Der Weg ins Freie. Arthur Schnitzler

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Der Weg ins Freie - Arthur Schnitzler

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style="font-size:15px;">      Zweites Kapitel

      Im erhöhten Erker auf dem grünsamtenen Sofa saß Frau Ehrenberg mit ihrer Stickerei; Else, ihr gegenüber, las in einem Buch. Aus dem tiefern und dunklern Teil des Zimmers, hinter dem Klavier hervor, leuchtete das weiße Haupt der marmornen Isis, und durch die offene Tür floß aus dem benachbarten Zimmer ein heller Streif über den grauen Teppich. Else sah von ihrem Buche auf, durchs Fenster zu den hohen Wipfeln des Schwarzenbergparkes, die sich im Herbstwind regten, und sagte beiläufig: »Man könnt' vielleicht dem Georg Wergenthin telephonieren, ob er heut Abend kommt.«

      Frau Ehrenberg ließ ihre Stickerei in den Schoß sinken. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Du erinnerst dich, was für einen wirklich charmanten Kondolenzbrief ich ihm geschrieben und wie dringend ich ihn in den Auhof eingeladen hab. Er ist nicht gekommen, und seine Antwort war auffallend kühl. Ich würde ihm nicht telephonieren.«

      »Man kann ihn nicht behandeln wie die andern«, erwiderte Else. »Er gehört zu den Leuten, die man gelegentlich daran erinnern muß, daß man auf der Welt ist. Wenn man ihn erinnert hat, dann freut er sich schon darüber.«

      Frau Ehrenberg stickte weiter. »Es wird ja doch nichts werden«, sagte sie ruhig.

      »Es soll auch nichts werden«, entgegnete Else, »weißt du denn das noch immer nicht, Mama? Er ist mein guter Freund, nichts weiter und auch das nur mit Unterbrechungen. Oder glaubst du wirklich, daß ich in ihn verliebt bin, Mama? Ja als kleines Mädel war ich's, in Nizza, wie mir miteinander Tennis gespielt haben, aber das ist lang vorbei.«

      »Na, und in Florenz?«

      »In Florenz war ich's eher in Felician.«

      »Und jetzt?« fragte Frau Ehrenberg langsam.

      »Jetzt ...? Du denkst wahrscheinlich an Heinrich Bermann ... Also du irrst dich, Mama.«

      »Es wäre mir lieb, wenn ich mich irrte. Aber heuer im Sommer hatte ich wirklich ganz den Eindruck, als ob ...«

      »Ich sag dir ja schon«, unterbrach Else sie ein wenig ungeduldig. »Es ist nichts, und es war nichts. Ein einziges Mal, an dem schwülen Nachmittag, wie wir Kahn gefahren sind du hast uns ja vom Balkon aus gesehen, sogar mit dem Operngucker da ist es ein bißchen gefährlich geworden. Aber wenn wir uns auch einmal um den Hals gefallen wären, was übrigens nie vorgekommen ist, es hätte doch nichts zu bedeuten gehabt. Es war halt so eine Sommersache.«

      »Und er soll ja auch in einem sehr ernsten Verhältnis stecken«, sagte Frau Ehrenberg.

      »Du meinst ... mit dieser Schauspielerin, Mama?«

      Frau Ehrenberg sah auf. »Hat er dir was von ihr erzählt?«

      »Erzählt ...? So direkt nicht. Aber wenn wir miteinander spazieren gegangen sind, im Park, oder abends am See, da hat er beinahe nur von ihr gesprochen. Natürlich, ohne ihren Namen zu nennen ... Und je besser ich ihm gefallen hab, die Männer sind ja ein so komisches Volk, um so eifersüchtiger war er immer auf die andre ... Übrigens wenn es nur das wäre! Welcher junge Mann steckt nicht in einem ernsten Verhältnis? Glaubst du vielleicht, Mama, der Georg Wergenthin nicht?«

      »In einem ernsten? ... Nein. Dem wird das nie passieren. Dazu ist er zu kühl, zu überlegen ... zu temperamentlos.«

      »Gerade darum«, erklärte Else menschenkennerisch. »Er wird in irgend was hineingleiten, und es wird über ihm zusammenschlagen, ohne daß er nur was davon bemerkt hat. Und eines schönen Tages wird er verheiratet sein ... aus lauter Indolenz ... mit irgendeiner Person, die ihm wahrscheinlich ganz gleichgültig sein wird.«

      »Du mußt einen bestimmten Verdacht haben«, sagte Frau Ehrenberg.

