Arme Leute. Dostoyevsky Fyodor
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Unsere Wirtin ist ein sehr kleines und unsauberes altes Weib, geht den ganzen Tag in Pantoffeln und in einem Schlafrock umher und schimpft ununterbrochen die Theresa. Ich wohne in der Küche, oder richtiger gesagt – Sie müssen sich das so denken: hier neben der Küche ist noch ein Zimmer (unsere Küche ist, muß ich Ihnen sagen, rein und hell und sehr anständig), ein ganz kleines Zimmerchen, so ein bescheidenes Winkelchen eigentlich nur… oder noch richtiger wird es so sein: die Küche ist groß und hat drei Fenster, und bei mir ist nun parallel der Querwand eine Scheidewand angebracht, so daß es sozusagen noch ein Zimmerchen gibt, eine Nummer »über den Etat«, wie man sagt. Alles ist geräumig und bequem, und sogar ein Fenster habe ich und überhaupt alles, – mit einem Wort nochmals, es ist alles gut und bequem. Das ist also mein Winkelchen. Aber nun müssen Sie nicht etwa denken, Kind, daß irgend etwas dabei sei und ich einen Hintergedanken habe: weil das immerhin nur eine Küche ist! Das heißt, genau genommen lebe ich ja in demselben Raum, nur hinter einer Scheidewand, aber das hat nichts zu sagen! Ich lebe hier ganz heimlich und mäuschenstill, ganz bescheiden und ruhig. Habe hier mein Bett aufgestellt, einen Tisch, eine Kommode, zwei Stühle, jawohl, genau ein Paar, und habe das Heiligenbild aufgehängt. Es gibt gewiß bessere Wohnungen, sogar viel bessere, aber die Hauptsache ist doch die Bequemlichkeit; ich wohne ja hier nur deshalb, weil ich es so am bequemsten habe – Sie brauchen nicht zu denken, daß ich es aus irgendeinem anderen Grunde tue. Ihr Fensterchen liegt mir gerade gegenüber, über den Hof, und der Hof ist auch nur so ein kleines Höfchen, da sieht man Sie denn ganz deutlich hin und wieder im Vorübergehen, – das ist doch immer etwas geselliger für mich Armen, und auch billiger.
Bei uns hier kostet selbst das kleinste Zimmer mit der Beköstigung zusammen fünfunddreißig Rubel monatlich. Das ist nichts für meinen Beutel! Mein Winkelchen aber kostet nur sieben Rubel, und für die Beköstigung zahle ich fünf, während ich früher für alles in allem runde dreißig Rubel zahlte, dafür aber auf vieles verzichten mußte: so konnte ich nicht immer Tee trinken, jetzt dagegen, oh, da bleibt mir noch genug für Tee und Zucker. Es ist, wissen Sie, doch so – tatsächlich: man schämt sich irgendwie, wenn man keinen Tee trinken kann, Warinka. Hier wohnen nur Leute, die ihr Auskommen haben, und da geniert man sich eben. Und eigentlich: nur wegen der anderen trinkt man ihn, den Tee, Warinka, nur des Ansehens wegen, weil es hier zum guten Ton gehört. Mir wäre es ja sonst ganz gleich, ich bin nicht einer, der viel auf Genüsse gibt.
Und dann, was man so noch als Taschengeld braucht – denn irgend etwas hat man doch immer nötig – nun, sei es ein Paar Stiefel, ein Kleidungsstück – wieviel bleibt denn da übrig? So geht denn mein ganzes Gehalt auf. Ich klage ja nicht, ich bin ganz zufrieden. Für mich genügt es. Hat es doch schon viele Jahre genügt! Hin und wieder gibt es auch noch Gratifikationen.
Nun, leben Sie wohl, mein Engelchen. Ich habe da ein paar Blumen gekauft, zwei Töpfchen, eines mit Balsaminen und eines mit Geranium – nicht teuer. Vielleicht lieben Sie auch Reseda? Auch Reseda ist zu haben, schreiben Sie nur. Aber alles recht ausführlich, ja? Uebrigens müssen Sie da nicht irgendwie etwas argwöhnen, Kind, ich meine – was mich betrifft, und daß ich jetzt so ein Zimmer gemietet habe. Nein, nur die Bequemlichkeit veranlaßte mich dazu, nur, daß es in allem so bequem war, das verleitete mich. – Ich habe doch, das muß ich Ihnen noch sagen, Kind, ich habe doch Geld gespart, ich habe etwas beiseite gelegt: oh ja: ich besitze schon etwas! Achten Sie nicht darauf, daß ich so still und zaghaft bin, daß es aussieht, als könne mich eine Fliege mit den Flügeln umstoßen. Nein, mein Kind, ich bin gar nicht so schwach und habe gerade den Charakter, den ein Mensch mit ruhigem Gewissen und in der Festigkeit, die uns unsere Anständigkeit gibt, haben muß. Leben Sie wohl, mein Engelchen. Da habe ich schon ganze zwei Bogen vollgeschrieben und es ist bereits höchste Zeit zum Dienst. Ich küsse Ihre Fingerchen, Warinka, und verbleibe
P. S. Um eines bitte ich Sie noch: antworten Sie mir recht ausführlich, mein Engelchen. Ich sende Ihnen hier eine Düte Konfekt, Warinka; verschmausen Sie es mit Behagen und machen Sie sich um Gottes willen keine Sorgen um mich und nehmen Sie mir nur nicht irgend etwas übel. Und nun leben Sie wohl, mein Kind.
