Ein Kampf um Rom. Felix Dahn
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Der Alte fuhr fort: »Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herr und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist — das weiß am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab’ ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt: ‘Das ist starke Zucht: Du wirst Freude dran haben.’
Und wie er heranwuchs — ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehütet, Leib und Seele. Und als er dieses schöne Land erkämpfte, bin ich vor ihm hergeritten, Fuß für Fuß, und habe den Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten. Wohl hat er seither gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister, aber klügere schwerlich und treuere gewiß nicht. Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf, wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wie überlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmal erfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen.
Aber der alte Adler ist flügellahm geworden!
Seine Kriegsjahre lasten auf ihm — denn er und ihr und euer Geschlecht, ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen: er liegt krank, rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die Ärzte sagen, wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag des Herzens mag ihn töten wie der Blitz, und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer stützt dann dieses Reich? Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: — ein Weib und ein Kind.«
»Die Fürstin ist weise«, sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert.
»Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem frommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh uns, wenn sie im Sturm das Steuer halten soll.«
»Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter«, lachte der Fackelträger und schüttelte die Locken. »Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wieder versöhnt, der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt, die Frankenfürsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.«
»Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis«, sprach beistimmend der mit dem Schwert, »ich kenne ihn.«
»Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechter Arm kennst du auch den? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian: ich kenne ihn und fürchte, was er sinnt. Ich begleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz: er kam zu unsrem Gelag: er hielt mich für berauscht, der Narr, weiß nicht, was Hildungs Kind zu trinken vermag, und fragte mich genau um alles, was man wissen muß, um — uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rechten Bescheid gekriegt! Aber ich weiß es so gewiß wie meinen Namen: dieser Mann will dies Land, dies Italien wieder haben, und nicht die Fußspur eines Goten wird er darin übriglassen.«
»Wenn er kann«, brummte des Blonden Bruder dazwischen.
»Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz kann viel.«
Jener zuckte die Achseln.
»Weißt du’s, wieviel?« fragte der Alte zornig. »Zwölf Jahre lang hat unser großer König mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aber damals warst du noch nicht geboren«, fügte er ruhig hinzu.
»Wohl!« kam jenem der Bruder zu Hilfe. »Aber damals standen die Goten allein im fremden Land. Jetzt haben wie eine ganze zweite Hälfte gewonnen, wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrüder, die Italier.«
»Italien unsre Heimat!« rief der Alte bitter, »ja, das ist der Wahn. Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Tor!«
»Das sind unsres Königs eigne Worte«, entgegnete der Gescholtene.
»Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben werden. Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, da wir von diesen Bergen niederstiegen, und fremd werden wir sein in diesem Lande noch nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Barbaren!«
»Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist das als die unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?«
»Schweig still«, schrie der Alte, zuckend vor Grimm, »schweig, Totila, mit solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses geworden.« Sich mühsam beruhigend fuhr er fort: »Unsere Todfeinde sind die Welschen, nicht unsre Brüder. Weh, wenn wir ihnen trauen! Oh, daß der König nach meinem Rat getan und nach seinem Sieg alles erschlagen hätte, das Schwert und Schild führen konnte vom lallenden Knäblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Und sie haben recht. Wir aber, wir sind die Toren, sie zu bewundern.«
Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Jüngling: »Und du hältst keine Freundschaft für möglich zwischen uns und ihnen?«
»Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk! Ein Mann tritt in die Goldhöhle des Drachen: er drückt das Haupt des Drachen nieder mit eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mann erbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schätzen der Höhle. Was wird der Giftwurm tun? Hinterrücks, sobald er kann, wird er ihn stechen, daß der Verschoner stirbt.«
»Wohlan, so laß sie kommen, die Griechlein«, schrie der riesige Hildebad, »und laß dies Natterngezücht gegen uns aufzüngeln. Wir wollen sie niederschlagen — so!« und er hob die Keule und ließ sie niederfallen, daß die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel in seinen Grundfugen erdröhnte.
»Ja, sie sollen’s versuchen!« rief Totila, und aus seinen Augen leuchtete ein kriegerisches Feuer, das ihn noch schöner machte. »Wenn diese undankbaren Römer uns verraten, wenn die falschen Byzantiner kommen« — er blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder — »sieh, Alter, wir haben Männer wie die Eichen.«
Wohlgefällig nickte der alte Waffenmeister: »Ja, Hildebad ist sehr stark: obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und Walamer und die andern waren, die mit mir jung gewesen. Und gegen die Nordmänner ist Stärke gut Ding. Aber dieses Südvolk« — fuhr er ingrimmig fort — »kämpft von Türmen und Mauerzinnen herunter. Sie führen den Krieg wie ein Rechenexempel und rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden in einen Winkel hinein, daß es sich nicht mehr rühren noch regen kann. Ich kenne einen solchen Rechenmeister in Byzanz, der ist kein Mann und besiegt die Männer. Du kennst ihn auch, Witichis?« — so fragend wandte er sich an den Mann mit dem Schwert.
»Ich kenne Narses«, sagte dieser, der sehr ernst geworden, nachdenklich. »Was du gesprochen, Hildungs Sohn, ist leider wahr, sehr wahr. Ähnliches ist mir oft schon durch die Seele gegangen, aber unklar, dunkel, mehr ein Grauen als ein Denken. Deine Worte sind unwiderleglich: der König am Tod — die Fürstin ein halbgriechisch Weib — Justinian lauernd — die Welschen schlangenfalsch — die Feldherrn von Byzanz Zauberer von Kunst, aber« — hier holte er tief Atem — »wir stehen nicht allein, wir Goten. Unser weiser König hat sich Freunde, Verbündete geschaffen in Überfluß. Der König der Vandalen ist sein Schwestermann, der König der Westgoten sein Enkel, die Könige der Burgunder, der Heruler, der Thüringer, der Franken sind ihm verschwägert, alle Völker ehren ihn wie ihren Vater, die Sarmaten, die fernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend Pelzwerk und gelben Bernstein. Ist das alles.«
»Nichts ist das alles, Schmeichelworte sind’s und bunte Lappen! Sollen uns die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Narses? Weh uns,