Mal unwohl fühlte. Ich glaubte etwas gesehen zu haben, das nicht ins Bild passte. Das nicht dorthin gehörte. Die Leere in meinem Kopf füllte sich mit der Suche nach der Ursache.

      Ich konzentrierte mich wieder auf das was ich sah, statt es einfach nur aufzunehmen. Da sah ich es wieder. Eine Bewegung, weit hinten im Tunnel. Dort wo die Dinge klein waren. Aber egal die wievielte Wiederholung der Szene es war; wenn ich mich nicht bewegte, durfte sich auch dort nichts bewegen. Ich war allein. Nicht mal eine Fliege war im Raum. Also sollte alles was die Spiegel immer wieder zurückwarfen statisch sein. Ich beugte mich vor und alle anderen Ichs, die den Tunnel ausfüllten, taten es mir gleich. Natürlich half es nicht, näher heran zu gehen. Das winzige Abbild der Spiegelung, mit der etwas nicht stimmte, wurde kaum größer. Nur meine Reflexion im Rahmen nahm etwas mehr Raum ein. Dort hinten im Tunnel wurde als der dunkle Punkt etwas größer. Dann bewegte er sich. Aber ich bewegte mich nicht. Ich war sicher, dass ich mich getäuscht hatte. Vielleicht hatten mir auch meine Augen einen Streich gespielt, nachdem ich zu lange angestrengt auf einen Punkt gestarrt hatte. Ich blinzelte, schloss mehrmals die Augen und lehnte mich ein Stück weit zurück.

      Nach einer kurzen Pause fixierte ich wieder den verdächtigen Bereich der verschachtelten Spiegelbilder. Wieder bewegte sich dort etwas. Dieses Mal konnte ich sehen, dass das Abbild von mir, das sich nicht an die Regeln hielt, sich auch in meine Richtung bewegte. Der Punkt war in den nächsten Rahmen übergetreten. Ungläubig beobachtete ich, wie sich die Bewegung in regelmäßigen Abständen wiederholte. Jedes Mal in einem Spiegelbild, das weiter vorne im Tunnel lag. Etwas kam auf mich zu. Völlig absurd und unmöglich, aber es geschah. Instinktiv rückte ich ein Stück weit von dem Spiegel mir gegenüber ab, aber das änderte nicht das Geringste an der Situation. Der Tunnel in den ich starrte, verschob sich ein wenig. Das war alles. Der Punkt der auf mich zukam hatte sich mittlerweile in ein klar erkennbares, wenn auch kleines Abbild von mir selbst verwandelt. Ich kroch auf mich zu. Meine Verblüffung verwandelte sich in Angst und schließlich in Panik. Wie von der Tarantel gestochen, sprang ich auf und stürmte aus dem Raum. Die Tür schloss ich hinter mir und vergewisserte mich mehrmals, dass sie auch wirklich zu war. Die Logik sagte mir zwar, dass wenn ich mich nicht mehr zwischen den Spiegeln befand, ich auch nicht mehr auf mich selbst zukommen konnte, aber an Logik glaubte ich im Moment nicht mehr. Die Stimme der Vernunft flüsterte mir zu, dass ich dort drinnen einer seltsamen Halluzination erlegen war, aber der Gedanke beruhigte mich nicht im Geringsten. Wie ein Fremder im eigenen Haus schlich ich ins Schlafzimmer. Auch dort schloss ich die Tür hinter mir und drehte einem Impuls folgend zwei Mal den Schlüssel herum.

      Ich ließ mich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Gleich darauf riss ich sie wieder auf. Die Angst vor etwas Imaginärem, das sich in das Zimmer schleichen mochte, während ich nicht hinsah, war einfach zu groß. Ich stellte mich auf eine schlaflose Nacht ein und fürchtete mich vor dem Moment, in dem ich zur Toilette musste. Ich fühlte mich in die Kindheit zurück versetzt. Egal wie sehr ich mir selbst einredete, dass ich ein erwachsener Mann war. Ich starrte an die Decke und dachte nach. Lautlos diskutierte ich mit mir selbst. Die Vernunft stritt mit dem Instinkt. So lange, bis ich bereit war, aufzustehen und zu den Spiegeln zurückzukehren. Nur um zu beweisen, dass es dort nichts Gefährliches gab. Nur meine eigene übersteigerte Phantasie. Ich schwang die Beine aus dem Bett, atmete tief durch und hievte mich hoch. Nachdem ich ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, war ich bereit. Ohne zu zögern schloss ich die Tür auf und trat auf den Gang hinaus.

      Nichts erwartete mich. Keine bösartige Kreatur sprang mich plötzlich an und verschlang mich mit Haut und Haaren. Wie war ich bloß auf all diese kindischen Gedanken gekommen? Dinge, die aus einem Spiegelbild verschwanden, um in der realen Welt aufzutauchen. Völliger Unsinn. Ohne zu zögern machte ich mich auf den Weg zu dem Raum, den ich für mein Experiment benutzt hatte. Eigentlich nur eine etwas größere Abstellkammer, für die ich nie eine dauerhafte Verwendung gefunden hatte. All das Zeug, von dem ich das meiste längst vergessen hatte sammelte sich im Keller. Hier oben, über der Erde, bewahrte ich nur das Notwendigste auf. Nachdem ich die Treppe überwunden hatte, musste ich nur noch wenige Schritte zurücklegen. Mein Haus war nicht groß, schließlich war ich kein Schauspieler oder Rockstar, aber mir genügte es vollkommen. Immerhin hatte ich genügend Platz, um nächtliche Experimente mit Spiegeln durchzuführen, ohne dabei Möbelstücke verrücken zu müssen. Ich blieb stehen und legte die Hand auf den Türgriff. Einen Moment lang lauschte ich auf verdächtige Geräusche, hörte nichts und schalt mich einen Narren. Dann drückte ich die Klinke hinunter und schob die Tür auf. Ich konnte nicht verhindern, dass ein kalter Schauer meinen Rücken

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