Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh

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Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh

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viel verändert; statt des alten guten, aber schwachen P. einen jungen überaus kräftigen Mann als Oberpräsidenten, der mit eigener Hand überall eingriff und schon ein gutes Maß Schmutz aus dem alten Schlendrian aufgewühlt hat. Bodelschwingh ist aus Vinckes Schule, ebenso kräftig und sorgsam, aber gewiß viel besonnener als dieser, dabei von einem schönen, männlichen Äußeren, Meister in allen körperlichen Übungen, Ritter des Eisernen Kreuzes 1. Klasse. Durch sein einfaches Auftreten paßt er ganz vorzüglich für die Rheinlande, denen wohl nicht leicht ein größerer Verlust zugefügt werden könnte, als wenn der Oberpräsident wirklich, wie es heißt, Finanzminister werden sollte. Es muß eine Lust sein, unter Bodelschwingh zu arbeiten.” In der Tat gelang es der hingebenden Treue und Umsicht Bodelschwinghs im Bunde mit seinen von ihm hingerissenen Mitarbeitern, die rheinische Provinz, um die Frankreich mit so heißen Bemühungen geworben hatte, wieder fest mit dem Mutterlande zu verknüpfen.

      Auch die Verhaftung des Cölner Erzbischofs von Droste-Vischering, die er infolge des Mischehen-Streites auf Befehl der Krone persönlich zu vollziehen hatte, konnte dem evangelischen Mann das Vertrauen der meist katholischen Rheinländer nicht entziehen. So tief waren alle trotz unvermeidlicher sachlicher Differenzen von der Rechtlichkeit seiner Person überzeugt.

      Berlin. 1842 – 1848

      Nach achtjähriger Tätigkeit in Koblenz wurde Ernst v. Bodelschwingh 1842 zur Leitung des Finanzministeriums nach Berlin berufen. Er hatte eigentlich schon damals das Ministerium des Innern übernehmen sollen, den wichtigsten Posten im preußischen Staate, doch hatte er es beim König durchgesetzt, ihm das Finanzministerium zu geben, dem zu jener Zeit noch außer den eigentlichen Finanzfragen ein großer Teil der Aufgaben unterstellt war, die später von dem Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten erledigt wurden. Die Erfahrungen als Landrat und in den verschiedenen Ämtern der Rheinprovinz hatten ihm gerade diese praktischen Gebiete besonders vertraut gemacht. Aber das Losreißen in Koblenz war sauer. Und nicht nur dem Oberpräsidenten wurde der Abschied von seiner ihm so ans Herz gewachsenen Provinz schwer, sondern auch seiner ganzen Familie. Der Rhein hatte es ihnen allen angetan. Und als der damals elfjährige Friedrich längst zum Mann und Greis geworden war, hörte man ihn noch manchmal vor sich hinsummen:

      An den Rhein, an den Rhein,

      Zieh’ nicht an den Rhein,

      Mein Sohn, ich rate dir gut.

      Da geht dir das Leben so lieblich ein,

      Da blüht dir so freudig der Mut.

      Siehst die Mädchen so frank

      Und die Männer so frei,

      Als wär’s ein adlig Geschlecht.

      Gleich bist du mit glühender Seele dabei,

      So dünkt es dich billig und recht.

      Während der Vater mit den älteren Kindern schon nach Berlin vorausgeeilt war, reiste die Mutter mit den jüngeren Geschwistern hinterher. Schon seit Jahren war Karl, der um zwei Jahre ältere Bruder Friedrichs, leidend, und der kleine Friedrich hatte während der Reise nicht nur den Kanarienvogel, der in seinem Käfig an der Decke des Wagens hing, und die Meerschweinchen, die in einer Kiste mitgeführt wurden, zu versorgen, sondern auch als Krankenpfleger dem leidenden Bruder Handreichungen zu tun. Nach zehntägiger Fahrt in der Postkutsche wurde die neue Heimat erreicht und das Finanzministerium, das bis heute, wenn auch in veränderter Form, auf demselben Platze am Kastanienwäldchen steht, bezogen.

      Von da war es ein kurzer Weg zum Joachimstalschen Gymnasium in der Burgstraße jenseits des Lustgartens. Die Aufnahme ging glatt vonstatten. Aber als es vom Lateinischen zum Griechischen vorwärts gehen sollte und das Gymnasium mit den außerordentlichen Ansprüchen an höchste Leistungen auf dem Gebiete der klassischen Sprachen auch an den kleinen Quartaner und Tertianer herantrat, da bedurfte es der größten Anspannung der Willenskraft, um das geforderte Ziel notdürftig zu erreichen. Erst nach zwei Jahren gab es ein Aufatmen. Statt des Finanzministeriums übernahm der Vater das Kabinettsministerium und im Jahre darauf außerdem auch noch das Ministerium des Innern. Damit war ein Wohnungswechsel verbunden, erst in die Wilhelmstraße, dann in die Straße Unter den Linden. Jetzt war der Weg zum Joachimstalschen Gymnasium zu weit geworden, und Friedrich bezog mit seinen Brüdern das damals in der Kochstraße gelegene Friedrich-Wilhelms-Gymnasium. Mit wachsender Lust, unter verständnisvollen Lehrern, ging es an die Arbeit, und lange, nachdem er die Schule verlassen hatte, verfolgte ihn das Heimweh nach den Bänken seines lieben Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums.

