Pussycat. Peter Splitt
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„Du wirst jetzt schlafen, Katharina!“ Es war eine Anordnung, die er mit einem Kuss bestätigte.
Oktober 2002
Dies war heute auf den Tag genau vor zwanzig Jahren geschehen, und trotzdem kam es mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen. Mit meinen vierundvierzig Jahren war ich noch nicht alt, aber auch nicht mehr so jung und knackig wie damals. Der Zahn der Zeit und ein reichlich turbulentes Leben hatten ihre Spuren hinterlassen. Mein Haar trug ich jetzt kürzer, meine Figur war runder und irgendwie üppiger geworden. Auch Fältchen und Krähenfüße hatten sich eingestellt, obwohl ich sie mit Make-up zu überdecken versuchte. Ich wusste, meine Augen hatten den Glanz der Jugend verloren, aber trotzdem fühlte ich mich noch immer als eine attraktive Frau.
„Bitte anschnallen, wir fliegen jetzt hinaus auf den Atlantischen Ozean, und es könnte zu Turbulenzen kommen“, ertönte eine verzerrte männliche Stimme durch die Bordlautsprecher. Das Geräusch ließ mich zunächst zusammenzucken, allerdings fing ich mich schnell wieder und versuchte, mich zu beruhigen. Hier oben über den Wolken war ich allein mit meinen Erinnerungen, nahm diesen Moment der trügerischen Geborgenheit in mich auf und wollte ihn so lang wie möglich festhalten.
Doch dann, so plötzlich, wie er gekommen war, ging der Moment vorbei und ich spürte, wie eine nicht für möglich gehaltene Nervosität von mir Besitz ergriff, mich nicht mehr loslassen wollte. Allein bei den neuen Gedanken, die sich mir aufdrängten, spürte ich eine tiefe innere Unruhe aufkommen. Trotzdem schaffte ich es, der jungen Stewardess in dem dunkelblau-roten Outfit zuzulächeln, als sich diese nach meinem Getränkewunsch erkundigte. Meine Stimme zitterte in keinster Weise. Ich hatte gelernt, damit umzugehen, auch wenn es mir noch so schwerfiel. Es war so manches, was ich jetzt tun musste, von dem ich vorher geglaubt hatte, niemals dazu fähig zu sein. Diese ständigen Veränderungen, die mein bewegtes Leben mir abverlangte, sowie die vielen Schicksalsschläge, die ich wie selbstverständlich hinnahm, hatten mich letztendlich am Leben gehalten.
Die silberne Boeing 737 flog über Rhode Island hinweg und nahm Kurs auf New York. Ich traute mich zum ersten Mal, das Plastikrollo nach oben zu schieben. Die riesige Stadt versank unter mir im bleichen Dunst der Ferne, als die Maschine eine Schleife zog und langsam ihre Flughöhe verringerte. In etwas weniger als zwanzig Minuten würde sie auf dem internationalen Flughafen John F. Kennedy landen, und danach würde ich mit etwas Glück an Bord einer Lufthansa-Maschine die USA verlassen können. Das heißt, für den Fall, dass man mich nicht an der Ausreise hinderte. Bis dahin verblieben noch ein paar lange Stunden, in denen ich mich weiter lächelnd und unschuldig locker geben musste. Ich blickte hinunter auf das Land, in das ich voller Hoffnung auf eine sichere Zukunft gekommen war. Das war vor siebzehn Jahren gewesen – nachdem ich alle verraten hatte.
Wie immer war die Ankunftshalle brechend voll. Besonders lästig war die erneute Einreiseprozedur, bei der ich mein Gepäck identifizieren und wieder aufgeben musste. Ich folgte den Schildern bis zur Gepäckentnahme. An dem Rollband schnappte ich mir meinen Koffer, passierte die Einreisekontrolle und steuerte auf den Flugschalter zu. Dabei sah ich nervös auf meine Armbanduhr. Bis zum abermaligen Einchecken blieben mir noch drei Stunden. Eine verdammt lange Zeit, wenn man warten musste und der Kloß im Hals immer größer wurde. Einige Polizisten in Uniform standen herum, nahmen aber keine Notiz von mir. Aber ich wusste, dass sie da waren. Die Leute vom Geheimdienst. Irgendwo warteten sie. Ich spürte, wie ich immer nervöser wurde. Einer stand in der Nähe des Flugschalters. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ausgerechnet dort, wo man meine Bordkarte für den Weiterflug hinterlegt hatte – und wo ich unbedingt hin musste. Der Mann wirkte teilnahmslos, seine Augen jedoch waren starr auf die Menschenmenge gerichtet. Sie überflogen jeden, der sich dem Flugschalter näherte.
Ich setzte mir die Sonnenbrille auf, obwohl das völlig verrückt war. Ich hatte mich betont lässig gekleidet. Alles hatte den Anschein, als würde ich nur eine kurze Reise unternehmen. Ich spürte einen Schubser. Jemand drückte mich von hinten vorwärts. Jetzt war ich an der Reihe, stand direkt vor dem Flugschalter. Eine freundliche Dame lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Alles lief glatt. Problemlos bekam ich meine Bordkarte ausgehändigt. Sie stellte meinen Koffer auf die Waage.
„Möchten Sie Ihr Gepäck direkt bis Hannover durch buchen?“, fragte sie mit überlauter Stimme.
Verdammt! Musste sie so schreien, ausgerechnet jetzt?
Aber es war zu spät. Der unauffällig wirkende Beamte blickte zu mir hinüber und bewegte sich auf den Ausgang mit dem Schild Embarkation zu. „Madam, Ihre Bordkarte bitte“, sagte er höflich, aber bestimmt.
Ich hoffte, er würde nicht das Zittern bemerken, das durch meinen Körper ging. Gehorsam reichte ich ihm die Karte und machte auf lockere Konversation mit einem Nebenmann.
„Sie kommen aus Philadelphia und fliegen weiter nach Frankfurt?“, fragte der Beamte weiter.
Jetzt kam es.
„So können Sie aber nicht abfliegen“, sagte er, genau wie ich es befürchtet hatte. Der Mann mit dem kurzen Haarschnitt und dem dunklen Schnauzbart sah mich zunächst ernst an, dann aber huschte