Spiegel. Harald Winter
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Ich betrat einfach nur einen Raum, der sich durch nichts von all den anderen im Haus unterschied. Das redete ich mir ein. Erfolgreich. Draußen war es immer noch dunkel, also tastete ich nach dem Lichtschalter. Die einsame, uralte Glühbirne, die an offen liegenden Kabeln von der Decke hing, erwachte zum Leben und tauchte den Raum in warmes, aber schwaches Licht. Gerade stark genug, um die Konturen aller Gegenstände hervorzuheben und den Rest in einer Art von Zwielicht verschwimmen zu lassen. Die richtige Atmosphäre für das, was ich hier getan hatte. Séancen, Gläserrücken. Was immer sie wollen. Hier ist der Ort dafür. Ich grinste. Vielleicht sollte ich den Raum an Spinner aus der Nachbarschaft vermieten, die an dieses Zeug glaubten. Die Spiegel standen noch genau so, wie ich sie für meine eigene kleine Verrücktheit aufgebaut hatte. Auch sonst hatte sich nichts verändert und hier drinnen gab es auch keine Verstecke in denen sich Monster oder anderes Gesindel verbergen konnten. Eigentlich war das alles, was ich hatte überprüfen wollen. Nur um sicher zu gehen.
Ich wandte mich zum Gehen, aber die Neugierde hielt mich zurück. Einmal noch zwischen die Spiegel setzen. Noch einmal hinein starren. Nachsehen, ob die Halluzination, oder was immer aus auch war, erneut einsetzte. Ich trat zwischen die Spiegel und ließ mich auf den Boden sinken. Sofort war der Tunnel aus immer gleichen Welten, die kleiner und kleiner wurden, wieder da. Ich konzentrierte mich und suchte nach dem Abbild der Realität, in dem ein Detail fehlte. Zu meinem Leidwesen fand ich es schneller, als ich es mir gewünscht hatte. Erschrocken fuhr ich zurück. Es war keines der weit entfernten, stark verkleinerten Spiegelbilder, in denen etwas fehlte. Mein Ebenbild war nicht dort verschwunden, wo ich zuerst gesucht hatte. “Scheisse” entfuhr es mir. In jedem der unendlich vielen Bilder sah ich mich selbst. Nur nicht am Anfang des Tunnels in den ich starrte. Das erste Spiegelbild, das größte von allen, zeigte mir einen leeren Raum. Ich hob die Hand und winkte. Unzählige folgten mir. Im vordersten Bild änderte sich nicht das Geringste. Was ich da sah war vollkommen unmöglich, aber es widerstand meinem krampfhaften Blinzeln. Ich rieb mir die Augen. Schüttelte den Kopf. Nichts. Mein Ebenbild war einfach nicht da, wo es hätte sein sollen. Ich hielt es keine Sekunde mehr in meiner sitzenden Haltung aus und sprang auf die Beine. Mit mir erhoben sich unendlich viele andere. Dennoch war es einer zu wenig. Was zum Teufel stimmt hier nicht? Meine Gedanken rasten, aber sie fanden kein Ziel. Es gab keine Erklärung. Zumindest keine, die mir gefiel. Vielleicht hatte ich den Verstand verloren. Vielleicht war auch etwas mit meinen Augen nicht in Ordnung. Und dann war da noch die Möglichkeit, dass sich eines meiner Ebenbilder aus der Spiegelwelt davongestohlen hatte. Wohin? Nervös drehte ich mich langsam um die eigene Achse und ließ den Blick durch den Raum wandern. Obwohl es hier kaum einen Ort gab, an dem sich jemand hätte verstecken können, erwartete ich doch, jeden Moment eine verdächtige Bewegung zu sehen.
Nichts. Ich war allein. Jedenfalls hier drinnen. Die Stimme der Vernunft flüsterte mir beständig zu, dass das auch im Rest des Hauses nicht anders war, aber sie wurde leiser. Ich dachte darüber nach, mich in diesem Raum einzuschließen und abzuwarten. Natürlich war das keine endgültige Lösung, wenn ich nicht vor hatte lieber an Hunger und Durst zu sterben, statt mich draussen wer weiß was zu stellen. Aber es würde reichen, die Zeit zu überbrücken, bis es wieder hell wurde. Bis zum Sonnenaufgang waren es nur noch knapp zwei Stunden und bei Licht sah alles weniger bedrohlich aus. Mit schnellen Schritten ging ich zur Tür hinüber und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus, der zu meinem Glück auf dieser Seite steckte. Zitternd drehte ich ihn herum. Das metallene Klicken beruhigte mich ein Wenig. Könnte es nicht sein, dass etwas, das aus einem Spiegel entkommen kann, auch einfach… Ich brachte die Stimme in meinem Kopf zum Schweigen und schob den Gedanken beiseite. Alles würde nur noch schlimmer werden, wenn ich mich vollends verrückt machen ließ. Rückwärts gehend, die Tür immer im Blick, zog ich mich auf die andere Seite des Raums zurück und atmete mehrere Male tief ein und aus. Als meine Hände aufhörten auf zu zittern, ließ ich mich langsam an der Wand entlang zu Boden sinken.
