Das fünfte Dorf. Mathilde Schrumpf

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Das fünfte Dorf - Mathilde Schrumpf

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zuzusehen, und wer das Paar in der Küche dabei beobachtete, wie es mit eingespielten Handgriffen das dreigängige Abendmenü für die unersättlichen Herbergsgäste zubereitete, musste einräumen: Hier hatte sich ein Zweierteam gesucht und gefunden, das sich perfekt zu ergänzen schien.

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      Len indessen kannte die erotisch motivierten Eskapaden Frans und hatte mit dieser Eigenart seiner Frau Frieden geschlossen. Mitunter versuchte er, Schlimmeres zu verhindern, doch hatten ihre zahllosen Affären ihn gelehrt, dass ihr Feuer hell aufloderte, bis es sich aus eigener Kraft verzehrte und rasch niederbrannte. Lens Erfahrung mit den Ausbruchsversuchen Frans aus dem Gewohnten meldete ihm sofort, wann sich eine neue Liaison anbahnte, und da Len begriffen hatte, wie er in diesen Angelegenheiten am besten verfuhr, ließ er den Dingen ihren Lauf.

      Bei der Geschichte mit Hilde aber war er von Anfang an auf der Hut. Er vermutete, die nach Sinnlichkeit und Abwechslung dürstende Neugier Frans würde sie auch vor einer Liebesaffäre mit einer Frau nicht haltmachen lassen. Dieses Mal hatte er nicht davon ablassen können, durch eigenes Zutun – oder vielmehr Fortlassen – dem Schicksal ein wenig ins Handwerk zu pfuschen.

      Hilde hatte, um sich für den Aufenthalt in der pyrenäischen Einsamkeit vorzustellen, ihrem Bewerbungsschreiben ein Foto beigelegt. Es zeigte ihr verrostetes Fahrrad, das sie im deutschen Alltag benutzte, an einer Backsteinmauer lehnend. Damit hatte sie unwillkürlich eine Vorliebe Frans getroffen: Fran behauptete nämlich, die ganz einfachen Dinge zu mögen, ohne Luxus, ohne Ornament. Das war, wie Len ebenfalls wusste, einer der Widersprüche, in die sich Fran manchmal verwickelte: Was sie zu mögen vorgab, war noch lange nicht das, was sie tatsächlich mochte und wertschätzte.

      Ganz am Anfang ihrer Ehe hatte ihm dieser Widerspruch oft Kopfzerbrechen bereitet, fühlte er sich doch als Geizhals blamiert, wenn er Fran ein kleines Präsent mit brachte – ein Geschirr, ein Blumentöpfchen, ein Holzlöffelchen, wie es schlichter und praktischer nicht sein konnte. Es brauchte nur ein, zwei spitze Bemerkungen Frans, und Len hatte nach Erlebnissen dieser Art begriffen, dass zur Befriedigung des kräftigen Repräsentations- und Schmuckbedürfnisses seiner Frau andere Geschenke erforderlich waren.

      Nachdem die Bewerberin aus dem fernen Deutschland also, ohne es zu wissen, eine bekundete Vorliebe Frans getroffen hatte mit ihrer simplen Fahrradfotografie, spürte Len den Impuls einzugreifen. „Dear Fran and Len“, hatte Hilde geschrieben, vermutend, dass sich die Frau mehr um ein persönliches Verhältnis zu den Gästen bemühen würde als der Mann. Da die Post in seinem Büro einging und von ihm geöffnet wurde, tat er das Naheliegendste: Er ließ Hildes gelben Briefumschlag mit seinem suspekten Inhalt zuunterst im Regal der Bewerberpost verschwinden und verabredete Details von Hildes Aufenthalt mit ihr per Mail.

      Diese Ausflucht musste ihre Wirkung verfehlen, als beide Frauen sich trafen: Hilde erwähnte das Übersandte, und es stellte sich heraus, dass Fran keine Ahnung hatte, wovon die andere sprach. An Lens freundlich-harmlosem Gesicht war keine Regung abzulesen, als Fran ihn fragte, ob er nicht ein „little secret“ für sich behalten habe, Hildes Sendung, an sie beide, Fran und Len, adressiert. Hilde fragte sich, ob Lens Nachlässigkeit zwischen den Eheleuten später ernstere Auseinandersetzungen nach sich zog. Fran brachte die Angelegenheit jedenfalls in Hildes Beisein ihrem Mann gegenüber zur Sprache – ließ sich daraus schließen, dass sie es als verzeihliches Vergehen einstufte?

      Mutmaßungen dieser Art spielten im Liebesleben der Eheleute keine Rolle. Was Fran und ihren Gatten in Anspruch nahm, war Sorge, wie Frans Suche nach Abwechslung in den Routinen ihres kleinen Wirkungskreises befriedigt werden konnte. Fran war mit den Jahren rastloser geworden. Sie spürte ihre Ruhelosigkeit und geriet von Zeit zu Zeit in depressive Verstimmung. Dabei wusste sie, dass sie Len Unrecht tat, wenn sie ihm die Schuld an der Sprunghaftigkeit ihrer Launen gab.

