Dalmatinische Reise. Bahr Hermann
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Der eine von ihnen ist ein Knirps mit einem sehr großen, breiten, glatt ausrasierten Gesicht, das, mit den heftig fragenden Augen, etwas kindisch Verwundertes hat. Herrisch stapft er knieweit auf dem Schiff herum, die Hände in den Taschen, mit schiefem Maul, und weiß alles. Er kennt jedes Riff beim Namen und hat alle geschichtlichen Daten. Er gehört zu den Menschen mit ausgemachten Wahrheiten. Wie er so vorn am Bug steht, definitiv hingespreizt, und in den Regen schaut, gleichsam abwägend, ob er es denn noch weiter regnen lassen soll, hat er sicher das Gefühl, in eine Schlacht zu fahren. Trotzdem wirkt er nicht komisch, der insolente Zwerg, weil man ihm ansieht, daß er in einer wirklichen Gefahr gewiß ebenso wäre, nur wahrscheinlich ruhiger als jetzt, wo ihn seine Phantasie plagt. Ich kann die kriegerische Brunst solcher Knaben schon verstehen. Sie sind wie junge Mädchen, denen der Mann fehlt. Man müßte nur für sie Gefahren suchen, die der Menschheit nützen. So lange die Demokratie keine Verwendung für den Dampf der bürgerlichen Jugend hat, für ihre Lust an Abenteuern, Drangsalen und Verwegenheiten, für ihre Spannung nach Explosionen, wird sie den jungen Leuten langweilig sein. Daher in Frankreich die Banden der jeunesse royale. Es hilft nichts, zu sagen: Die Menschheit ist heute so weit, daß sie keine Helden mehr braucht! Es gibt aber noch immer Menschen, die das Bedürfnis haben, Helden zu sein. Wie es immer noch Menschen gibt, die das Bedürfnis haben, Schwärmer zu sein. Was sollen sie mit sich anfangen? Ihr habt kein Ventil für sie, so laufen sie euch weg, unter die Soldaten und zu den Pfaffen. Aber die wirkliche Demokratie wird Platz für jede Menschenart haben. Ich kann mir meinen kleinen maritimen Siegfried da, mit den ovalen Beinen, nun einmal im Bureaudienst nicht denken. – Er vergilt mir übrigens meine Sympathie keineswegs. Er ist artig, aber sichtlich auf der Hut mit mir. Lange Haare sind ihm nicht geheuer, und er hat gehört, daß ich nach Montenegro will; dies aber genügt jetzt hier, um ein Spion zu sein.
Inseln rechts und Inseln links. Hier Selve, Ulbo, Pago, dort Premuda, Skarda, Melada. Jetzt springt das dalmatinische Festland vor, wir sind im Kanal von Zara, den im Westen Sestrunj mit seinen Scoglien und die langgestreckte Insel Ugljan deckt.
Zara. Da sieht man zuerst nur eine lange weiße Wand. Nach und nach wird man gewahr, daß diese lange weiße Wand Häuser vorstellen soll. Es sind Bauten sozusagen sächlichen Geschlechtes. Man kann sich nicht denken, daß hier Männer oder Frauen und Menschen wohnen. Nein, Solneß, Heimstätten für Menschen können das nicht sein. Sie haben unseren ärarischen Stil. Wir haben ein Armeedeutsch und so haben wir auch einen ärarischen Stil. Sein Reiz besteht darin, daß er mit Stein den Anschein von Papier erweckt. Man glaubt zuerst: Das ist sicher nur eine Zeichnung! Merkwürdigerweise kann man aber in diese Zeichnung auch hineingehen und, wenn man es aushält, darin wohnen; schläft man ein, so wacht man in der Früh auf und hat einen Kopf aus Papiermaché, ich glaube sicher; es kann aber auch sein, daß diese Häuser in der Nacht, wenn das letzte Schiff fort ist, abgeräumt und sorgfältig zusammengeklappt und in ein Depot gelegt werden, wie Kulissen nach der Vorstellung, wenn es aus ist und finster wird. Das ist die berühmte Riva von Zara, der Stolz der österreichischen Verwaltung. Sie hat den Zweck, die alte Stadt Zara zu verstecken. Hinter ihr ist die alte Stadt Zara. Vor der alten Stadt ist eine österreichische Wand aufgestellt. Hinter der österreichischen Wand fängt der Orient an, unsere Zeit hört auf. So kann man sagen, daß diese Riva ihren Ruhm verdient, weil sie das Symbol unserer Verwaltung in Dalmatien ist. Diese besteht darin, das alte Land zu lassen, wie es ist, aber vorn eine österreichische Wand zu ziehen, damit man es nicht sieht. Und das genügt den Dalmatinern nun nicht, sondern sie verlangen, wirklich ein österreichisches Land zu werden. Das ist der Streit der österreichischen Verwaltung mit dem dalmatinischen Volk.