      In der Freizeit wurde, wie einst in Koblenz, geturnt, geschwommen, gerudert und Schlittschuh gelaufen. Jetzt kam auch das Reiten hinzu. Einmal freilich setzte Cora, das Reitpferd seines Vaters, den jungen Friedrich im Tiergarten ab und trabte ohne ihn durch das Brandenburger Tor nach Hause. Von den älteren Brüdern lernte er das Fechten, das er so lieb gewann, daß er bis zum Jahre 1854 sich nicht von seinem doppelten Fechtzeug mit Rapier, Schutzhaube und Bandagen trennen konnte. Und zeit seines Lebens führte er über seinem rechten Auge einen Denkzettel mit sich in Gestalt einer Narbe, die ihm sein kleiner Bruder Ernst geschlagen hatte. Seiner Überlegenheit sicher, hatte der ältere Bruder, ohne sich durch Bandagen zu schützen, dem jüngeren das scharfe Rapier in die Hand gedrückt, und dieser, nicht faul, hatte ihm im kühnen Dreinschlagen den Hieb gerade über dem Auge beigebracht.

      Bald kam auch das edle Weidwerk hinzu. Der König hatte seinem Minister für die Stunden der Erholung vor den Toren Berlins ein Jagdgebiet zur Verfügung gestellt. So liefen denn die Söhne hinter dem Vater her, erst um das geschossene Wild zu tragen, dann um auch selbst die Flinte in die Hand zu nehmen. Auf Hasen und Hühner wagte Friedrich den Schuß, aber auf den Rehbock nur ein einziges Mal. Die Augen des verendenden Tieres hatten es ihm angetan. Seitdem konnte er nicht wieder darauf anlegen.

      Noch größer waren die Freuden der gemeinsamen Wanderungen mit dem geliebten Vater oder auch allein mit den Brüdern und Freunden. Dem Vater waren von Jugend auf weite Märsche Lust und Erholung gewesen. Noch vor den Freiheitskriegen war er einmal von Berlin nach Westfalen zu Fuß gegangen. Zugleich mit der Post hatte er Berlin verlassen, und eher als die Post hatte er die Heimat erreicht. Später, als Student in Göttingen, war er in einem Tage auf den Brocken gegangen, hatte dort am andern Morgen den Sonnenaufgang erlebt und war noch am selben Abend wieder in Göttingen gewesen. Zehn Meilen hin, zehn Meilen zurück, d. h. etwa 150 Kilometer in zwei Tagen. Als Referendar war er sogar einmal in elf Wochen von Westfalen durch Süddeutschland und die Schweiz an die oberitalienischen Seen bis Mailand gewandert und wieder zurück, ohne irgend ein Gefährt unter den Füßen zu haben als nur auf den schweizerischen und italienischen Seen das Deck der Schiffe, die ihn von einem Ufer zum andern trugen. So gab es auch jetzt mit den heranwachsenden Söhnen unter frohen Liedern eine Reise über Rheinsberg und Hohen-Zieritz mit den Erinnerungen an Friedrich den Großen und die Königin Luise nach der Insel Rügen. Eine Fußreise nach Süddeutschland machten die Brüder zusammen mit einigen Freunden ohne den Vater. 87 deutsche Burgen wurden begrüßt oder bestiegen, und in sieben deutschen Strömen bis hinunter zum Neckar wurde gebadet.

      Unter solchen Freuden glitten die schalen Vergnügungen der Hauptstadt fast unbeachtet an Friedrich vorüber, zumal schon damals weitere und engere Freundschaftsbande ihn ganz in Anspruch nahmen. Schon als Quartaner auf dem Joachimstalschen Gymnasium war er für einen fälschlich angeklagten Klassengenossen, Gustav Bossart, eingetreten. Ritterlich war er zum Direktor vorgedrungen und hatte sich, wenn auch unter lautem Schluchzen, für die Redlichkeit des Beschuldigten verbürgt. Das hatte ihm zugleich das Herz des Direktors und seines Kameraden gewonnen.

      Bald darauf erschütterten tiefe Zweifel an der Güte Gottes das Herz des jungen Bossart. Während sie unter dem Sternenhimmel miteinander dahingingen, gestand er sie seinem Freunde Friedrich. Es handelte sich um das alte Problem des ewigen Gerichtes und der ewigen Gnade. Was konnte Friedrich sagen? Das Firmament strahlte zu ihnen herunter, und während er sein Auge aufhob, kam es über ihn wie eine Erleuchtung: Ist nicht beides gleich unfaßlich, die Endlichkeit und die Unendlichkeit des Himmelsraumes? Wenn es mir wirklich gelänge, bis an sein Ende zu kommen, was würde ich dann jenseits seines

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