Wissen Sie, daß man Ihnen endlich einmal die Freundschaft wird kündigen müssen? Ich schwöre Ihnen, guter Makar Alexejewitsch, es fällt mir furchtbar schwer, Ihre Geschenke anzunehmen. Ich weiß doch, wieviel sie kosten und was das für Ihren Beutel ausmacht, zu wieviel Entbehrungen Sie sich deshalb zwingen, wie Sie sich das Notwendigste selbst verweigern. Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich nichts nötig habe, ganz und gar nichts, daß es nicht in meinen Kräften steht, die Wohltaten, mit denen Sie mich überschütten, zu erwidern. Und wozu diese Blumen? Die Balsaminen, nun, das ginge noch an, aber wozu nun noch Geranium? Es braucht einem nur ein unbedachtes Wort zu entschlüpfen, wie zum Beispiel meine Bemerkung über Geranium, da müssen Sie auch schon sofort Geranium kaufen. So etwas ist doch bestimmt teuer? Wie wundervoll die Blüten sind! So leuchtend rot, und Stern steht an Stern. Wo haben Sie nur ein so schönes Exemplar aufgetrieben? Ich habe den Blumentopf auf das Fensterbrett gestellt, an die sichtbarste Stelle. Auf das Bänkchen vor dem Fenster werde ich noch andere Blumen stellen, lassen Sie mich nur erst reich werden! Fedora kann sich nicht genug freuen – unser Zimmer ist jetzt ein richtiges Paradies, so sauber und hell und freundlich. Aber wozu war denn das Konfekt nötig? Uebrigens: ich erriet es sogleich aus Ihrem Brief, daß irgend etwas nicht richtig ist: Frühling und Wohlgerüche und Vogelgezwitscher – nein, dachte ich, sollte nicht gar noch ein Gedicht folgen? Denn wirklich, es fehlen nur noch Verse in Ihrem Brief, Makar Alexejewitsch. Und die Gefühle sind zärtlich und die Gedanken rosafarben – alles, wie es sich gehört! An den Vorhang habe ich überhaupt nicht gedacht. Der Zipfel muß an einem Zweige hängen geblieben sein, als ich die Blumentöpfe umstellte. Da haben Sie es!
Ach, Makar Alexejewitsch, was reden Sie da und rechnen mir Ihre Einnahmen und Ausgaben vor, um mich zu beruhigen und glauben zu machen, daß Sie alles nur für sich allein ausgeben! Mich können Sie damit doch nicht betrügen. Ich weiß doch, daß Sie sich des Notwendigsten um meinetwillen berauben. Was ist Ihnen denn eingefallen, daß Sie sich ein solches Zimmer gemietet haben, sagen Sie doch, bitte! Man beunruhigt Sie doch, man belästigt Sie dort, das Zimmer wird gewiß eng und unbequem und ungemütlich sein. Sie lieben Stille und Einsamkeit, hier aber – was wird denn das für ein Leben sein? Und bei Ihrem Gehalt könnten Sie doch viel besser wohnen. Fedora sagt, daß Sie früher unvergleichlich besser gelebt hätten als jetzt. Haben Sie wirklich Ihr ganzes Leben so verbracht, immer einsam, immer mit Entbehrungen, ohne Freude, ohne ein gutes, liebes Wort zu hören, immer in einem bei fremden Menschen gemieteten Winkel? Ach Sie, mein guter Freund, wie Sie mir leid tun! So schonen Sie doch wenigstens Ihre Gesundheit, Makar Alexejewitsch! Sie erwähnen, daß Ihre Augen angegriffen seien, – so schreiben Sie doch nicht bei Kerzenlicht! Was und wozu schreiben Sie denn noch? Ihr Diensteifer wird Ihren Vorgesetzten doch wohl ohnehin schon bekannt sein.
Ich bitte Sie nochmals inständig, verschwenden Sie nicht soviel Geld für mich. Ich weiß, daß Sie mich lieben, aber Sie sind doch selbst nicht reich… Heute war ich ebenso froh, wie Sie, als ich