      Furcht vor eigener Ratlosigkeit, vor dem unguten Gefühl, überflüssig zu sein für den Lauf der Welt, ließ Fran allergisch und abwehrend auf Hildes kleine Mutlosigkeiten reagieren, obwohl diese sich nur selten zeigten. Mit der Empfindlichkeit eines ängstlichen Kindes bemerkte Hilde eine Verstimmung bei Fran, lange bevor diese selbst ihrer gewahr wurde. Fran mochte es nicht, wenn die Jüngere sich ihr schwach oder verwirrt zeigte. Sie fauchte dann ungehalten „Come on, Hilde!“ in ihrem abgerissenen katalanischen Englisch, und Hilde musste sich nur ein-, zweimal Frans unwilliger Zurechtweisung ausgesetzt sehen, um zu beschließen, dass Fran sie nicht wieder schwach erleben sollte, wenn sie es verhindern konnte.

      Gab sich Hilde jedoch unnahbar, gelassen und kühl – was sie oft nicht war – so veranlasste das Fran zu bissigen Bemerkungen über die Deutschen, die immer rational-kalkulierend wirkten im Vergleich zum lebhaften, redseligen Temperament der Katalanen. Es schien fast, als sei Hilde von Fran in ihrer Wesensart festgelegt, ohne zu deren Herzen vordringen zu können – einfach weil sie eine Deutsche war? Dies zu vermuten, verstärkte Hildes Befürchtung, es habe wenig Sinn, sich Mitmenschen allzu sehr zu öffnen, wenn diese nicht daran interessiert waren, ihre vorgefasste Meinung zu ändern. Ein alltäglicher, ungezwungener Umgang miteinander hätte diesem Umstand vielleicht abhelfen können. Doch dafür sahen sich Fran und Hilde im Verlauf der langen sonnigen Tage in Conocer einfach zu selten.

      Fran war es nicht gewohnt, sich unbeachtet oder unbedeutend zu fühlen. Sie war die Lieblingstochter eines lebenslustigen, wenngleich strengen Vaters, der es sich nicht nehmen ließ, seine Jüngste zu verwöhnen, mit Aufmerksamkeit, Komplimenten und kleinen Liebesgaben. Fran war nie auf den Gedanken gekommen, die Welt könne ohne ihre Existenz ebenso gut ihrem Gang gehen.

      Die Arbeitsteilung im kleinen Dorf brachte es mit sich, dass Fran ihrem Mann die Tätigkeiten überließ, die ihr selbst unangenehm waren. Und das war gut so, denn wenn Fran nur das tat, was sie tun mochte, stellte sich heraus: Die Geschäfte lagen bei Len und seinen mit Bedacht ausgewählten Mitarbeitern in guten Händen. Nichts geriet wirklich aus dem Gleis, wenn Fran sich den einen oder anderen Tag der Muße gönnte. Dass sie sich aus den täglichen Verrichtungen des Gasthauses dann und wann zurückzog, war allen bekannt. Doch niemand sprach es aus, als bestehe eine Weisung des Chefs, dass über diese Tatsache niemand reden durfte. Fran, die „Seele des Ganzen“, wie ein Gast einmal ein altertümliches Kompliment für die kleine Katalanin gedrechselt hatte – und überflüssig für den reibungslosen Betrieb des kleinen Unternehmens? Dies auszusprechen war Tabu. Die Liebe zu seiner Frau ließ Len an einer Version festhalten, die für das Selbstwertgefühl Frans lebensnotwendig war: Ohne ihr lebendiges Wesen, ihren Witz, ihren Charme, ihre in Provokationen und doppeldeutigen Bemerkungen sich selbst erneuernde Energie war die Herberge einfach ganz und gar undenkbar.

      Das Ehepaar war nach 25 Jahren ernsthaften Bemühens um Offenheit und Beweglichkeit an einem Punkt angekommen, von dem aus ihm, so oder so, nur ein Anstoß von außen weiterhelfen konnte. Von all dem ahnte wiederum Hilde nichts: Was sich zwischen Fran und ihr anbahnte, war auch Bestandteil einer hektischen Befreiungsbewegung, die der Ehefrau und Mutter zweier Söhne nur umso deutlicher zeigte, wie untrennbar ihr Schicksal mit dem Geschick ihrer Familie verwoben war.

      Hilde litt unter Frans Verstimmungen, die sie spürte – und vielleicht auch manch anderer Gast. Da gab es zum Beispiel Mimi und Menachem, ein älteres Musiker-Ehepaar aus Israel. Überraschend freundlich waren für Hilde einige Gespräche mit Mimi verlaufen. Menachem hatte sich nach anfänglichen Erkundigungen über den deutschen Neuankömmling wieder zurückgezogen auf seine Kompositionsarbeit. Es erging ihm hierin wie den Männern, die sich allein in ihrem Handwerk wirklich sicher fühlen und den kommunikativen Part, ohne den keine Urlaubsbekanntschaft auskommt, gern ihren Frauen überlassen. Während Hilde mit Mimi über Gott und die Welt sprach – so wanderten ihre Gespräche von der Außenpolitik Israels über Yoga-Meditation zu den Schwierigkeiten künstlerischer Tätigkeit und wieder zurück – kam es Hilde nie in den Sinn, die Israelin einmal nach ihrem Eindruck von Fran zu befragen.

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