Ich habe ein sehr nettes Buch mit: Dalmatia, the land where East meets West by Maude M. Holbach. Die brave alte Engländerin, die es geschrieben hat, durchaus im frömmsten Glauben an unsere Behörden, reißt die Augen auf, wie sie hinter die weiße Wand in die alte Stadt Zara kommt, und ruft aus: This is no more Europe, no matter what the map may tell you! Und dann, wie sie die Morlaken auf dem Markt erblickt, mit den dunklen Gesichtern in weißen Tüchern, die rußigen Hände schwer beringt, die Füße in Opanken: At the first glance they seemed to me more like North American Indians than any European race! Ganz erschreckt staunt sie und kann es kaum begreifen, so fremd ist dieses Land!
Wir aber eignen es uns nicht an, sondern stellen eine weiße Wand auf, um es zu verdecken, und vor ihr spazieren die Beamten, und Militärmusik spielt.
Es gibt ein Zaratiner Museum, das in der alten Kirche San Donato untergebracht ist. Man hat in ihr eine Inschrift gefunden, die vermuten läßt, sie sei einst ein Tempel der Livia Augusta gewesen. Der wurde dann im 9. Jahrhundert umgebaut, um die Gebeine der heiligen Anastasia aufzunehmen, die der Bischof Donatus aus Byzanz mitbrachte, ein weltkluger Heiliger, der in den Händeln zwischen Karl dem Großen und dem Kaiser Nikephorus beiden zu dienen verstand. Vorrömisches, in Gräbern gefunden, illyrische Krüge, Leuchter und Münzen, Römisches, Inschriften und Schmuck, longobardisches Ornament und allerhand Mittelalter sind hier aufbewahrt und warten, bis einmal ein junger Archäologe kommen wird. Ich fand einst, nach Athen fahrend, Furtwängler auf dem Schiff. Er fragte mich: Warum gehen Euere jungen Leute nach Griechenland, während in Dalmatien noch alles zu tun bleibt? Ich antwortete: Man interessiert sich in Österreich mehr für Griechenland als für Dalmatien. Er sagte: Ach so!
Wir hätten jetzt in Wien einen, den jungen Doktor Hans Tietze. Das ist ein Schüler Wickhoffs und irgendeine Art von Genie. Er hat eine Topographie des politischen Bezirks Krems verfaßt, das schönste Buch, das in den letzten Jahren in Österreich erschienen ist; niemand kennt es. Hier wird Topographie zum erstenmal als Kunst betrieben. Dem müßte man sehr viel Geld geben und ihn auf drei Jahre nach Dalmatien schicken. Wir wüßten dann erst, was wir in Dalmatien haben.
Der Dom von Zara war zuerst eine Basilika. Davon ist nur eine einzige Säule noch übrig. Denn er wurde dann im 13. Jahrhundert völlig umgebaut, romanisch. Und später kam ein Erzbischof, der Valaresso hieß und ein Venezianer war. Darum gefiel ihm das Romanische nicht, er konnte seine Heimat nicht vergessen, mit dem Campanile, so ließ er einen solchen hier errichten. Ausgebaut wurde dieser erst in unserer Zeit, nach Skizzen Jacksons; ein Zeichen schöner Dankbarkeit, die man für sein gutes Buch über Dalmatien hat. (»Dalmatia, the Quarnero and Istria.« Das andere gute Buch über Dalmatien ist auch von einem Engländer: Adams »Ruins of Diocletian Palace at Spalato«. Dieses ist schon 1774 erschienen; jetzt wäre doch allmählich für ein österreichisches Zeit, also schickt schon den Tietze her!) Ein Zeichen schöner Dankbarkeit, gewiß, doch auch dieser ganz entkräfteten Zeit. Es wäre dem Valaresso nicht eingefallen, romanisch fortzubauen, sondern er hatte seinen eigenen Geschmack. Vergangenes auszudenken kann sich eine starke Gegenwart niemals bequemen, sondern sie setzt sich selbst her, ihrem eigenen Sinn gemäß, nach ihrer eigenen Art. Laßt uns Vergangenheiten in Museen ehren, leben aber wollen wir in unserem Eigentum! Auf dem Markt steht eine Säule hier, offenbar von einem römischen Tempel übrig. Ketten hängen daran, in der venezianischen Zeit wurden nämlich da die Verbrecher ausgestellt, es war der Pranger. Denn diese starke venezianische Zeit litt es nicht, daß irgend was Vergangenes unbenutzt in der Gegenwart herumstand.
Die Fassade des Doms ist übrigens unvergleichlich. Wie aus Sonnenschein gesponnen. Alles Gotische will immer über den Menschen hinaus, da fühlt er sich schon schuldig. Hier aber genießt er sich noch entzückt, und mit allen Werken loben seine Hände das Leben.
Sehr gern möchte ich von hier einmal landeinwärts, nach Zemunik, wo jetzt unter den armen Bauern in der Steinwüste Trappisten nisten. Wenn man nur ihren Namen hört, wird einem ganz unirdisch und weltstumm. Es sind aber tüchtige Landwirte, sie haben den modernen Betrieb eingeführt und nutzen die billige Menschenkraft aus. Und schließlich, ob es nun durch eine Berliner G. m. b. H. oder durch Karthäuser geschieht – wenn es nur geschieht, da es ja durch unsere Verwaltung doch nicht geschieht! Selbst von Mönchen kann man immerhin noch mehr Kultur erwarten, als unsere Verwaltung hat, und sie sind moderner.
Ich