Hier wollte ich sitzen und die Tür nicht aus den Augen lassen, bis die Sonne aufging. Erst dann würde ich nach draussen gehen und jeden Winkel des Hauses durchstöbern. Bis ich sicher war, dass nirgendwo etwas lauerte, das dort nicht hin gehörte. Die Zeit verging langsam. Zäh wie Sirup. Immer wieder sah ich auf die Uhr, deren Zeiger sich kaum zu bewegen schienen. Ich hatte ja schon einige Nächte erlebt, die einfach nicht enden wollten, aber diese verdiente sich einen Platz ganz weit oben in der Liste. Leider konnte ich absolut gar nichts tun, um mich abzulenken. Gefangen in einem beinahe leeren Raum, dessen Tür ich nicht aus den Augen lassen wollte, schrumpften die Optionen zum Zeitvertreib auf ein Minimum zusammen. Also konnte ich nur hier sitzen und meinen Gedanken nachhängen, bis es hell wurde. Leider blieb es nicht dabei.
Ich hörte ein Geräusch. Draussen hinter der Tür. Schritte. Ich fuhr hoch und presste den Rücken gegen die Wand. Nur zu gerne wäre ich darin verschwunden. Ich legte den Kopf schief und lauschte. Die Schritte kamen nicht näher, wie ich befürchtet hatte. Wer immer in meinem Haus herumschlich entfernte sich von mir. Die Geräusche wurden leiser und schon nach kurzer Zeit konnte ich nichts mehr hören. Außer meinen eignen, hektischen Atemzügen. Mein Herz raste, als wollte es meinen Brustkorb sprengen und meine Hände hatten zu schwitzen begonnen. Ich hatte keine Haustiere und auch keinen Untermieter, also sollte sich in diesem Haus absolut nichts bewegen. Ausser mir. So leise, wie es mir möglich war, schlich ich zur Tür hinüber und legte das Ohr an das harte Holz. Nichts. Nur das Rauschen meines eigenen Blutes. Hatte ich mir die Schritte nur eingebildet? Oder war der, der sie verursacht hatte nach oben gegangen, wo ich ihn nicht mehr hören konnte? Vorsichtig ließ ich mich zu Boden sinken. Es war vollkommen egal, wo ich saß und an diesem Platz würde ich wenigstens unmittelbar mitbekommen, wenn jemand versuchte zu mir zu gelangen. Ich ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen das Zittern an. Wärst du mutiger, dann würdest du jetzt da hinaus gehen. Aber ich war nicht mutig. War ich nie gewesen. Ich schätzte die Sicherheit einer modernen, westlichen Gesellschaft. Die Meisten mussten niemals im Leben echten Mut beweisend wenn sie es nicht wollten. Zu genau jenen hatte ich mich immer gerne gezählt. Leider war es damit nun vorbei. Wenn ich nicht verrückt geworden war und mir meine Einbildung eine ganze Reihe von absurden Streichen spielte, dann schlich ein Eindringling durch mein Haus, den es nicht geben durfte. Jemand aus einer Welt hinter den Spiegeln. Ein Abbild von mir selbst.
Ich stützte den Kopf in die Hände und seufzte. Ich bekam Kopfschmerzen, wenn ich darüber nachdachte. Minuten vergingen, die endlich zu Stunden wurden. Schließlich wich die Dunkelheit vor dem kleinen Fenster dem Zwielicht des frühen Morgens, in dem nur verschiedene Grau-Töne zu existieren schienen. Ich stand schwerfällig auf, ging zum Fenster hinüber und sah hinaus auf die Bäume hinter meinem Haus. Zum ersten Mal in meinem Leben bereute ich die Entscheidung, mich in einer Gegend niedergelassen zu haben, in der kaum etwas den nächtlichen Frieden störte. Die nächste Straßenlaterne war weit genug entfernt und hinter ausreichend Blattwerk verborgen, so dass kaum etwas von ihrem Licht bis hierher vordrang. Natürlich hatte ich Nachbarn. Nicht einmal wenige in der unmittelbaren Umgebung, aber hier draussen lebten die meisten Leute noch so wie früher. Wenn es Dunkel wurde, dann zogen sie sich in ihre Häuser zurück. Als wäre die Nacht immer noch voller Gefahren, die man erst bemerkte, wenn es zu spät war. Am Anfang hatte ich das seltsam und ein klein Wenig charmant gefunden. Dann hatte ich mich daran gewöhnt. Jetzt wo ich hier in diesem Raum festsaß, weil ich mich vor dem fürchtete, was in meinem eigenen Haus geschah, verstand ich es plötzlich. Die Dunkelheit war kein Freund. Meistens war sie neutral und kümmerte sich nicht um die Menschen, aber sie konnte ein Feind werden. Ein Mantel unter dem sich böse Dinge verbergen konnten. Ich stand am Fenster und wartete darauf, dass die Farben in die Welt zurückkehrten. Schließlich geschah es. Das gelbe, warme Licht der aufgehenden Sonne strich wie ein Pinsel über die Landschaft und vertrieb das allgegenwärtige Grau. Ich öffnete das Fenster und nahm einen tiefen Atemzug. Die klare, kühle Morgenluft strömte in meine Lungen und verlieh mir neuen Mut. Noch einen Moment lang sah ich gedankenverloren hinaus. Dann wandte ich mich um und ging mit raschen Schritten zu der Tür hinüber, die mir trügerischen Schutz vor dem geboten hatte, was dahinter auf mich warten mochte.
Ich hatte das Haus durchsucht. Von oben bis unten. Jeden einzelnen Raum. Jeden Winkel. Nichts. Nur das, was schon