      »Den hab ich auch.«

      »Marianne?«

      »Marianne! Aber das ist ja längst aus, Mama. Und besonders ernst war das doch nie.«

      »Also wer denn soll es sein?«

      »Na was glaubst du, Mama?«

      »Ich hab keine Ahnung.«

      »Anna ist es«, sagte Else kurz.

      »Welche Anna?«

      »Anna Rosner, selbstverständlich.«

      »Aber!«

      »Du kannst lang ›aber‹ sagen es ist doch so.«

      »Else, du glaubst doch nicht im Ernst, daß Anna, die eine so zurückhaltende Natur ist, sich so weit vergessen könnte ...!«

      »So weit vergessen ...! Nein Mama, du hast manchmal noch Ausdrücke! übrigens find ich, dazu muß man gar nicht so vergeßlich sein.«

      Frau Ehrenberg lächelte, nicht ohne einen gewissen Stolz.

      Die Klingel draußen ertönte. »Am Ende ist er's doch«, sagte Else.

      »Es könnte auch Demeter Stanzides sein«, bemerkte Frau Ehrenberg.

      »Stanzides sollt' uns einmal den Prinzen mitbringen«, meinte Else beiläufig.

      »Glaubst du, daß das ginge?« fragte Frau Ehrenberg und ließ die Stickerei in den Schoß sinken.

      »Warum sollt's denn nicht gehen?« sagte Else, »sie sind ja so intim.«

      Die Türe tat sich auf, doch keiner von den Erwarteten, sondern Edmund Nürnberger trat ein. Er war wie stets mit der größten Sorgfalt, wenn auch nicht nach der letzten Mode gekleidet. Sein Gehrock war etwas zu kurz, und in der bauschigen, dunkeln Atlaskrawatte steckte eine Smaragdnadel. An der Türe schon verbeugte er sich, nicht ohne zugleich in seinen Mienen einen gewissen Spott über die eigene Höflichkeit auszudrücken. »Bin ich der erste?« fragte er. »Noch niemand da? Weder ein Hofrat noch ein Graf noch ein Dichter noch eine dämonische Frau?«

      »Nur eine, die es leider nie gewesen ist«, erwiderte Frau Ehrenberg, während sie ihm die Hand reichte, »und eine ... die es vielleicht einmal werden wird.«

      »O, ich bin überzeugt«, sagte Nürnberger, »daß Fräulein Else auch das treffen wird, wenn sie sichs nur ernstlich vornimmt.« Und er strich sich mit der linken Hand langsam über das schwarze, glatte, etwas glänzende Haar.

      Frau Ehrenberg sprach ihr Bedauern aus, daß man ihn vergeblich auf dem Auhof erwartet hatte. Ob er wirklich den ganzen Sommer in Wien gewesen sei?

      »Warum wundern Sie sich darüber, gnädige Frau? Ob ich in einer Gebirgslandschaft auf- und abspaziere, oder am Meeresstrand, oder in meinen vier Wänden, das ist doch im Grunde ziemlich gleichgültig.«

      »Sie müssen sich aber recht einsam gefühlt haben«, sagte Frau Ehrenberg.

      »Das Alleinsein kommt einem allerdings etwas deutlicher zu Bewußtsein, wenn sich niemand in der Nähe befindet, der das Bedürfnis markiert, mit einem reden zu wollen ... Aber sprechen wir doch lieber von interessanteren und hoffnungsvollern Menschen, als ich es bin. Wie befinden sich die zahlreichen Freunde Ihres so beliebten Hauses?«

      »Freunde!« wiederholte Else, »da müßte man doch erst wissen, wen Sie darunter verstehen.«

      »Nun,

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