Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral. Friedrich Nietzsche

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Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral - Friedrich Nietzsche

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Originals, bloss weil sein tapferes und lustiges tempo nicht mit übersetzt werden konnte, welches über alles Gefährliche in Dingen und Worten wegspringt, weghilft. Der Deutsche ist beinahe des Presto in seiner Sprache unfähig: also, wie man billig schliessen darf, auch vieler der ergötzlichsten und verwegensten Nuances des freien, freigeisterischen Gedankens. So gut ihm der Buffo und der Satyr fremd ist, in Leib und Gewissen, so gut ist ihm Aristophanes und Petronius unübersetzbar. Alles Gravitätische, Schwerflüssige, Feierlich-Plumpe, alle langwierigen und langweiligen Gattungen des Stils sind bei den Deutschen in überreicher Mannichfaltigkeit entwickelt, – man vergebe mir die Thatsache, dass selbst Goethe's Prosa, in ihrer Mischung von Steifheit und Zierlichkeit, keine Ausnahme macht, als ein Spiegelbild der »alten guten Zeit«, zu der sie gehört, und als Ausdruck des deutschen Geschmacks, zur Zeit, wo es noch einen »deutschen Geschmack« gab: der ein Rokoko-Geschmack war, in moribus et artibus. Lessing macht eine Ausnahme, Dank seiner Schauspieler-Natur, die Vieles verstand und sich auf Vieles verstand: er, der nicht umsonst der Übersetzer Bayle's war und sich gerne in die Nähe Diderot's und Voltaire's, noch lieber unter die römischen Lustspieldichter flüchtete: – Lessing liebte auch im tempo die Freigeisterei, die Flucht aus Deutschland. Aber wie vermöchte die deutsche Sprache, und sei es selbst in der Prosa eines Lessing, das tempo Macchiavell's nachzuahmen, der, in seinem principe, die trockne feine Luft von Florenz athmen lässt und nicht umhin kann, die ernsteste Angelegenheit in einem unbändigen Allegrissimo vorzutragen: vielleicht nicht ohne ein boshaftes Artisten-Gefühl davon, welchen Gegensatz er wagt, – Gedanken, lang, schwer, hart, gefährlich, und ein tempo des Galopps und der allerbesten muthwilligsten Laune. Wer endlich dürfte gar eine deutsche Übersetzung des Petronius wagen, der, mehr als irgend ein grosser Musiker bisher, der Meister des presto gewesen ist, in Erfindungen, Einfällen, Worten: – was liegt zuletzt an allen Sümpfen der kranken, schlimmen Welt, auch der »alten Welt«, wenn man, wie er, die Füsse eines Windes hat, den Zug und Athem, den befreienden Hohn eines Windes, der Alles gesund macht, indem er Alles laufen macht! Und was Aristophanes angeht, jenen verklärenden, complementären Geist, um dessentwillen man dem ganzen Griechenthum verzeiht, dass es da war, gesetzt, dass man in aller Tiefe begriffen hat, was da Alles der Verzeihung, der Verklärung bedarf: – so wüsste ich nichts, was mich über Plato's Verborgenheit und Sphinx-Natur mehr hat träumen lassen als jenes glücklich erhaltene petit falt: dass man unter dem Kopfkissen seines Sterbelagers keine »Bibel« vorfand, nichts Ägyptisches, Pythagoreisches, Platonisches, – sondern den Aristophanes. Wie hätte auch ein Plato das Leben ausgehalten – ein griechisches Leben, zu dem er Nein sagte, – ohne einen Aristophanes!

      29. Es ist die Sache der Wenigsten, unabhängig zu sein: – es ist ein Vorrecht der Starken. Und wer es versucht, auch mit dem besten Rechte dazu, aber ohne es zu müssen, beweist damit, dass er wahrscheinlich nicht nur stark, sondern bis zur Ausgelassenheit verwegen ist. Er begiebt sich in ein Labyrinth, er vertausendfältigt die Gefahren, welche das Leben an sich schon mit sich bringt; von denen es nicht die kleinste ist, dass Keiner mit Augen sieht, wie und wo er sich verirrt, vereinsamt und stückweise von irgend einem Höhlen-Minotaurus des Gewissens zerrissen wird. Gesetzt, ein Solcher geht zu Grunde, so geschieht es so ferne vom Verständniss der Menschen, dass sie es nicht fühlen und mitfühlen: – und er kann nicht mehr zurück! er kann auch zum Mitleiden der Menschen nicht mehr zurück! –

      30. Unsre höchsten Einsichten müssen – und sollen! – wie Thorheiten, unter Umständen wie Verbrechen klingen, wenn sie unerlaubter Weise Denen zu Ohren kommen, welche nicht dafür geartet und vorbestimmt sind. Das Exoterische und das Esoterische, wie man ehedem unter Philosophen unterschied, bei Indern, wie bei Griechen, Persern und Muselmännern, kurz überall, wo man eine Rangordnung und nicht an Gleichheit und gleiche Rechte glaubte, – das hebt sich nicht sowohl dadurch von einander ab, dass der Exoteriker draussen steht und von aussen her, nicht von innen her, sieht, schätzt, misst, urtheilt: das Wesentlichere ist, dass er von Unten hinauf die Dinge sieht, – der Esoteriker aber von Oben herab! Es giebt Höhen der Seele, von wo aus gesehen selbst die Tragödie aufhört, tragisch zu wirken; und, alles Weh der Welt in Eins genommen, wer dürfte zu entscheiden wagen, ob sein Anblick nothwendig gerade zum Mitleiden und dergestalt zur Verdoppelung des Wehs verführen und zwingen werde?... Was der höheren Art von Menschen zur Nahrung oder zur Labsal dient, muss einer sehr unterschiedlichen und geringeren Art beinahe Gift sein. Die Tugenden des gemeinen Manns würden vielleicht an einem Philosophen Laster und Schwächen bedeuten; es wäre möglich, dass ein hochgearteter Mensch, gesetzt, dass er entartete und zu Grunde gienge, erst dadurch in den Besitz von Eigenschaften käme, derentwegen man nöthig hätte, ihn in der niederen Welt, in welche er hinab sank, nunmehr wie einen Heiligen zu verehren. Es giebt Bücher, welche für Seele und Gesundheit einen umgekehrten Werth haben, je nachdem die niedere Seele, die niedrigere Lebenskraft oder aber die höhere und gewaltigere sich ihrer bedienen: im ersten Falle sind es gefährliche, anbröckelnde, auflösende Bücher, im anderen Heroldsrufe, welche die Tapfersten zu ihrer Tapferkeit herausfordern. Allerwelts-Bücher sind immer übelriechende Bücher: der Kleine-Leute-Geruch klebt daran. Wo das Volk isst und trinkt, selbst wo es verehrt, da pflegt es zu stinken. Man soll nicht in Kirchen gehn, wenn man reine Luft athmen will. –

      31. Man verehrt und verachtet in jungen Jahren noch ohne jene Kunst der Nuance, welche den besten Gewinn des Lebens ausmacht, und muss es billigerweise hart büssen, solchergestalt Menschen und Dinge mit Ja und Nein überfallen zu haben. Es ist Alles darauf eingerichtet, dass der schlechteste aller Geschmäcker, der Geschmack für das Unbedingte grausam genarrt und gemissbraucht werde, bis der Mensch lernt, etwas Kunst in seine Gefühle zu legen und lieber noch mit dem Künstlichen den Versuch zu wagen: wie es die rechten Artisten des Lebens thun. Das Zornige und Ehrfürchtige, das der Jugend eignet, scheint sich keine Ruhe zu geben, bevor es nicht Menschen und Dinge so zurecht gefälscht hat, dass es sich an ihnen auslassen kann: – Jugend ist an sich schon etwas Fälschendes und Betrügerisches. Später, wenn die junge Seele, durch lauter Enttäuschungen gemartert, sich endlich argwöhnisch gegen sich selbst zurück wendet, immer noch heiss und wild, auch in ihrem Argwohne und Gewissensbisse: wie zürnt sie sich nunmehr, wie zerreisst sie sich ungeduldig, wie nimmt sie Rache für ihre lange Selbst-Verblendung, wie als ob sie eine willkürliche Blindheit gewesen sei! In diesem Übergange bestraft man sich selber, durch Misstrauen gegen sein Gefühl; man foltert seine Begeisterung durch den Zweifel, ja man fühlt schon das gute Gewissen als eine Gefahr, gleichsam als Selbst-Verschleierung und Ermüdung der feineren Redlichkeit; und vor Allem, man nimmt Partei, grundsätzlich Partei gegen »die Jugend«. – Ein Jahrzehend später: und man begreift, dass auch dies Alles noch – Jugend war!

      32. Die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch – man nennt sie die prähistorische Zeit – wurde der Werth oder der Unwerth einer Handlung aus ihren Folgen abgeleitet: die Handlung an sich kam dabei ebensowenig als ihre Herkunft in Betracht, sondern ungefähr so, wie heute noch in China eine Auszeichnung oder Schande vom Kinde auf die Eltern zurückgreift, so war es die rückwirkende Kraft des Erfolgs oder Misserfolgs, welche den Menschen anleitete, gut oder schlecht von einer Handlung zu denken. Nennen wir diese Periode die vormoralische Periode der Menschheit: der Imperativ »erkenne dich selbst!« war damals noch unbekannt. In den letzten zehn Jahrtausenden ist man hingegen auf einigen grossen Flächen der Erde Schritt für Schritt so weit gekommen, nicht mehr die Folgen, sondern die Herkunft der Handlung über ihren Werth entscheiden zu lassen: ein grosses Ereigniss als Ganzes, eine erhebliche Verfeinerung des Blicks und Maassstabs, die unbewusste Nachwirkung von der Herrschaft aristokratischer Werthe und des Glaubens an »Herkunft«, das Abzeichen einer Periode, welche man im engeren Sinne als die moralische bezeichnen darf: der erste Versuch zur Selbst-Erkenntniss ist damit gemacht. Statt der Folgen die Herkunft: welche Umkehrung der Perspektive! Und sicherlich eine erst nach langen Kämpfen und Schwankungen erreichte Umkehrung! Freilich: ein verhängnissvoller neuer Aberglaube, eine eigenthümliche Engigkeit der Interpretation kam eben damit zur Herrschaft: man interpretirte die Herkunft einer Handlung im allerbestimmtesten Sinne als Herkunft aus einer Absicht; man wurde Eins im Glauben daran, dass der Werth einer Handlung im Werthe ihrer Absicht belegen sei. Die Absicht als die ganze Herkunft und Vorgeschichte einer Handlung: unter diesem Vorurtheile ist fast bis auf die neueste Zeit auf Erden moralisch gelobt, getadelt, gerichtet, auch philosophirt worden. – Sollten wir aber heute nicht bei der Nothwendigkeit angelangt sein, uns nochmals

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